35 Jahre und ein bisschen weise
Sonnentor-Gründer Johannes Gutmann im Interview
Vor 35 Jahren hat Johannes Gutmann Sonnentor gegründet. „Sinnmaximierung statt Gewinnmaximierung“ ist die Devise. Heute beschäftigt das Vorzeigeunternehmen 540 Mitarbeiter*innen. Wir haben Johannes Gutmann gefragt, was ihn heute so umtreibt.
BUSINESSART: Was beschäftigt dich – 35 Jahre nach Gründung von Sonnentor – aktuell?
Johannes Gutmann: Die Biobranche hat im letzten Jahr ziemlich gelitten. Aber das Gute daran ist: Es brauchte diese Korrektur – das Wachstum der letzten Jahre war zu schnell. Auch Bio-Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht. Es ist ein Pendel, das immer hin- und herschwingt. Wichtig ist, sich zusammenzutun und auf Augenhöhe zu kooperieren. Unsere langfristigen Partnerschaften tragen uns immer über Krisen hinweg – da zeigt sich, wer verlässlich ist und wer nicht.
Auch die Energiekrise beschäftigt mich. Sie hat unsere Verwundbarkeit und Abhängigkeit noch deutlicher gezeigt, und Bio ist noch deutlicher als Lösung prädestiniert, weil Bio nicht von Kunstdünger und Spritzmitteln abhängig ist. Wir müssen auf unsere Felder aufpassen, auf die Biodiversität und unsere gesunde Umwelt.
Wieso ist der Bioabsatz zurückgegangen?
Alles ist viel teurer geworden. Das trifft uns auch entlang der gesamten Wertschöpfungskette. So geht es aktuell allen. Mit dem Preis nach oben gegangen sind aber vor allem die konventionellen Produkte. Mit einem Plus von nur 4,5 Prozent ist Bio deutlich resilienter.
Wenn du die 35 Jahre zurückschaust – was fühlst du?
Ich spüre eine große Dankbarkeit und Demut zu allen, die seit Anfang an dabei sind, und denke mir: „Wow! Wie klass ist das!“ Die vielen Krisen, die wir gemeinsam gemeistert haben. Wichtig war mir immer, mich um meinen und um unsere Wege zu kümmern.
Woraus hast du am meisten gelernt?
Aus meinen Verlusten. Das ist wie beim Autofahren. Wenn einen der Stolz des Unternehmers verführt. Ich bekam das Angebot, ein Geschäft im Museumsquartier zu eröffnen: beste Lage, 70 m2, faire Miete, 1,5 Mio. Passant*innen pro Jahr. Ich, als kleines Schwammerl, habe blauäugig den Vertrag unterschrieben. Dann haben wir einen barocken Pferdestall umgebaut, Leitungen gestemmt, nicht wissend, was sich dahinter verbirgt. Das größte Manko war, dass wir keinen Zugang zum Innenhof hatten. Die Menschen haben uns nicht gefunden, sind nicht an unserem Eingang vorbeigelaufen. So funktioniert es einfach nicht. Heute bin ich für diese Erfahrung sehr dankbar. Ich weiß jetzt, wie es nicht geht.
Und wie geht es?
Man muss die eigenen Kompetenzen stärken: Standorte, wo man Kund*innen erreicht, die Werte kaufen, und Franchisepartner*innen, die den Kundenkontakt haben und mögen.
Kann man ein Unternehmen aufbauen und auch noch Zeit für Familie haben?
Unbedingt. Das ist das Wichtigste.
Viele Unternehmer*innen können nicht abschalten. Wenn du das nicht schaffst, dann hat die Familie gleich einmal Pause. Das habe ich mit meiner ersten Frau erlitten. Wir haben die Balance nicht gefunden. Heute ziehe ich ganz klare Grenzen, ich ziehe die Dinge nicht mit einer kleinen Rückfrage wieder an mich, ich klaube nicht jedes Sandkorn auf, das bringt Sand ins Getriebe, genauso wenn man die Dinge aufbläst wie einen Luftballon und aus einer Mücke einen Elefanten macht. Das wird dann übermächtig.
