Delna Antia-Tatic, Amar Rajkovic, das biber
Das Magazin biber steht für gelebte Vielfalt in Österreich, für eine gelungene Integration von Menschen mit migrantischem Background bei Beibehaltung kultureller und sprachlicher Vielfalt.
Jungjournalist*innen mit Migrationshintergrund finden in der biber-Akademie eine Heimat und machen die österreichische Medien- und Kommunikationslandschaft diverser. Das biber schreibt für pluralistische Toleranz in einer demokratischen Gesellschaft und positioniert sich klar gegen extremistische Strömungen, die diese Vielfalt bedrohen.
Erst 2006 gegründet, ist das biber aus der Medienlandschaft Österreichs nicht mehr wegzudenken. Was hat Herausgeber Simon Kravagna bewogen, das Magazin zu gründen?
Amar Rajkovic: Simon hat festgestellt, dass es in Wien mehr Welten gibt als die typisch österreichische, aber keine Journalist*innen mit Migrationshintergrund, die darüber berichten könnten. Am Anfang war das biber ein richtiges Garagenprojekt – Journalist*innen wurden mit Pizza bezahlt, die Redaktionssitzungen fanden im Café statt, engagierte, g’standene Journalist*innen unterstützten die jungen unkontrollierbaren. Es entstand hier etwas einzigartig Neues.
Wie war die Resonanz zu Beginn?
Rajkovic: Nur positiv. Jeder wollte sich mit dem biber-Logo fotografieren lassen. Ich war von Anfang an mit dabei und erinnere mich gut an viele legendäre Partys – wir waren cool, hipp und leiwand. Wir haben ein breites und vielfältiges Publikum – Menschen von der Basis, aber auch viele aus studentischen Kreisen. Diversität wurde damals ganz groß geschrieben. Das ist heute anders.
Was sich das geändert?
Delna Antia-Tatic: Es ist ein Auf und Ab, es gibt gesellschaftliche Wellen. Aktuell erleben wir wieder einen Aufwind in Sachen Diversität – Entwicklungen wie „Black Life Matters“ begünstigen das, weil sie aufrütteln. Auch die Kinder in Moria überschreiten eine Schwelle, an der viele Menschen sagen „das reicht, das ist zu viel“. Gerade junge Menschen informieren sich über Social Media, auch international. Sie wissen, was los ist.
Wie geht es den „Neuen Österreicher*innen“ hier bei uns?
Antia-Tatic: Bei vielen „Neuen Österreicher*innen“, also Menschen der zweiten oder dritten Generation, erlebe ich einen großen Frust. Selbst fühlt man sich schon komplett integriert, hat alle Regeln eingehalten, alles gemacht und muss trotzdem für manche Politiker*innen aus wahltaktischen Gründen als Sündenbock herhalten. Derzeit erzeugt die Politik eher das Gefühl, dass man die echten Österreicher*innen vor den zugewanderten Menschen schützen muss, weil diese bedrohlich seien.
Ich hoffe ja, dass Politiker*innen endlich einmal draufkommen, dass ein Programm gegen Menschen nichts bringt, sondern dass es ein Programm für Menschen braucht.
Es ist schwer geworden für Medien, finanziell zu überleben. Wie schafft ihr das?
Rajkovic: Das erfordert viel Flexibilität und Kreativität. Am Anfang lernten wir mit dem Kopf knapp über dem Wasser zu leben – entweder man schwimmt oder man geht unter. Wir haben – neben dem Anzeigenverkauf für das Magazin – überparteiliche Wahlkampagnen gemacht und als eine Art Werbeagentur gearbeitet. Wir waren und sind einfach innovativ und flexibel.
Gibt es Grenzen für Werbepartner?
Antia-Tatic: Theoretisch ja – wir unterstützen keine Hetze. Aber in der Praxis stellt sich die Frage eigentlich nicht.
2011 habt ihr die biber-Welt erweitert und die biber-Akademie gegründet, die Journalist*innen mit Migrationshintergrund ausbildet. Was ist euer Ziel?
Antia-Tatic: Journalismus ist eigentlich ein sehr elitärer Beruf. Menschen, die ihn ergreifen, kommen meist aus einem bürgerlichen Elternhaus, in dem am Wochenende die Sonntagszeitung gelesen wird. Zudem ist die Ausbildung teuer. Mit der biber-Akademie sprechen wir nun jene an, die diese Voraussetzungen nicht mitbringen. Wir holen junge Menschen mit Migrationsbackground, die Gastarbeitereltern oder einen Fluchthintergrund haben, und geben ihnen Raum sich auszuprobieren, ihre Identität zu finden, ihre Mehrsprachigkeit als Benefit zu erkennen und einzusetzen – und dann legen wir ihnen eine Brücke zu möglichen Arbeitgeber*innen.
Rajkovic: Mit der Akademie wollen wir Diversität in allen Bereichen ermöglichen. Sie ist ein Sprungbrett für Menschen mit Migrationshintergrund. Wir nehmen die Teilnehmer*innen vom ersten Tag an in unsere Arbeit mit – wir setzen Vertrauen in sie und stoßen sie ins kalte Wasser. Unsere Absolvent*innen arbeiten mittlerweile in vielen Medien, im Boulevard, beim ORF, bei fm4, bei Qualitätszeitungen, aber auch in Kommunikationsbüros von Unternehmen und der öffentlichen Hand.
