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Wachstum im Wandel 2016: Warum das Umdenken so schwer fällt

600 TeilnehmerInnen und Exper­tInnen aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft diskutierten vom 22. bis 24. Februar 2016 an der WU Wien, wie wir unser Wirtschaftssystem nachhaltig verändern müssen, um weiterhin gut leben zu können. Roswitha M. Reisinger

Prof. Gerald Hüther. Foto: Hüther
Prof. Gerald Hüther. Foto: Hüther huether_c_huether_klein

Viele der bereits in den letzten Jahren gewonnenen Erkenntnisse wurden vertieft und bestätigt:
 

  • Es braucht einen drastisch reduzierter Ressourcenverbrauch und einen Umstieg auf erneuerbare Energie,
  • Reduktion unsinnigen Konsums hin zu mehr Lebensqualität, Teilhabe und Sinn,
  • Änderung unserer Finanz-Dogmen
  • Fairness und Teilhabe zwischen arm und reich und über Generationen hinweg.
  • Als großes Manko wurde die Entscheidungsschwäche der PolitikerInnen gesehen.

Weshalb fällt uns das nachhaltige Umdenken und Umlenken so schwer?
 

Vom Machenwollen zum Gelingen.

 „Ein bisschen mehr Hirn, bitte!“ fordert Prof. Gerald Hüther, Hirnforscher an der Universität Göttingen. Die entscheidende Frage sei, wie wir das, was uns Menschen ausmacht – Kreativität – in Zukunft zur Entfaltung bringen können.

Wir sind soziale Wesen. Wir verdanken unsere Individualität anderen Menschen, die uns unterstützt haben, unsere Potentiale zu finden und zu entwickeln. Es gibt also keine Kreativität sondern nur eine Co- Kreativität.“ Wenn wir jemand begegnen und uns füreinander interessieren, dann hätten wir doppelt so viel Hirn und Kreativität. Nicht aber, wenn wir jemand nicht begegnen sondern den Menschen nur nutzen, ihn als Objekt statt als Subjekt sehen. Genau das sei aber in den letzten 100 Jahren durch immer stärker ausgeprägtes Konkurrenzdenken geschehen und behindere nun die Entfaltung der Co-Kreativität. In Krisensituationen kann man sich nicht in andere hineinversetzen, Menschen reagieren kopflos, sie greifen auf Kindheits- oder archaische Muster zurück: Angriff oder Flucht oder ohnmächtige Erstarrung, wenn die ersten beiden nicht möglich sind. Das könne über die Hirnforschung klar nachgewiesen werden. Unsere Konkurrenz-Gesellschaft sei in einer ohnmächtigen Erstarrung gefangen. In diesem Moment höre die Möglichkeit auf, kreativ zu sein.

Konkurrenz halte eine Gruppe zusammen. Aber sie führe nicht zu Weiterentwicklung, das Ergebnis seien Fachidioten und Leistungssportler. Auch Kooperation sei für die Entfaltung der Talente zu wenig. In einer Kooperationsbeziehung nütze man den anderen noch immer für seine Zwecke.

Kinder kommen so begabt auf die Welt, dass sie in drei Jahren alles lernen, was sie brauchen – und zwar in einer Subjet-Subjekt-Beziehung. Erleben Kinder das nicht, gehen sie zugrunde – sie brauchen die lebendige Begegnung mit anderen Menschen. Subjekt-Subjekt Beziehungen sind aus diesem Grund ganz tief in uns verankert. In unserer Welt werden viele Menschen als Objekt genutzt, das Bedürfnis nach Zugehörigkeit werde so verletzt. Der dadurch ausgelöste Schmerz ist auch in einer Computer-Tomographie sichtbar und fühle sich wie ein körperlicher Schmerz an.

Die Hirnforschung zeigt sehr deutlich, dass sich lebende Systeme so lange selbst organisieren, bis der Energieaufwand für die Aufrechterhaltung so gering wie möglich ist. Eine Familie, die sich gut versteht, braucht wenig Energie um zusammenzuleben. Der Mensch kann – im Gegensatz zu anderen Lebewesen – aber auch anders: Wenn das System gestört ist, und er es aber aufrecht erhalten möchte, holt er sich die Energie von anderer Seite. Wenn der Job nicht stimmig ist braucht man ein großes Auto, zwei Häuser, einen Urlaub in der Südsee. Hüther: „Zur Aufrechterhaltung unserer bescheuerten Beziehungskultur in Europa haben wir uns seit 100 Jahren die Energie aus den Entwicklungsländern geklaut.“ Es sei gut, dass diese jetzt nicht mehr mitspielen, so seien wir gezwungen, unsere System zu ändern.

