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Nachhaltigkeit im Tourismus: Chance oder Klotz am Bein?

Lange Zeit wurde im Tourismus nur auf die Ankunfts- und Nächtigungszahlen geschielt. Diese sind durchaus beeindruckend: Laut World Tourism Organisation (UNWTO) gab es im Jahr 1950 rund 25 Millionen internationale Ankünfte, 2016 waren es schon 1,2 Milliarden und für 2030 werden 1,8 Milliarden erwartet. Der Markt wird weiter wachsen, weil der Wohlstand weltweit zunimmt und damit die Möglichkeit zu reisen. Karin Chladek, Roswitha M. Reisinger.

Natürlich hat das Auswirkungen. Der Tourismus ist nicht isoliert von gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen. Doch es gibt einige besonders wichtige Aspekte: der Ressourcen- und Energieverbrauch und der damit in Verbindung stehende Klimawandel (ökologischer Aspekt); die Arbeitsbedingungen (sozialer Aspekt) und der wirtschaftliche Aspekt. Gerade im Tourismus zeigt sich die enge Verbundenheit der drei Nachhaltigkeits-Dimensionen: Wenn etwa ein Hotel auf regionale Bio-Lebensmittel setzt, hilft das nicht nur der Umwelt, sondern stärkt auch die regionalen Wirtschaftskreisläufe und die Gesellschaft. Nach Angaben der Österreichischen Hoteliervereinigung (ÖHV) tätigen Hotels 80 % ihrer Investitionen (Waren und Dienstleistungen) innerhalb eines Radius von 90 km.

Große wirtschaftliche Bedeutung

Für Österreich hat der Tourismus große wirtschaftliche Bedeutung: Hierzulande sind rund 413.000 Menschen direkt im Tourismus beschäftigt. Das sind 11,6 % aller Beschäftigten. Sie trugen laut ÖHV 2016 7,1 % (24,1 Mrd. Euro) zum BIP Österreichs bei. Rechnet man Tourismus- und Freizeitwirtschaft zusammen, waren es laut WKÖ 2015 sogar 13,5% bzw. 45,7 Mrd. Euro. 135,2 Millionen Nächtigungen wurden gezählt, 2,5 % mehr als im Jahr davor.

Interessant ist der Blick auf die Herkunftsländer der Gäste: 2015 kamen laut Österreich Werbung (ÖW) knapp 50,2 Millionen Nächtigungsgäste aus Deutschland, fast 36,5 Millionen aus Österreich selbst, fast 9,2 Millionen aus den Niederlanden. Aus den USA kamen 1,7 Millionen Nächtigungen, aus Russland knapp 1,2 Millionen. Aus China kamen laut ÖW nach ersten Schätzungen 2016 erstmals mehr als eine Million Nächtigungsgäste. 

Betrachtet man das mögliche Interesse der Gäste an Themen der nachhaltigen Entwicklung, kann man sagen, dass die meisten Gäste aus westlichen Industrieländern kommen, in denen das Interesse an Nachhaltigkeit ungefähr so groß ist wie in Österreich selbst. Man sollte aber nicht den Fehler machen zu glauben, dass etwa chinesische Gäste kein Interesse hätten: Bei den Reisemotiven der ChinesInnen, die Österreich besuchen, werden die intakte Natur und schöne Landschaft, Kultur und die gastfreundlichen Menschen genannt. Das sind alles Motive, die man mit Nachhaltigkeit in Verbindung bringen kann. Erst vor kurzem wurde Österreich in China zur „Hottest Destination in Europe 2017“ gekürt. Ausschlaggebend waren neben den allgemeinen touristischen Trends und der Nachfrage vor allem die Performance auf den Plattformen Weibo und YouKu, den chinesischen Entsprechungen für Facebook und Youtube.

Für den für Österreich immer noch wichtigsten Markt Deutschland weiß man: Marktforschungsergebnisse der FUR Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen e.V. (FUR 2014) zeigen, dass derzeit etwa einem Drittel der deutschen Bevölkerung die ökologische Verträglichkeit von Urlaubsreisen wichtig ist. 38% möchten sozialverträglich verreisen.

Vom Alternativen Eck zum Trend

Die Anfänge eines Nachhaltigen Tourismus liegen in den umweltbewegten 1980er Jahren. Die Rede war von „Alternativem Tourismus“ oder „Sanftem Reisen“. Prägende Denker waren Jost Krippendorf und Hansruedi Müller. Aus dem Alternativen-Eck ist man mit Nachhaltigem Tourismus heutzutage draußen. Bio, Fairtrade und Nachhaltigkeit gelten als schick und trendig. Auch der Umsatz hat sich vervielfacht, und doch haben nach biologischen Kriterien produzierte Lebensmittel auch heute nur einen geringen Anteil am gesamten Markt. 7,8 % waren es im Juni 2016 laut BIO Austria in Österreich.