Mit eurem Newcomer-Projekt stärkt ihr Schüler*innen
Rajkovic: Ja, das ist Journalismus zum Schnuppern. Wir gehen an Brennpunktschulen und zeigen Schüler*innen im Rahmen von Projektwochen wie man Blogs schreibt oder gute Fotos macht. Aber wir interessieren uns auch dafür, was sie denken, was sie beschäftigt, wir hören ihnen zu und tauschen uns aus. Gerade das brauchen sie besonders.
Wo wollt ihr hin? Was sind eure nächsten Schritte?
Antia-Tatic: Das ist eine große Herausforderung, weil sich Medien extrem wandeln. Natürlich wollen wir weiterhin junge Leute ansprechen und unsere Medien und Kanäle weiterentwickeln. Wichtig ist uns aber auch, das, was gut ist, zu halten. Biber is going strong!
Rajkovic: Bei uns bewerben sich immer häufiger junge Leute aus Deutschland, die ein zweimonatiges Praktikum machen wollen, weil es so etwas in Deutschland nicht gibt. Und das, obwohl es ein so großes Magazinsterben gibt. Da geht es einerseits darum, bescheiden zu bleiben und zu wissen, wo man herkommt. Andererseits ist schon ein Ziel, Deutschland zu erobern. Dort gibt es eine ähnliche Kultur und ähnliche Herausforderungen. Aber die Entwicklung soll organisch sein und wir setzen langsam einen Schritt nach dem anderen.
Wie schafft ihr es, eine mediale Identität und emotionale Heimat für „Neue Österreicher*innen“ zu sein?
Antia-Tatic: Indem wir authentisch sind, weil unsere Artikel von Neuen Österreicher*innen geschrieben werden. Im biber wird nicht über Migrant*innen geschrieben, sondern von Insidern. Journalist*innen können den Reichtum, den sie mitbringen, einsetzen, die Mehrsprachigkeit in der Recherche nutzen, sie kennen die kulturellen Codes. Dadurch kommt eine ganz andere Geschichte heraus, in der sich viele wiederfinden. Wir nennen das Community Journalismus, der aber durchaus selbstkritisch arbeitet. Wir sprechen zum Beispiel den Rassismus der Balkan-Community untereinander an. Wir brechen Tabus und reden über Sex im Islam. Oder unsere Geschichte über das Leben tschetschenischer Frauen unter Sittenwacht: Wir haben mit den jungen Frauen gesprochen – sie können bei uns selbst zu Wort kommen. Wir geben jenen, die in unserer Gesellschaft abgestempelt werden, eine Stimme.
Das biber wird aber auch von vielen autochtonen Österreicher*innen gelesen, die einen Einblick in die Welt der Neuen Österreicher*innen gewinnen und sie besser verstehen wollen.
Ein wichtiger Aspekt ist auch, dass Menschen bei uns eine journalistische Heimat finden. Alle Journalist*innen, die durch die Akademie gegangen sind, fühlen sich hier endlich zuhause – sie sind nicht ständig „der/die andere“, sondern in ihrem Anderssein gleich. Das erleichtert und stärkt.
Wann ist Integration gelungen? Wann nicht?
Antia-Tatic: Einerseits gibt es messbare Dinge, die man von außen sehen kann, wie Sprachkompetenz, Bildungszugang und Entwicklungsmöglichkeiten. Das andere ist das Gefühl, das zugewanderte Menschen selbst haben, ob sie sich als Teil der Gesellschaft fühlen, ob sie mitgestalten können oder ob sie immer erst beweisen müssen, dass sie gut genug sind oder richtig. Oft hört man „Du bist aber kein/e richtige/r Österreicher*in“ und erstaunt „Du sprichst aber gut Deutsch!“.
Wie verbessert eure Arbeit die Welt?
Antia-Tatic: Wir bringen durch unseren Journalismus neue Perspektiven und dadurch Möglichkeiten, die Welt neu zu verstehen. Wir verändern die Welt vor allem durch die Akademie – die Absolvent*innen machen Vielfalt sichtbar und leben sie in den Entscheidungsfunktionen.
Wie sieht die Zukunft aus, wenn ihr erfolgreich seid?
Antia-Tatic: Wenn die ZIB2 von einer Frau mit Migrationshintergrund und Kopftuch moderiert wird. (lacht) In einer guten Zukunft ist es ganz normal, dass Österreicher*innen internationale Namen haben, vielfältig aussehen und unzählige Sprachen sprechen.
Delna Antia-Tatic, Chefredakteurin, Amar Rajkovic, stv. Chefredakteur
Biber VerlagsGmbH, Wien
Magazin das biber: "biber" bedeutet auf türkisch "Pfefferoni" und auf serbokroatisch "Pfeffer". Erscheint 8 Mal pro Jahr.
Anzahl der Mitarbeiter*innen: 7