Ulrike Gelbmann, Universität Graz
Mensch sein heißt, Verantwortung übernehmen, sich schämen beim Anblick einer Not, auch wenn man keine Mitschuld daran hat, stolz sein über den Erfolg der Kameraden, seinen Stein beitragen im Bewusstsein, mitzuwirken am Bau der Welt (Antoine de Saint-Exupéry).
Wie wirkt sich unser Handeln auf die Umwelt und Gesellschaft aus? Das erforscht Ulrike Gelbmann seit Jahren an der Uni Graz. Besonders wichtig ist ihr dabei, dass ihre StudentInnen die Erkenntnisse in der Praxis umsetzen und für BürgerInnen verständlich aufbereiten. Gelbmann: „Ich lasse mich ungern zu etwas zwingen. Aber wenn mich jemand überzeugt, bin ich sofort dabei. Das lebe ich auch in der Lehre. Man muss Möglichkeiten schaffen und so überzeugend sein, dass die Leute gerne mitmachen.“ Prüfungen sind bei Gelbmann grundsätzlich Fallstudien, bei denen mehrere StudentInnen außerhalb des Hörsaals zusammenarbeiten und alle Unterlagen verwenden können. „Genau das ist doch die Situation in der Arbeitswelt. Lernen muss Spaß machen. Bei vielen Projekten gehen wir raus auf die Straße. Wir schaffen Bewusstsein für Abfallvermeidung durch ein großes Restl Festl, bei dem eine halbe Tonne Äpfel, Kartoffel und andere Lebensmittel, die sonst weggeworfen worden wären, verschenkt oder verkocht werden. Und zwar von einem Haubenkoch oder den Seminarbäuerinnen.“ Seit 2016 ist sie Vorsitzende des Studiums Global Studies, das sich kritisch mit globalen Herausforderungen auseinandersetzt – und diese über ein fair fashion Fest einfach verständlich transportiert.
Wie sieht für sie ein zukunftsfähiges Bildungssystem aus? „Wir müssen weg vom Gedanken, dass SchülerInnen instruiert werden müssen. Wir brauchen nicht so viel mechanistisches „Millionenshow“-Wissen. Es geht darum nachzudenken, mehrere Seiten sehen zu können und Empathie zu entwickeln. Die SchülerInnen müssen lernen, die Überfülle von Informationen zu strukturieren und verantwortungsvoll zu handeln. Bildung ist keine Elitengeschichte. Die Menschen sollten nicht so sehr von ihrem Bauch getrieben sein, sondern vom Verstand und Herz.“
Ihre Dissertation rund um die Abfallverwertung von Unternehmen schrieb Ulrike Gelbmann Ende der 1990er Jahre zuhause, als ihre Kinder klein waren. „Die damals entwickelten Modelle – Abfall als Rohstoff zu sehen und entsprechende Dienstleistungen anzubieten – ist heute aktueller denn je“, ist Gelbmann selbst erstaunt. Dem Re-Use-Standbein blieb sie treu und konzentrierte sich darüber hinaus immer stärker auf den Transfer vom Wissen zum Handeln und auf Corporate Social Responsibility (CSR – Nachhaltigkeit für Unternehmen).
So war sie auch an Bord, als 2007 in Österreich versucht wurde, eine CSR Güterichtlinie für Unternehmen zu erstellen. Doch das Projekt scheiterte. Zu stark war der Gegenwind aus der Wirtschaftsecke. „Ich habe das damals als Misserfolg erlebt, war entsetzt und traurig. Wir hatten viel Arbeit hineingesteckt, die keiner bezahlt hat.“ Aus der Distanz betrachtet sehe die Sache ein wenig anders aus. „Wir haben damals erarbeitet, was CSR bedeutet. Die Gegenseite hat unsere Position durchgedacht – und CSR entwickelt sich in die richtige Richtung. Ich habe erkannt, dass man mit kleinen Beiträgen CSR zum Mainstream machen kann.“
Eine ähnliche Blockade erlebte Gelbmann als 2012 der Österreichische CSR-Aktionsplan erstellt werden sollte. Auch da entstand eine Front zwischen Unternehmen und NGOs, die bis heute nicht wirklich aufgelöst ist. Gelbmann verortet sich in der Mitte: „Mir ist wichtig, dass die Unternehmen etwas tun. Grundsätzlich stehe ich aber auf dem Standpunkt, dass Druck Gegendruck erzeugt. Es geht darum, dass Menschen über ihr Tun nachdenken. Ich darf nicht versuchen, sie zu zwingen, ich kann sie höchstens dazu motivieren, es selbst zu wollen. Verbote machen Türen zu und verhindern Zukunftsfähigkeit. Und ich muss so reden, dass mich die Menschen verstehen und ich sie beim Herz erwische und nicht nur beim Kopf.“ Sie hält es mit Heinz von Foerster: Handle so, dass die Anzahl deiner Möglichkeiten wächst.
BUSINESSART: Was hat Sie geprägt?
Gelbmann: Das Prinzip Verantwortung zu übernehmen. Meine Mutter hat mir als Kind das Buch „Der kleine Prinz“ in die Hand gedrückt. Eines der berühmtesten Zitate daraus – du bist für das verantwortlich, was du dir vertraut gemacht hast – ist für mich eine Art Lebensleitsatz. Wir haben uns die Erde untertan gemacht, wir sind aber auch für sie verantwortlich.
Ihre Lehrmethoden sind etwas ungewöhnlich habe ich mir sagen lassen.