Und hier kommt wieder die Potentialentfaltung ins Spiel. Bei der Co-Kreativität brauche es Menschen, die anders sind. Deshalb kämen Sekten oder Nazis ab einem bestimmten Punkt nicht weiter. Weil sie alle das Gleiche denken. Deshalb brauche es eine Beziehung zwischen Subjekt und Subjekt. Oft sei es so, dass Menschen einander nur treffen, weil sie den anderen nutzen wollen. "Sie bleiben an diesem Tisch die Egoisten, die sie sind. Sie werfen die Idee ein, die sie nicht mehr brauchen können, und fischen raus, was sie brauchen." Sie nutzen alles für sich. So entstehe keine Co-Kreativität. „Da gelingt nichts“ meint Hüther. Der Begriff „gelingen“ sei dafür überaus passend. Wir könnten nur die Rahmenbedingungen schaffen, dass eine Beziehung, oder nachhaltiges Handeln gelingt. Wir können es nicht selbst machen, nicht verordnen. Wohl gebe es eine Vorstellung, wie sich das Gelingen anfühlt. In den Subjekt Beziehungen könnten wir alles lösen.

Wie können andere Menschen mit dieser Idee erreicht werden?

Hüther: Alle Menschen finden irgendetwas bedeutsam. Sie machen nicht mit, wenn sie Probleme haben, wenn sie keine gute Beziehung zu sich selbst und zu anderen haben. Da gelte es zunächst die unmittelbaren Probleme zu lösen.

Wie können wir die politischen Entscheidungsträger zu Entscheidungen motiviert werden?

Hüther: Wir  können sie einladen, sie ermutigen, sie inspirieren. Wir sollten nicht sagen „motivieren“. Das mache die Menschen zum Objekt!

Ich bin eingeklemmt in hierarchischen Strukturen. Was kann ich tun?

Hüther:Sie können in der eigenen Ebene eine Begegnungs- und Subjektkultur schaffe und leben. In dem Augenblick, indem Sie sich als Subjekt aufstellen sind Sie nicht mehr von oben regierbar.

Die Dummheit unterscheidet sich von anderen Lebewesen, weil wir uns den Ast abschneiden, auf dem wir sitzen.

Hüther:Wir haben keine andere evolutionäre Fähigkeit mitbekommen, außer zu lernen. Daher müssen Menschen immer experimentieren. Wichtig ist, einen Irrtum zu erkennen und daraus zu lernen.

Was können wir tun, damit zukünftige Generationen unsere Dummheit nicht übernehmen?

Hüther: Wir bilden uns ein, wir könnten Kinder bilden. Das ist falsch. Kinder müssen sich selber bilden. Wir können nur die Rahmenbedingungen schaffen, unter denen sich Kinder bilden wollen. Bildung ist immer nur Selbstbildung.

Vielleicht brauchen wir für die Co-Kreativität mehr Empathie?

Hüther: Es ist genau anders herum. Wir versuchen den Kindern beizubringen, dass man denken, fühlen und handeln trennen kann. Diese Trennung ist traurig und führt zu den vielen Problemen, die wir haben. Sie muss dringend überwunden werden.

Welche Rolle spielen Regeln?

Hüther: Regeln sind wunderbar. Wenn eine Gemeinschaft gemeinsam die Regeln auch aushandelt. Dann sind alle handelnde Subjekte.

Das Zeitalter der „ismen  - Kapitalismus, Kommunismus,.." ist vorbei. Das sind große Ideen, die uns nicht weiterbringen. Es gibt bereits unzählige kleine Gemeinschaften, die unglaubliche Dinge zustande bringen, ohne, dass es politisch geregelt wird, zum Teil, obwohl es sogar behindert wird. Wichtig wäre, dass die Politik Rahmenbedingungen schafft, unter denen das Kleine wachsen kann.

Zu den Vorträgen und Ergebnissen der Konferenz „Wachstum im Wandel“

Zum LEBENSART-Gastkommentar von Dr. Gerald Hüther: Entdeckerfreude und Gestaltungslust.