Ist das mit dem Nachhaltigen Tourismus ähnlich? Emma Arvidsson, CSR-Beauftragte bei dem zu Kuoni gehörenden Skandinavien-Spezialisten Kontiki Reisen, meint, man müsse Geduld haben. Das Interesse der KonsumentInnen an Nachhaltigkeit steige auch im Reisebereich. Die Vorreiter der nachhaltigen Reiseveranstalter in Österreich bestätigen positive Entwicklungen: Gerald Gschanes von Oliva Reisen verweist auf eine jährliche Nachfragesteigerung von 15 bis 20 Prozent bei den Gästen. Ähnlich Christian Hlade, Gründer und Geschäftsführer des Wanderreiseveranstalters Weltweitwandern.

Für große internationale Reiseveranstalter ist CSR jenseits von Charity zum Must-Have geworden. Josef Peterleithner, Leitung Nachhaltigkeitsmanagement bei TUI Österreich: „Von Unternehmen, die in der Touristik tätig sind und Qualitätsstandards und Innovationen für Urlaubsreisen kontinuierlich weiterentwickeln, wird Nachhaltigkeit erwartet. Allerdings ist die Bereitschaft des Kunden, dafür mehr zu bezahlen, eingeschränkt. Dies merkt man auch bei der freiwilligen CO2-Kompensation. Eines zeigt sich aber deutlich: Buchungen von zertifizierten Hotels – egal, welche Zertifizierung – steigen und haben einen höheren Stammkundenanteil.“

Branchenzahlen und Wesentlichkeitsmatrix finden Sie in der BUSINESSART auf Seite 9 und 10.

Nachhaltiger Tourismus in Österreich

Wie viele Tourismusbetriebe in Österreich nachhaltig arbeiten, kann man nur schätzen. Einen Näherungswert bieten die Tourismusbetriebe, die mit dem Österreichischen Umweltzeichen (UZ) zertifiziert sind: acht waren es 1996, 183 im Jahr 2001, Ende 2015 343. Die meisten davon, nämlich 135, finden sich in Wien. Es gibt also Luft nach oben.

Österreich war mit der Entwicklung seines Umweltzeichens früh dran. Otto Fichtl, Tourismusexperte des Umweltzeichen-Teams: „Das Österreichische Umweltzeichen war 1990 weltweit eines der ersten Zeichen für umweltgerechtes Wirtschaften. Natürlich lag der Fokus damals noch auf ökologischen Aspekten, da das Interesse an der Umwelt im Vordergrund stand.“ Heute werden sowohl ökologische, als auch soziale, wirtschaftliche und kulturelle Aspekte bedacht, wie z.B. Barrierefreiheit. Das UZ lieferte wichtige Impulse für andere Siegel, etwa das EU Ecolabel.

Das Umweltzeichen für Hotels bringt nicht nur ein gutes Image, betont Regina Preslmair. Die leitende Mitarbeiterin im Ministerium für ein lebenswertes Österreich (BMLFUW) erwähnt Einsparungsmöglichkeiten bei den Fixkosten, welche vorrangig bei der erstmaligen Zertifizierung erkannt würden. Geschätzt werde auch der kompakte Zertifizierungsprozess. Preslmair betont: „Ich werde nie vergessen, wie mir einer unserer Kunden seine wichtigsten Ordner zeigte: die zwei, die mit den Umweltzeichen-Unterlagen gefüllt waren. Durch diese hätte er die Möglichkeiten seines Betriebs erst richtig kennengelernt.“

Die Zertifizierung ist eine Maßnahme, um die nachhaltige Positionierung glaubwürdig kommunizieren zu können. Wer sich davon einen Gästeansturm erwartet, wird enttäuscht werden.

Die Umweltzeichen-Richtlinie für Green Meetings & Green Events existiert seit 2010 und erwies sich als großer Erfolg: 2010 wurden fünf Veranstaltungen zertifiziert, 2015 waren es schon 332. Barbara Skrott von Mondial Congress & Events: „Von Seiten der Teilnehmenden ist die Nachfrage eher gering, von Seiten der Kongressveranstalter ist sie aber gegeben.“ Teilnehmende an Kongressen würden wenig an nachhaltige Entwicklung denken, es aber positiv sehen, wenn etwa Gratis-Trinkwasser zur Verfügung stehe und die Veranstaltungsorte gut zu Fuß erreichbar seien. Das werde als gute Idee empfunden.

Gregor Kadanka, Chef von Mondial, einem der größten Kongressveranstalter in Österreich, bestätigt die Chancen im B2B-Bereich. Die ToDos für die Zertifizierung abzuarbeiten sei hilfreich, sonst gingen Dinge wie Fairtrade-Kaffee unter. Die Kosten seien weniger ausschlaggebend als die Mühe, sich mit den vielen Details auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung auseinanderzusetzen.