Das mag sein. Ich lasse mich selbst ungern zu etwas zwingen. Aber wenn mich jemand überzeugt, bin ich sofort dabei. Das lebe ich auch in der Lehre. Man muss Möglichkeiten schaffen und so überzeugend sein, dass die Leute gerne mit machen. Prüfungen sind bei mir grundsätzlich Fallstudien, bei denen mehrere außerhalb des Hörsaals zusammenarbeiten und alle Unterlagen verwenden können – take home exam nenne ich das. Genau das ist doch die Situation in der Arbeitswelt. Seit 15 Jahren mache ich das so, mit großem Erfolg. Lernen muss Spaß machen.
Bei vielen Projekten gehen wir auch raus auf die Straße. Wir schaffen Bewusstsein z.B. für Abfallvermeidung durch ein großes Restl Festl, bei dem eine halbe Tonne Äpfel, Kartoffel und andere Lebensmittel, die sonst weggeworfen worden wären, verschenkt oder verkocht werden. Und zwar von einem Haubenkoch oder den Seminarbäuerinnen. So haben wir 1.500 Leute, davon 400 Schulkinder, direkt erreicht und noch viel mehr über Social Media und klassische Medien wie den ORF.
Was waren Schlüsselerlebnisse in Ihrem Leben?
Ich bin rund um das Jahr 2002 auf das Konzept des radikalen Konstruktivismus gestoßen. Der Name klingt schaurig, aber der Gedanke ist hilfreich: Ich muss nicht erkennen, was die Welt im Innersten zusammenhält, ich muss nicht die letzte Wahrheit finden. Wahr ist, was funktioniert, und dass ich an Ort und Stelle präsent bin und das tue, was gerade richtig ist. Dieser Zugang erleichtert das Leben ungemein.
Auch meine Söhne bereichern mein Leben massiv.
Geprägt hat mich, dass ich immer wieder mit schwerkranken Menschen konfrontiert war und Verantwortung übernehmen musste. Da entwickelt man eine eigene Energie, wenn es darum geht, etwas aufzubauen oder weiter zu entwickeln, wie zum Beispiel das Studium „Global Studies“. Das sollte eigentlich geschlossen werden. Aber ich fand es wichtig und dachte, dass es nur ins richtige Licht gerückt werden muss. Ein erster Schritt ist uns mit dem Fair Fashion Festl, einem Studierendenprojekt zur Bewusstseinsbildung für die breite Öffentlichkeit, gelungen. Für diese innovativen Lehrmethoden sind wir bereits zwei Mal ausgezeichnet worden – das ist sehr ungewöhnlich und eine schöne Bestätigung. Aber noch mehr freut mich, dass wir Dinge bewegen und in Gang setzen können.
Was ist Ihr Ziel? Was ist Ihr Traum?
Da muss ich Sie jetzt enttäuschen. Ich habe keine großen Träume. Ich möchte die Menschen mit meiner Begeisterung anstecken, die entsteht, wenn man sozial und ökologisch handelt. Ich möchte, dass die Menschen nachdenken, bevor sie etwas tun, dass sie nicht den Rattenfängern hinterdrein laufen. Darum ist Bildung auch so wichtig – und mein Lebensziel. Seit 12 Jahren arbeite ich deshalb auch für die Kinderuni.
Wie sieht ein zukunftsfähiges Bildungssystem aus?
Wir müssen weg vom Gedanken, dass SchülerInnen instruiert werden müssen. Wir brauchen nicht so viel mechanistisches „Millionenshow“-Wissen. Es geht darum nachzudenken, mehrere Seiten sehen zu können und Empathie zu entwickeln. Die SchülerInnen müssen selbst lernen zu denken, imstande sein, die Überfülle von Informationen zu strukturieren und verantwortungsvoll zu handeln. Bildung ist keine Elitengeschichte. Die Menschen sollten nicht so sehr von ihrem Bauch getrieben sein, sondern vom Verstand und Herz. Wie es mit unserer Demokratie weitergeht, liegt an den Menschen, daran, dass sie sich dafür interessieren und nicht für Rattenfänger.
Was wünschen Sie sich von der nächsten Bundesregierung?
Sie soll weniger darüber nachdenken, wie viele Stunden ein Lehrer unterrichtet, als darüber, wie und was unterrichtet wird. Wir brauchen ein modernes Bildungssystem und müssen vor allem bildungsferne Schichten erreichen.
Und sie soll das Problem der Migration an der Wurzel packen. Das lösen wir nicht an den österreichischen und europäischen Grenzen. Wir müssen es vor Ort lösen, indem wir schauen, dass es den Menschen in ihren Herkunftsländern besser geht.
Mag. Dr. Ulrike Gelbmann
- Geboren am: 17.8.1969
- Ausbildung: Studium der Betriebswirtschaft
- Berufsweg: 1991 bis 2007 Institut für Innovations- und Umweltmanagement, Universität Graz, seither Institut für Systemwissenschaften, Innovations- und Nachhaltigkeitsforschung, ebenfalls Universität Graz. Daneben Tätigkeit in uni-internen und -externen Gremien und (Forschungs-) Projekten, Beratungs- und Unterrichtstätigkeit für die Unternehmens- und NGO-Praxis, Organisation von und Mitwirkung in nachhaltigkeits- und abfallbezogenen Veranstaltungen für die breite Öffentlichkeit, jahrelanges Engagement für die Kinderuni Graz.
- Für ihre Lehrmethoden wurde sie bereits zweimal ausgezeichnet.
- Motto: Mensch sein heißt, Verantwortung übernehmen, sich schämen beim Anblick einer Not, auch wenn man keine Mitschuld daran hat, stolz sein über den Erfolg der Kameraden, seinen Stein beitragen im Bewusstsein, mitzuwirken am Bau der Welt (Antoine de Saint-Exupéry).