Darüber hinaus war delegieren für mich immer wichtig. Die Menschen arbeiten immer nach bestem Wissen. Wenn sie das tun können, dann wachsen sie. Als Führungskraft bist du gefordert, sie empathisch zu begeistern. Das habe ich von meinem Vater gelernt, der mir immer gesagt hat: Ich kann dir da nicht helfen, ich kann dir nur ein Dach geben und eine emotionale Tankstelle sein.
Und du bist von Mitarbeiter*innen nie enttäuscht worden?
Ich bin immer von den Mitarbeiter*innen überrascht worden. Die anderen haben sich von selbst wieder verabschiedet. Die, die sich weder wohlfühlen noch anpacken, die gehen von selbst. Unsere Mitarbeiter*innen stehen direkt im Geschehen, direkt im Kund*innenkontakt. Wenn irgendwo ein Pickerl schief draufpickt – das sagt der Kunde/die Kundin ja sofort. Und unsere Franchisepartner*innen stehen sofort auf der Matte, wenn was nicht funktioniert. In der Qualität wachsen ist immer möglich.
Sicher haben wir auch Leute gesehen, die gefragt haben, wann der Ferrari vor ihrer Tür steht. Das ist sehr nett, aber ihnen haben wir freundlich und sehr glücklich abgesagt. Das trägt sich nicht, das hat in der heutigen Zeit keinen Platz. Falsche Fragen zur falschen Zeit bestrafen sich selbst. Wir wollen nicht der Gewinnvermehrung, sondern der Sinnvermehrung dienen.
Sonnentor ist über die 35 Jahre kontinuierlich gewachsen. Wann war der Zeitpunkt, an dem du gemerkt hast: Jetzt geht es nicht mehr als alleiniger Geschäftsführer, jetzt brauche ich Kolleg*innen?
Das war 2014, als meine Frau Zwillinge bekommen hat. Da hatten wir dann drei Kinder und ich wollte nicht noch einmal das gleiche erleben, wie bei meinen ersten Kindern. Ich wollte mich mehr um meine Kinder kümmern, sie zum Beispiel vom Kindergarten abholen. Und auch meine Frau wollte halbtags arbeiten.
Wie hast du den Prozess angelegt?
Ich arbeite kontinuierlich mit einer Unternehmensberatung zusammen, und diese Entwicklung war schon lange geplant. Einige Mitarbeiter*innen hatten schon die Prokura. Dann habe ich sie einfach gefragt, ob sie sich die Geschäftsführung vorstellen können. Für mich war das kein großer Schritt. Ich wusste ja schon, was sie können, sie haben Entscheidungen bereits gesehen und mitgetragen. Das war ein völlig klarer Schritt. Und es klappt auch hervorragend in Tschechien. Sonnentor würde es nicht so gut gehen, wenn es das Tochterunternehmen nicht gäbe.
Gibt es bei euch Bonifikationen?
Nein, es gibt keine Bonifikationen. Das verdirbt den Geist der Zusammenarbeit. Alle tragen zum Erfolg bei und verdienen gut. Alles andere wird investiert.
Welchen Bereich der Geschäftsführung hast du dir behalten?
Die Strategie. Obwohl: Wenn ich an einen Baum anfahre und es ist aus, geht es genauso gut weiter.
Meine Frau hat die Bereiche Strategie, die Sonnenscheinchen und das Geschäft in Zwettl. Das ist wunderbar, weil wir in der Familie wissen, wie die Kund*innen unsere Leistungen beurteilen.
War es schwierig für dich, loszulassen, Verantwortung zu übergeben?
Überhaupt nicht. Ich habe schon immer die Leute ins Vertrauen gezogen, mit ihnen auf Augenhöhe zusammengearbeitet. Sie haben mich schon vor vielen Blödheiten bewahrt. Ich habe das Glück, aus einem Pool von unternehmerisch denkenden Menschen wählen zu können. Wenn meine Kinder einmal nicht ins Unternehmen einsteigen – das macht nichts. Es wird trotzdem ein Familienbetrieb bleiben.
Wo siehst du dich in 10 Jahren?
Da bin ich 67 und nach wie vor G‘schichtldrucker. Wir sind gerade dabei, die Geschichte von Sonnentor zu dokumentieren und ein Video zu drehen, in dem auch die Partner*innen und die Bauern und Bäuerinnen zu Wort kommen. Wir werden Hoppalas erzählen, was wir daraus gelernt haben und wie es besser weitergegangen ist. Gelernt habe ich vor allem: Wenn andere sagen, es geht nicht, dann hast du eine Goldader gefunden.
