Holacracy in der Praxis: Freiräume für Unternehmen
Holacracy (deutsch: Holokratie) soll die Organisationsform der Zukunft sein. Einige Unternehmen haben bereits Erfahrungen gesammelt. Von Manuela Grundner, Gregor Karlinger.
Was ist Holacracy? Einfach gesagt: Holacracy bietet ein System zur Selbstorganisation in Unternehmen, das sich von der klassischen hierarchischen Organisationsform entfernt, hin zu einem kreisförmigen System.
Es ist ein klar niedergeschriebenes Regelwerk, wie Meetings funktionieren und klare Entscheidungen getroffen werden, wenn es um taktisch Operatives und Steuerung geht. Wie organisieren wir uns? Als MitarbeiterIn hat man nicht nur eine Funktion, sondern unterschiedliche Rollen, und ist mit diesen in unterschiedlichen Kreisen vertreten – mit klaren Definitionen und Verantwortlichkeiten.
Viele Unternehmen setzen sich aktuell damit auseinander, welche Alternativen es zum klassischen pyramidenförmigen System gibt. Kreise etc. werden schnell in die esoterische Ecke gesteckt. Brian Robertsons Konzept ist aber klar, gut trainier- und erlernbar und bietet ein Geländer für erste Gehversuche – das trägt zu seinem Erfolg bei.
Erste erfolgreiche Implementierungen zeigen, dass es funktioniert. Lesen Sie weiter unten über drei ganz konkrete Beispiele bei T-Systems, Dewetron und Wiener Wohnen.
Holacracy ist Trend geworden, weil es eine Anleitung zur Selbstorganisation liefert sowie die Möglichkeit, in Selbstorganisation strukturiert zu arbeiten.
Die „Freiräume“-(Un)Conference vom 8. bis 9. Mai 2017 in der Grazer Seifenfabrik bietet einen guten Querschnitt durch diesen Bereich. Selbstorganisation, Ganzheit und Sinn – all das ist in Holacracy vertreten. Und: Wie kann ein Mensch seine Talente bestmöglich in die Organisation einbringen?
Drei Unternehmen, die als Pioniere bei den „Freiräumen“ dabei sind, haben Holacracy eingeführt und berichten über ihre Erfahrungen:
Klaus Polley, LeadLink BillCommunication, T-SYSTEMS (Deutsche Telekom AG)
Weshalb wurde Holacracy eingeführt?
Die IT der Telekom erfährt schon seit vielen Jahren einen permanenten Umbau aufgrund der sich permanent verändernde Umwelt (z.B. durch Digitalisierung). Das bedeutet, dass der top down Change bei uns schon zur Regel geworden ist. Aus diesen Erfahrungen haben wir in der Abteilung BillCommunication nach einem Modell gesucht, dass unsere Organisation besser und proaktiv auf neue Anforderungen ausrichtet - im Sinne von gestalten statt gestaltet zu werden. Als Leiter der Abteilung habe ich mich im Rahmen einer systemischen Ausbildung auch mit dem Organisationsbetriebssystem Holacracy beschäftigt und meine theoretischen Erfahrungen mit meinem Führungskreis geteilt. Und am Ende haben wir es gut genug gefunden dieses bei uns im obersten Steuerungskreis einfach mal auszuprobieren – getreu dem holokratischen Motto: Save enough to try. Jetzt arbeiten ca. 75 Menschen in 9 Kreisen seit 1,5 Jahren holokratisch.
Was waren die größten Hindernisse?
Zunächst gibt er erst einmal keine großen Hindernisse, wenn man mit etwas Neugierde einfach mal an Neues herangeht. Wie in jedem Veränderungsprozess gibt es Menschen, die sich dabei leichter tun, aber auch jede Menge Kollegen, die sich damit schwerer tun, sich auf etwas Neues einzulassen. Da war am Start die größte Barriere die Change-Kurve jeden einzelnen Individuums und die unterschiedlichen Geschwindigkeiten beim Durchlaufen der individuellen Kurve. Die ersten richtigen Barrieren kommen erst, wenn es im Konzern um Prozesse und Prozesskonformität geht. Gute „Barriere-Stichwörter“ sind hier Betriebsrat, Gehaltsmodell, aber auch Ängste und Befürchtungen innerhalb des Konzerns gilt es zu erkennen.
