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Die Kraft einer Idee

Wie man Menschen zum Mitmachen gewinnt

Das Bild zeigt aus der Vogelperspektive eine Halle voller Menschen.
Fotos: product-school/unsplash

Vernetzen, verbinden, Menschen und Unternehmen zum Mittun gewinnen, um zentrale Probleme unserer Zeit zu lösen: Das haben sich fünf der Nachhaltigen Gestalter*innen 2024 auf ihre Fahnen geheftet. Und erfolgreich umgesetzt.

Altersvorsorge einmal anders

Früher hat Manfred G. leidenschaftlich gern in seiner Holzwerkstatt gearbeitet. Jetzt ist er dement, braucht Unterstützung. Und dafür hat er einen Betreuer gefunden, der mit ihm Zeit in der Holzwerkstatt verbringt. „So werden Dinge möglich, die sonst nicht umsetzbar sind“, erzählt Gernot Jochum-Müller, der Gründer von „Zeitpolster“. Das Prinzip dahinter ist ein Zeitvorsorgemodell: Wer ältere Menschen oder Familien unterstützt, erhält dafür eine Zeitgutschrift, die er/sie später selbst für Betreuungsleistungen einlösen kann. Freiwillige vernetzen sich, suchen weitere Freiwillige — oft mit besonderen Fähigkeiten, die Betreute glücklich machen.

„98 Prozent unserer Betreuten sind top zufrieden“, freut sich Jochum-Müller über den enormen Zuspruch zu seinem Modell der Altersvorsorge, mit dem er auch zeigen will, dass dies ein gangbarer Weg in der Pflege- und Betreuungskrise ist. Und ein Problem löst, das die Menschen bewegt: „Wer sorgt für mich, wenn ich einmal nicht kann? Der Zeitpolster ist Teil meiner Altersvorsorge.“

Gernot Jochum-Müller steht in einem Garten vor einem Baum, er trägt ein kariertes Hemd und eine große Brille mit schwarzem Rahmen.
Gernot Jochum-Müller, Zeitpolster. Foto: Zeitpolster

Das Prinzip dahinter ist ein Zeitvorsorgemodell: Wer ältere Menschen oder Familien unterstützt, erhält dafür eine Zeitgutschrift, die er/sie später selbst für Betreuungsleistungen einlösen kann.

Gernot Jochum-Müller, Zeitpolster

Auf die Idee für Zeitpolster ist der Vorarlberger durch ein Zeitgutschriftenmodell aus Japan gekommen. „Viele Ideen sterben, weil alles so kompliziert ist“, weiß Jochum-Müller, der aus der Organisationsentwicklung kommt. Eineinhalb Jahre dauerte es, um die rechtlichen Grundlagen zu klären, und es war auch sehr schwierig, Menschen und Organisationen zu finden, die bereit sind, in ein soziales Unternehmen zu investieren, das nur kleine Renditen versprechen kann. „Österreich könnte in Sachen Impact Investing einen großen Schub vertragen“, ist Gernot Jochum-Müller überzeugt. Und davon, dass wir Rahmenbedingungen brauchen, die das Verbindende fördern. „Solidarität beginnt im Kleinen. Vielleicht mit den Nachbar*innen, mit Menschen, die uns auf der Straße begegnen. Schauen wir uns das bei den Kindern ab, statt es ihnen abzugewöhnen. Und es ist wirklich ansteckend und macht Freude.“

„Zeitpolster“ unterstützt auch die Gemeinden bei der Organisation. Für Unternehmen wird ein Partnerschaftsmodell, ein Sponsoringpaket mit Gutscheinen angeboten. „Die Betriebe unterstützen so zum Beispiel ihrer Mitarbeiter*innen bei elterlichen Betreuungspflichten.“

Der Mitmach-Supermarkt

David Jelinek war in Karenz, als er die Idee hatte, eine nicht-profitorientierte Alternative zu den Supermärkten zu gründen, nach dem Vorbild der „Cooperative La Louve“ in Paris. Das Ziel: Wiens erster Mitmach-Supermarkt, der hochqualitative, nachhaltige und günstige Lebensmittel und Produkte des täglichen Bedarfs für alle anbietet und als Genossenschaft organisiert ist. David Jelinek und Julianna Fehlinger bekamen von Anfang an viel Zuspruch, Zulauf und positives Feedback für ihre Initiative. In Meidling betreiben sie mittlerweile einen „Minimarkt“. Er dient als Übungsobjekt für die Mitglieder der Genossenschaft, die hier monatlich drei Stunden lang Gemüsekisten schleppen, Milchprodukte einkühlen, Putzmittel schlichten und die Kassa bedienen. Daneben wird am über 800 m2 großen Mitmach-Supermarkt gewerkt, der im April 2025 aufsperren soll, wenn alle behördlichen Hindernisse überwunden sind.