Du hast 2019 die Bewegung „Enkeltaugliches Umwelt“ gegründet. Was war der Auslöser dafür?
Wir untersuchen unsere Gewürze kontinuierlich auf Rückstände. In 2,5 Prozent der Proben haben wir Dinge gefunden, die nichts mit Bio zu tun haben. Das sind Rückstände von Nachbarfeldern konventioneller Bauern und Bäuerinnen. Aber diejenigen, die die Abdrift bekommen, dürfen den Scheiß ausbaden. Und die anderen sagen lapidar: „Wir dürfen ja.“ Auch die EU hat entschieden: Verantwortlich sind die Bauern und Bäuerinnen, bei denen es gefunden wird. Die Versicherung hilft den Biolandwirt*innen auch nicht. Daher haben wir den Verein „Enkeltaugliche Umwelt“ gegründet. Die Bäuerinnen und Bauern zahlen in einen kleinen Fonds. Und wenn sie unverschuldet eine Abdrift haben, dann bekommen sie 70 Prozent des Schadens ersetzt.
Dann haben wir gemerkt, dass wir uns die ganze Wirtschaft anschauen müssen. Unser Weg, der Bio-Weg ist resilient, er trägt in die Zukunft. Was bei uns funktioniert, muss auch in der Wirtschaft funktionieren. Das Gesetz schreibt 25 Prozent Bio-Lebensmittel in öffentlichen Küchen vor. Tatsächlich sind es vier Prozent, weil es überall als „Kann-Bestimmung“ ausgelegt wird (außer in Wien und Burgenland). Argumentiert wird, dass es zu wenig Bio gibt.
Das stimmt nicht! Bio ist ausreichend verfügbar! Und wir brauchen Qualität in den Außer-Haus-Küchen. Als enkeltaugliche Wirtschaft reden wir mit Politiker*innen und betreiben Bewusstseinsbildung. Die Bundesbeschaffungsagentur sagt: „Wir wollen Bio einkaufen. Aber wir können es uns nicht leisten.“ Ähnliches gilt auch für das Bundesheer. Dabei geht es hier massiv um Versorgungssicherheit.
Aus der enkeltauglichen Umwelt wurde enkeltaugliches Österreich
Es ist eine Freude zu sehen wie dieses Ziel Schritt für Schritt angegangen wird. Das Glück ist, wir hängen nicht am Fördertropf – wir sind unabhängig. Wir sind Unternehmen. Wir wissen, was wir brauchen, wir wissen, was uns gefährdet und was uns unterstützt.
Wir legen Finger in die Wunde. Viele freuen sich über unsere Hilfe. Wir haben in kürzester Zeit eine Stimme bei den Mercosur-Verhandlungen bekommen, weil es darum geht, die Spritzmittel zu reduzieren – aber sie wissen nicht wie.
Alle Waldverbände Österreichs sind mit im Boot. Das ist enorm wichtig. Denn welche Luft du einatmest – das kannst du nicht wählen. Wir haben gerade wieder eine Studie gesehen: In der Luft wurden Spritzmittel gefunden, die seit 30 Jahren verboten sind.
Wie kann das sein?
Sie werden illegal verwendet. Da gibt es einen großen Schwarzmarkt mit Ländern, wo diese Mittel nicht verboten sind, z.B. DDT in Albanien. Da darf man nicht mitmachen, wenn man will, dass die Wirtschaft in die Zukunft geht.
Was braucht es, dass die Wirtschaft in die Zukunft geht?
Transparenz, Vorbildwirkung und 100% Bio. Was ich selbst nicht will, darf ich nicht tun. Das Leben kann so schön sein und einfach. Wir haben uns ein bisschen verrannt. Wir bei Sonnentor wollen Teil der Lösung sein.
Wer kann bei euch mitmachen?
Alle Unternehmen können mitmachen. Lebensmittelproduzent*innen müssen zu 100 Prozent biologisch arbeiten. Alle anderen müssen in einem Nachhaltigkeitsbericht ganz transparent ihren Status zur Nachhaltigkeit kommunizieren. Entscheidend ist, dass das Unternehmen nicht umweltzerstörend, sondern umweltfördernd wirkt. Die Letztentscheidung liegt natürlich beim Vorstand des Vereins.
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