Die Kunst zu scheitern
Fehlerkultur steht hoch im Kurs. Und das nicht erst seit Corona. Tipps von Ronny Hollenstein.
Die Agilitäts-Prinzipien kennen die Losung „fail fast“. Damit sollen lange Überlegungs- und Planungsphasen verkürzt werden in einer Zeit, die Langsame bestraft und sich alles sehr schnell ändert. Wir wissen im Vorfeld selten, ob eine Entscheidung richtig ist oder nicht. Das zeigt uns erst die Praxis. Also der Erfolg oder das Scheitern.
Das Problem: Viele Menschen koppeln ihr Scheitern mit dem Selbstwert. Der Hintergrund: Das haben wir so gelernt! Von frühester Kindheit an erhalten wir Rückmeldungen wie: „Da bist du nicht gut genug!“ anstatt „Ich glaube, das kannst du noch besser!“. Später verbinden wir unseren Selbstwert immer öfter mit Leistungen und nicht mehr damit, wer wir sind und was uns als Menschen ausmacht. Wir sind nur noch das, was wir (erreicht) haben.
Klarerweise kann man sich nicht in jedem Bereich Fehler leisten. Fluglotsen sollten bei ihrer Arbeit keine Fehler machen – um nur ein Beispiel zu nennen. Aber auch Fluglotsen begleiten nicht nur Flugzeuge sicher durch die Lüfte. Auch sie kooperieren mit Kolleg*innen und Führungskräften. Und in diesen Bereichen wiederum gibt es keine exakte Feststellung von richtig oder falsch. Wenn Menschen kommunizieren und somit kooperieren, gibt es Fehler und Missverständnisse, die ständig bearbeitet und nachhaltig verbessert werden müssen.
Wer bei jedem Fehler sofort wütend eine*n Schuldige*n sucht, wird eine Person finden, aber oft keine nachhaltige Lösung für die Zukunft.
In einer Zeit des schneller, schlanker, reicher, sportlicher, schöner, glücklicher und beliebter sein Müssens ist wenig Platz für Menschlichkeit und Zufriedenheit.
Die Ziele von anderen
Es beginnt schon bei den Zielen, die wir uns setzen. Sehr häufig übernehmen wir Ziele von anderen, ohne, dass uns das bewusst ist. Wir glauben dann, gewisse Leistungen erbringen und Wünsche haben zu müssen, die vielleicht gar nicht unsere sind. Unser Unbewusstes arbeitet dann gegen uns. Maja Storch, die Begründerin des Zürcher Ressourcen Modells, das sich ausschließlich mit der Erreichung persönlicher Ziele beschäftigt, schlägt vor, dass wir, wenn wir immer wieder am Selben scheitern, sehr genau hinschauen sollten, welches Ziel wir uns in welcher Form vorgenommen haben. So genannte Vermeidungsziele – beispielsweise „weniger essen“ oder „sich nicht mehr ärgern“ – sind laut ihrer Forschung grundsätzlich zum Scheitern verurteilt, weil unser Unbewusstes auf nichts verzichten möchte und wir mit einer negativen Formulierung eines Zieles dennoch die neuralen Netze aktivieren, die wir eigentlich ersetzen möchten. Da unser Unbewusstes auch unsere bewusste Wahrnehmung steuert, sehen wir somit ständig das, was wir eigentlich vermeiden möchten. „Keine Schokolade essen“ fokussiert unsere Wahrnehmung also genau auf Schokolade, der wir dann mit sehr viel Disziplin widerstehen müssen. Wenn wir dann noch überlastet sind oder emotional werden, ist der Vorsatz nicht mehr zu halten.
Ziele sollten auch ausschließlich in unserem Einflussbereich sein, weil wir sonst scheitern können, ohne dass wir die Verantwortung dafür tragen können.