Das 15-köpige Team der Genossenschaft MILA-Mitmachsupermarkt.
Mitmach-Supermarkt: Jede*r arbeitet drei Stunden im Monat mit. Foto: MILA

Vieles ist bis jetzt bestens gelungen. „Die Finanzierung, vor allem mit der Rechtsform der Genossenschaft und als ‚Nicht-Start-up‘, war sehr schwierig“, erzählt David. Mit Beharrlichkeit, Improvisationstalent, einem guten Netzwerk, demokratischer Selbstorganisation und Partizipation schafften es die beiden Initiator*innen auch, dass die Vereins- und Genossenschaftsmitglieder den Markt als ihr Herzensprojekt sehen. „Das ist nicht nur ein cooles, ökonomisches Projekt. Die Leute wissen, das ist ihr Supermarkt. Sie haben Interesse, etwas weiterzubringen, sie haben Interesse daran, dass sich der Markt ökonomisch gut entwickelt. Daher nehmen sie auch weitere Wege in Kauf und überlegen, welches Produkt als nächstes verwertet werden muss“, erklärt David Jelinek, der zuvor in der Lebensmittelbranche gearbeitet hat. „Wir diktieren allerdings niemandem, was er einkaufen darf oder soll, sondern stärken die Gemeinsamkeiten und bauen eine Gemeinschaft auf, bei der alle willkommen sind und sich auf Augenhöhe begegnen.“ Alles ist transparent, funktioniert auf demokratischer Basis, alle haben die gleichen Rechte und Pflichten. „Info-Materialien, Vorträge und Infotage vor Ort helfen dabei. Denn die Mitgliederwerbung ist eine der kniffligsten Aufgaben, in die der Genossenschaftsvorstand viel Energie steckt. David Jelinek: „Wir haben eine Crowdfunding-Kampagne gestartet. Je mehr Mitglieder wir haben, auf desto solideren Beinen steht die Genossenschaft — das Risiko ist dann auf mehrere Schultern verteilt.“

Ein gemeinsamer Ort kann viel bewirken …

… denn dort treffen Menschen, die Ideen haben, auf Leute mit Erfahrung. In einer inspirierenden Atmosphäre kommt man schnell ins Gespräch, unterstützt sich gegenseitig, lernt neue Perspektiven kennen. „Es hilft, wenn ich mir ein Beispiel an Personen nehmen kann, die bei der Entwicklung ihrer Idee schon vier, fünf Schritte weiter sind. Das regt an, der Aspekt der Vorbilder ist wichtig“, sagt Hinnerk Hansen. Er hat 2009 gemeinsam mit zwei Kolleg*innen einen solchen Ort geöffnet, den Impact Hub – trotz fehlender Unterstützung und angesichts großer Skepsis: „Soziales Unternehmertum war damals praktisch unbekannt, Communities waren nicht greifbar und Wirkung wurde im Zusammenhang mit Gründungen und Unternehmen kaum verwendet.“ Es war etwas ganz Besonderes, ein 400 m2 großes Industrie-Loft über sechs Monate lang gemeinsam in den Impact Hub umzubauen „und dann tagtäglich diesen für uns besonderen Ort erleben und nutzen zu können“, schildert Hinnerk Hansen die Anfänge des Impact Hub.

Portraitfoto vor dunklelgrauem Hintergrund: Hinnerk Hansen trägt ein fein gestreiftes Hemd in Weiß-Hellblau.
Hinnerk Hansen, Impact Hub. Foto: Impact Hub

Im Frühjahr 2025 wird das neue Education Lab eröffnet: Damit schaffen wir einen Ort, der als Katalysator positive Veränderungen im Bildungswesen bewirkt.

Hinnerk Hansen, Impact Hub

15 Jahre später hat sich der Impact Hub etabliert, unterstützt Start-ups und Innovationen und hilft beim Aufbau wirkungsorientierter Communities. „Wir decken alle 17 SDG-Nachhaltigkeitsziele ab“, so Hansen. Die großen Ziele Klima, Gesundheit und Bildung wurden vertieft durch die Gründungen des Climate Lab (2022) und Future Health Lab (2023). Im Frühjahr 2025 wird das neue Education Lab in Kooperation mit der Stadt Wien eröffnet: „Damit schaffen wir einen Ort, der Innovationen und positive Veränderungen im Bildungswesen unterstützt.“

Wie aber ist es Hinnerk Hansen und seinem Team gelungen, Ideen und Ziele erfolgreich in die Praxis umzusetzen? „Wir waren sicher immer sehr authentisch in unserem Handeln, sehr konsequent auch in unserem Anspruch, etwas Nachhaltiges und Gutes zu schaffen. Jede*r konnte sehen, dass wir nicht den für uns einfachen, sondern den richtigen Weg gehen wollten — und dadurch haben wir sicher Vertrauen gewinnen und Partnerschaften entwickeln können. “

Künftigen Gründern empfiehlt der erfolgreiche Unternehmer, dass sie ihre Aktivitäten ruhig niederschwellig ausprobieren und beginnen. „Man kann auch nach und nach in die Selbständigkeit reinwachsen, erst einmal Gleichgesinnte finden, dabei Vertrauen aufbauen.“ So sei die Entscheidung dann irgendwann weniger riskant.