Woran sieht man den Erfolg?
Bei der Frage muss ich immer lachen und sehe den Herren im viel zu kleinen Konfirmandenanzug mit der Controllerbrille und dem Klemmbrett vor mir, der jetzt die unschlagbaren Kennzahlen will.
Insgesamt geht es doch darum, einen agile, transparente und sich selbstausrichtende Organisation zu haben, in welcher zufriedenere, motiviertere und produktivere Mitarbeiter gemeinsam Erfolge schaffen. Was den zweiten Teil anbelangt führen wir im Team eine regelmäßigen Holacracy-Pulsmessung mittels einer Befragung durch, aus der man sieht, dass wir uns freier und eigeninitiativer organisieren. Aber viel wichtiger ist, wie wir in der Außenperspektive von Kunden und Partnern wahrgenommen werden. Und hier bekommen wir in den letzten 2 Jahren ein deutlich positiveres Feedback zur Zusammenarbeit und der Lösungsorientiertheit.
Was empfehlen Sie anderen Unternehmen?
Grundsätzlich: Einfach mal zu machen! Nicht immer nach perfekten Lösungen suchen und sich fragen, ob und wie ich es am besten machen. Es muss nicht immer Holacracy sein. Es gibt auch andere Möglichkeiten die eingefahrenen Wege zu verlassen. Am besten die Mitarbeiter mitnehmen, warum was passiert. Vielleicht sollten wir nicht gleich die Mitarbeiter von der Autobahn auf die Downhill-Piste mitnehmen, sondern uns erst einmal auf dem geschotterten Weg an die Unebenheiten gewöhnen. Aber um sich besser in einer VUCA-Welt zurecht zu finden empfehle ich immer die Organisation zu agilisieren und so Bürokratie und Barrieren zu beseitigen. Am besten funktioniert das mit externer Hilfe.
Christoph Wiedner, Manager Power, DEWETRON
Weshalb wurde Holacracy eingeführt?
Es war der Versuch, eine kleine Abteilung wieder in Gang zu bringen. Personaländerungen und die Änderung des Geschäftsmodelles waren der Auslöser bzw. Start in die Welt von Holacracy!
Was waren die größten Hindernisse?
Das transparente Arbeiten. Von einem Tag auf den Anderen waren alle Tasks für jeden sichtbar! Damit muss man lernen umzugehen.
Woran sieht man den Erfolg?
Nach einem Jahr mit dem agilen Ansatz, transparentem Arbeiten und einem starken Fokus haben wir mit nur sehr geringen Ressourcen neue Produkte und Lösungen für unsere Kunden entwickeltet und damit auch das Rückgrat für das Unternehmen "gestärkt".
Was empfehlen Sie anderen Unternehmen?
Es einfach auszuprobieren! Mann muss es spielen um zu lernen! Im Zuge der Einführung empfehle ich einen "professionellen" Facilitator.
Katharina Schwarz, Organisationsentwicklung, Wiener Wohnen Kundenservice
Weshalb wurde Holacracy eingeführt?
