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Vom Arbeitermilieu ins Hauptabendprogramm

Wie wird man vom Wissenschaftler zum TV-Star? Wenn es einer weiß, dann Hans-Peter Hutter. Warum er mal Sandwichverkäufer war, weshalb er vom Lycée flog und wie er mit Anfeindungen umgeht: Der Umweltmediziner im Porträt.

Dr. Hans-Peter Hutter im blau-weiß gemusterten Hawaii-Hemd blickt spitzbübisch und mit wachen Augen in die Kamera.
Foto: KLAUS PICHLER

Der Sechsjährige steht beim Vorsingen der Wiener Sängerknaben. Schon die ersten Töne, die er nachsingen soll, verraten: „Wir waren null musikalisch. Aber meine Mutter hat sich eingebildet: Aus dem Bub muss was werden.“

Hans-Peter Hutter wirft im Rollen ein Bein über den Fahrradsattel, hinter ihm rote Straßenbahnen, das Riesenrad. Er betritt die Konditorei mit scharfem Blick, die Statur ist drahtig, sein Hemd bunt-kariert.

Hutter ist Oberarzt und stellvertretender Leiter der Abteilung für Umwelthygiene und Umweltmedizin an der Medizinischen Universität Wien. Zwar wurde aus ihm kein Sängerknabe, dafür aber ein Popstar der Wissenschaft und TV-Kultfigur. Unzählige Interviews zu Lockdown oder Impfstoff zeigen, was er am besten kann: schwer Begreifbares einfach verpacken und im Hawaiihemd servieren.

Ein Arbeiterklasse-Kind fliegt vom Lycée

Geboren wird Hutter 1963 in Wien und wächst im Arbeitermilieu der Leopoldstadt auf, wo er bis heute lebt. Seine Mutter war Buchhalterin, der Vater arbeitete „am Bau“: „Bei uns ist man nach der Hauptschule arbeiten gegangen. Aber meine Eltern haben sich dafür eingesetzt, dass ich die Matura mache.“ Dafür sollte Hans-Peter ins Lycée Français – obwohl in seiner Familie niemand Französisch spricht.

„Ich konnte schon als Kind nicht stillsitzen, hatte immer Ideen, wollte alles ausprobieren.“ Und auch im Lycée-Zeugnis steht: „Das Kind ist unruhig und stört die Klasse.“

Weltenbummler und Tausendsassa

Nach der Matura zieht er nach Kalifornien. „Als die Skateboard-Welle Mitte der 1970er über Österreich schwappte, hat sie mich mitgenommen und nicht mehr losgelassen.“ In LA verdient er sein Geld als Schuh- und Sandwichverkäufer, später schreibt er Zahnstocher-Tests für die Tageszeitung Der Standard. 25 Jahre lang, bis zu seiner Habilitierung 2010, steht er an der Kassa des Ensemble Theaters Wien. In die Umweltmedizin ist er „hineingestolpert“.

„Studiert hab‘ ich aus reinem Interesse“, sagt er schulterzuckend. Erst „Landschaftsökologie und Landschaftsgestaltung“ an der Universität für Bodenkultur, später noch Medizin. „Ökologie hat mich extrem gepackt. In diese komplexen Systeme zu blicken, hat mir die Augen geöffnet.“ Besonders interessant: der Zusammenhang mit Menschen. „Wie wirken Umweltfaktoren wie Lärm oder Luftverschmutzung auf Menschen und ihre Gesundheit?“

Der Umweltmediziner zu Anfeindungen

Weil er Komplexes einfach rüberbringt, wird er begehrter TV-Experte. Und Zielscheibe für Anfeindungen. „Durch Corona wurde ein Maß an Desinformation und Verbreitung von Verschwörungstheorien erreicht, das zu starker Wissenschaftsfeindlichkeit geführt hat“, sagt Hutter.

Manche seien aus der „Epidemie der Desinformation“ nicht zu retten: „Es gibt zwei Extreme: diejenigen, die eine Gefahr stark überschätzen und diejenigen, die alles herunterspielen.“ Beide Randgruppen seien durch sachliche Argumente nicht zu erreichen.

„Man kann nur versuchen, diese Gruppen nicht zu vergrößern.“ Auch zu Anfeindungen hat er eine klare Haltung: „Respektlose E-Mails werden rückstandslos gelöscht. Für mich ist das gegessen.“ Diejenigen, die Fragen haben und nicht festgefahren sind, müsse man selbstverständlich abholen.

Ein erfülltes Leben: Hutter zieht Bilanz

Auf dem Tisch der Konditorei liegt ein schwarzes Notizbuch. „Ich schreibe mir jeden Tag auf, was ich gemacht habe“, sagt er, blätternd. Im Strandbad mit seinen Kindern, im Theater mit seiner Freundin, täglich mit dem Rad unterwegs? Was in Hutters Notizen steht, weiß man nicht. Fest steht: Er führt ein Leben in Bewegung und sein Leben bewegt.

Olivia Leth