Das „grüne“ Donauinselfest

Beim Donauinselfest in Wien gab es heuer eine Premiere – keine musikalische, sondern eine zukunftsweisende technische. Bisher deckten Diesel-Generatoren den hohen Strombedarf der Riesenparty ab. Heuer wurde ein Generator mit grünem Wasserstoff installiert. „Fünf Unternehmen haben mitgemacht, es ist ohne Störung verlaufen, mit ein wenig höheren Kosten — es geht also auch anders“, erzählt Gebhard Ottacher, was das Climate Lab vorrangig bewirkt: Es erleichtert die Zusammenarbeit zwischen führenden Unternehmen und Behörden in Österreich, unterstützt Start-ups und Scale-ups in ganz Europa und bietet einen inspirierenden Raum zum Arbeiten, Denken, Treffen und Vernetzen.

Gesicht und Stimme des Labs ist Gebhard Ottacher, der das Programm und die Marke aufbaut. Er ist überzeugt, dass Innovation selbst in den veränderungsresistentesten, verfahrensten und politisiertesten Bereichen der Gesellschaft möglich ist.

Gebhard Ottacher trägt ein weißes Hemd und eine Brille.
Gebhard Ottacher, Climate Lab. Foto: Luiza Puiu

Ich habe mir angeeignet, in Geschichten zu kommunizieren. Und das, was funktioniert, was unser Leben verbessert, aufzuzeigen.
Denn Storytelling sei gerade in der Klimakommunikation, wo Zahlen, Daten und Fakten oft nicht durchdringen, eine wichtige Kompetenz.

Gebhard Ottacher, Climate Lab

Aber wie? Ambiguitätstoleranz ist wichtig, also die Fähigkeit, im unsicheren Umfeld handlungsfähig zu bleiben, sagt Gebhard Ottacher. Und: „Ich habe mir angeeignet, in Geschichten zu kommunizieren.“ Und das, was funktioniert, was unser Leben verbessert, aufzuzeigen. Denn Storytelling sei gerade in der Klimakommunikation, wo Zahlen, Daten und Fakten oft nicht durchdringen, eine wichtige Kompetenz. „Der Klimabegriff ist allerdings schon toxisch. Wir müssen den Menschen den Ernst der Lage über andere Themen klarmachen.“ Zum Beispiel über die Hochwasser-Ereignisse. „Wenn ein Bundesheer-General vor den Gefahren warnt, hat das eine besondere Wirkung.“ Um eine Mehrheit in der Bevölkerung und in den Betrieben für die notwendigen Veränderungen zu gewinnen, brauche es Menschen in der Politik und in der Wirtschaft, die den Wähler*innen und Mitarbeiter*innen reinen Wein einschenken und gleichzeitig in der Lage sind, eine attraktive Zukunftsvision zu vermitteln, ist Gebhard Ottacher überzeugt. In der Wirtschaft herrsche jedenfalls der Ruf nach Klarheit — was kommt, was geht, was bleibt.

Wie aber motiviert man Unternehmer*innen, nachhaltig und wirkungsorientiert zu denken und zu handeln? „Es kommt Druck aus Brüssel, es kommt Druck von den Mitarbeiter*innen. Und wir arbeiten primär mit Unternehmen, die sich als innovativ und produktiv sehen. Die sind Vorbilder, die bewegen sich, die wollen Probleme lösen.“
Überzeugend Probleme löst etwa die Matratzen Allianz, die vom Climate Lab initiiert wurde: In Österreich landen jährlich über eine Million Matratzen auf dem Müll und werden anschließend verbrannt, was rund 150.000 Tonnen CO2 freisetzt und wertvolle Rohstoffe vernichtet. Im Climate Lab haben Erzeuger*innen, Verwerter*innen und Verkäufer*innen darüber diskutiert, wie der Materialverbrauch gesenkt und die zirkuläre Matratze in Umlauf gebracht werden kann. Eben wurde die Matratzen-Allianz gegründet, die diese Erkenntnisse umsetzen soll.

Beate Steiner