Scheitern verstehen
Am Weg zum Ziel sind Rückschläge völlig normal und können mit dem richtigen Umgang damit sogar sehr wertvoll sein. Eine mögliche Strategie ist folgende: Analysieren Sie die Situation, in der Sie gescheitert sind. Und seien Sie genau bei dieser Analyse: Gab es einen inneren und/oder äußeren Auslöser für das Scheitern? Innere Auslöser könnten beispielsweise innere Unruhe, Müdigkeit oder negative Stimmungen sein. Äußere Auslöser könnten Verhaltensweisen von Menschen, Ablenkungen, Überlastung oder Ähnliches sein. Vielleicht erkennen Sie durch die Analyse der Situation sogar Muster Ihres Scheiterns. Sobald wir ein Muster haben, können wir ein so genanntes Wenn-Dann-Ziel formulieren. Beispiel: Wenn ich mich ärgere (und damit Gefahr laufe, mein Ziel nicht umzusetzen), dann mach ich eine kurze Pause und ein paar Atemübungen, um mich wieder zu beruhigen.
Beachten Sie auch, dass wir, wenn wir gescheitert sind, leider oft dazu neigen, alle unsere Aktivitäten als schlecht zu beurteilen. Sehen Sie aber auch die kleinen Erfolge zum Ziel! Überlegen Sie also immer, was dennoch gut war und was Sie gegebenenfalls wiederholen oder verstärken könnten.
Strukturen richtig setzen
Mihály Csíkszentmihályi, der Begründer des Flow-Prinzips, erforschte die Geheimnisse erfolgreich-produktiver Menschen und entdeckte einige Gemeinsamkeiten: Erfolgreich-produktive Menschen sind strukturiert. Unter „Strukturen“ werden z.B. klare Tagespläne und -rhythmen verstanden. „Dinge brauchen so lange, wie wir Zeit für sie haben“, ist eine wichtige Erkenntnis im Selbstmanagement. Wenn ich mir also nur eine Stunde für etwas gebe, dann wird die Wahrscheinlichkeit größer, es auch in der Stunde schaffen. Man kann damit auch den inneren Schweinehund austricksen. Beispiel: Wenn Sie immer wieder am Vorsatz scheitern, den Keller aufzuräumen, dann könnte dieses Ziel schlicht zu groß sein, um ein ganzes Wochenende zu opfern. Wenn Sie sich aber vornehmen, am Wochenende beispielsweise eine Stunde im Keller mehr Ordnung zu schaffen, ist die Überwindung nicht so groß bzw. die Zeit des Leidens begrenzt und die Wahrscheinlichkeit höher, dass Sie sich für diese Stunde auch überwinden können.
Eine weitere wichtige Erkenntnis von Csíkszentmihályi ist, dass produktive Menschen wissen, was sie brauchen, um produktiv zu sein. Wenn Sie Ihre (kleinen) Erfolge analysieren, bekommen Sie eine Idee davon, was Sie brauchen, um auch in Zukunft erfolgreich handeln zu können. Jede*r von uns hat schon tolle Erfolge erlebt. Sie haben Krisen gemeistert, Ziele erreicht, gehen jetzt mit Belastungen vielleicht besser um oder haben etwas Neues gelernt. Denken Sie mal darüber nach, wie Sie das geschafft haben! Wie haben Sie sich motiviert, wie sind Sie mit Rückschlägen umgegangen, gab es Menschen, die hilfreich waren, wie haben Sie sich organisiert? So erhalten Sie die Erfolgsfaktoren für Ihre nächste, positive Veränderung.
Aktiv gegen den inneren Schweinehund
Zu guter Letzt möchte ich Ihnen noch verraten, was das beste Hilfsmittel gegen Ihren inneren Schweinehund ist. Dieser ernährt sich nämlich nur von einer einzigen Sache – und zwar vom Zögern. Wenn Sie mal eine Entscheidung getroffen haben, sollten Sie sofort ins Handeln kommen. Wenn Sie abwarten, fangen Sie an zu zögern und zu zweifeln, und der innere Schweinehund findet sehr gute Ausreden, warum die sinnvolle Handlung doch wieder aufgeschoben werden sollte.
Ronny Hollenstein, Gründer und Gesellschafter der Gruppe Hollenstein (www.gruppe-hollenstein.at).