Unser Geschäftsführer ist ein Visionär und Pionier, der sich nicht damit zufrieden gibt Dinge so zu lösen, wie sie immer schon gelöst wurden. Er hinterfragt kritisch und verfolgt das Dogma „da geht noch was, das können wir besser“. So auch seine Überlegungen hinsichtlich einer herannahenden Pension und das Vakuum, das sich um seine Nachfolge auftut. Wie kann ein Unternehmen anders gesteuert werden, wie wird es unabhängiger von der Willkür einzelner Personen und vor allem, wer ist wirklich in der Lage gute Entscheidungen zu treffen? Durch die Schnelligkeit des Wachstums, der Zunahme an Komplexität und Anforderungen von außen, haben wir auch den Sinn hinterfragt, alles über die Spitze zu spielen. Nämlich über Personen, die sich hierarchisch übergeordnet fühlen, anstatt Entscheidungen dort zu treffen, wo sie auch umgesetzt werden.
Lange Zeit gab es die Start-up Atmosphäre bei uns, wo zusammen arbeiten schnell und unkompliziert war. Durch die Größe und den Aufbau einer Hierarchie sind Silos entstanden, Machtverhältnisse, die sich um Personen herum orientieren und nicht an dem Sinn, den wir als Unternehmen verfolgen. Das möchten wir ändern, daher beschäftigen wir uns intensiv mit anderen Methoden, wie beispielsweise Holacracy. Da wir nicht gewinnorientiert arbeiten, ist es für uns als ein 100%iges Tochterunternehmen der Stadt Wien noch wichtiger, sinn- und leistungsorientiert zu arbeiten. Die Mittel sind knapp, wir müssen also besonders darauf schauen, dass wir die Potentiale der MitarbeiterInnen voll entfalten können um unser Mutterunternehmen dabei zu unterstützen, langfristig leistbares Wohnen in Wien zu sichern.
Woran sieht man den Erfolg?
Der Erfolg, der sich bei denen zeigt, die bereits holakratisch arbeiten ist jener, dass nicht mehr geschaut wird, wie man vielleicht für sich persönlich den größten Nutzen hervorbringen kann, sondern wie jede einzelne Rolle, egal welcher Job dahintersteckt, ein Stück dazu beiträgt, dass wir unser Ziel erreichen. Und dabei ist jede/r wichtig, denn auch ein/e SachbearbeiterIn ist Teil eines größeren Ganzen, ohne die/den es nicht möglich wäre, dieses Ziel zu erreichen. Dieses Bewusstsein ist der größte Erfolg und öffnet sich Tag für Tag, Stück für Stück ein bisschen weiter.
Die größten Stolpersteine bei der Implementierung, die schließlich zum Stopp für den geplanten Rollout in der gesamten Organisation geführt haben, waren fehlendes Vertrauen untereinander und die Bereitschaft, dass wir uns gemeinsam auf ein Experiment einlassen ohne die Antworten auf alle Fragen zu kennen. Der Paradigmenwechsel weg von „ich muss alles wissen“ hin zu „ich weiß genug um zu starten, der Rest entwickelt sich auf dem Weg“ passiert ja nicht über Nacht, und die Skepsis gegenüber Neuem ist in unserer Kultur leider stark verankert. Die Kommunikation, dass es nachher keine Führungskräfte mehr gibt, hat zu Verunsicherung geführt und war falsch kommuniziert. Vielmehr braucht es Leadership, um die Menschen in die Selbstorganisation zu führen. Sowie ein ehrliches Commitment von der Führungsebene, um diese Veränderung mitzutragen.
Was empfehlen Sie anderen Unternehmen?
Ich empfehle ein gutes Coaching, gerade für Geschäftsführung und Führungskräfte, sowie Raum zur Reflexion während des Prozesses, um sich von den alten Rollen lösen zu können und die neuen mit Energie, einer neuen Wertehaltung und Leidenschaft für den Sinn zu erfüllen.
Manuela Grundner und Gregor Karlinger organisieren am 8. und 9. Mai die „Freiräume (Un)Conference“ in der Grazer Seifenfabrik, Österreichs größte Konferenz zu den Themen Selbstorganisation, Ganzheit und Sinn in Unternehmen. Im Rahmen der Konferenz wird am 10. Mai auch ein Workshop zum Thema Holacracy angeboten.
Alle Infos: http://freiraeume.community