Barbara Dusek vom Umweltzeichen-Team: „Die große Nachfrage hatte nicht nur Auswirkungen auf Hotels mit Seminarangebot, sondern auch auf die Bereiche Catering und Gastronomie, die zunehmend mit nachhaltigen Anforderungen konfrontiert wurden. Und wenn einmal ein Großereignis wie der Song Contest als Green Event umgesetzt wird, hinterlässt dies deutliche ökologische Spuren.“

Die Krux mit den Arbeitsbedingungen

Im österreichischen Tourismus regieren allzu oft Hektik und Selbstausbeutung. Auch in den Chefetagen. Dagmar Lund-Durlacher, Leiterin des Departments of Tourism and Service Management an der MODUL University, sieht Handlungsbedarf: „Die Arbeitsbedingungen im oft sehr autoritär geführten Tourismus in Österreich sind ein großes Problem. Ein derart hierarchisches System ist nicht anziehend für junge ArbeitnehmerInnen der viel zitierten Generation Y. Sie sind an sinnstiftenden Tätigkeiten, Eigenverantwortung interessiert, und dies ermöglichen viele österreichische Tourismusbetriebe nicht. Deshalb haben sie auch Nachwuchssorgen.“ Vorzeigehäuser wie das Seminarhotel Retter oder das Hotel Hochschober auf der Turracher Höhe hätten das nicht. Beide Hotels sind für ihre Affinität zu Themen der nachhaltigen Entwicklung bekannt. Für seine Aktivitäten rund um Mitarbeiterentwicklung erhielt das Hotel Hochschober mehrere Preise. Zum Beispiel 2009 die Auszeichnungen als Frauen- und familienfreundlicher Betrieb sowie als Lehrbetrieb des Jahres. Die Ansätze? Hektik rausnehmen, MitarbeiterInnen regelmäßig schulen und mit Eigenverantwortung ausstatten. Aufstiegschancen. Faire Bezahlung. Familienfreundlicher werden. Zeitausgleich bieten. Privatsphäre ermöglichen.

Innovativ sein

Dagmar Lund-Durlacher zufolge ist die wirtschaftliche Abhängigkeit ganzer Regionen vom Tourismus oft ein Problem. Alte Strukturen würden zu lange künstlich am Leben erhalten. Man müsse auf geänderte Rahmenbedingungen (etwa den zunehmenden Schneemangel) schnell mit neuen Strategien reagieren. Innovativ sein. Wie zum Beispiel Werfenweng und die „Alpine Pearls“, die auf praktische, aber auch amüsante neue Verkehrsträger und -services setzen.

Klimawandel

Der Klimawandel ist ein Megathema. Tourismus ist sowohl Mitverursacher als auch „Opfer“. Bei einer Diskussion im November 2016 bezifferte Monika Langthaler von brainbows die Gesamtkosten für Österreich durch den Klimawandel mit rund acht Milliarden Euro. Die Reisebranche lebe von der intakten Natur und sei daher gefordert, einen relevanten Beitrag zu deren Erhalt zu leisten. In Österreich gelingt das durch die intelligente Kombination von öffentlichem Verkehr, Abholservices und Gästekarten.

Für Fernreisen sind Flüge allerdings unverzichtbar. Neben einigen wenigen Tipps für Gäste (wie Direktflüge zu buchen oder CO2 zu kompensieren) können TouristikerInnen derzeit wenig tun. Der Tourismusexperte und IMC-Lehrende Christian Baumgartner sieht die internationale Politik gefordert: „Die CO2-Kompensation der Flüge muss in den Reisepreis integriert werden.“ Auch Christian Hlade wäre dafür. Denn wenn alle CO2-adäquat mehr für Flüge zahlen müssten, wäre fairer Wettbewerb (wieder) hergestellt.

Ausblick

Weltweitwandern ist dafür bekannt, von Anfang an auf positives Wirken in den Reiseländern gesetzt zu haben. Hlade: “Unsere Reisen erhöhen die lokale Wertschöpfung, sie schaffen Arbeitsplätze, wir bilden MitarbeiterInnen aus und initiieren soziale Projekte.“

Das zeigt, dass Tourismus eine positive Wirkung auf die Entwicklung einer Region hat, wenn er nachhaltig konzipiert ist. Denn nur so wird er das erhalten, was die Gäste suchen: intakte Natur (Umweltaspekt), freundliche Betreuung/Kontakt (Mitarbeiteraspekt), sich sicher fühlen (sozialer und wirtschaftlicher Aspekt) und anderes mehr. Nachhaltig nennen das die Gäste nicht. Sie spüren die Nachhaltigkeit. Vielleicht sollte man das Wort „Nachhaltigkeit“ wenig benützen und lieber von Qualität und Innovation sprechen.

Nachhaltige Entwicklung ist vielschichtig, aber ein Prozess. Man muss glücklicherweise nicht alles sofort anpacken. Auch lange Wege beginnen mit den ersten Schritten. Man installiert eine Photovoltaikanlage oder entwickelt Partnerschaften in der Region. Nachhaltigkeit ist das Ziel, zu dem man unterwegs ist.