Europa muss sich rechnen
"Europa steht besser da, als viele meinen. Um aber weiterhin Wohlstand und Sicherheit zu garantieren, muss die EU spürbare Vorteile bringen", sagt WIFO-Direktor Gabriel Felbermayr".
Inflation, Energiekrise, steigende Staatsverschuldung, sinkende Wettbewerbsfähigkeit, löchrige Außengrenzen: Der wirtschaftliche Zustand Europas wirkt düster, obwohl gerade in geopolitisch gefährlichen Zeiten ein starkes, dynamisches Europa der beste Garant für Prosperität und Sicherheit der Mitgliedsstaaten ist. Dazu kommt der Eindruck, europäische Politik sei bürokratisch und bürgerfern, gefangen in Streitereien über Verteilungsfragen.
Die Europäische Union solle sich laut Felbermayr "auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren und das, was sie tut, besser machen. Nur so findet sie im Inneren ausreichend Zustimmung und nach außen Gehör".
Er schlägt vor, die Wirtschaftsunion zu vollenden, hin zu einer Union der gemeinsamen öffentlichen Güter.
Einige Kernaussagen:
- Der breit definierte Nettonutzen Europas muss klar und unumstritten positiv ausfallen.
- Das gilt vor allem im ökonomischen Sinn: Europa muss das Versprechen von Wohlstand und wirtschaftlicher Sicherheit einlösen.
- Der Schlüssel ist der Binnenmarkt: Je größer und integrierter er ist, umso dynamischer ist er. Umso eher kann er Schutz gegen Risiken aus dem Ausland bieten. Und umso eher gilt: Europa rechnet sich. Die EU sollte sich darauf konzentrieren, Mehrwert zu schaffen.
- Der Euro: Der Weg zu einer »normalen« Währung.
- Die starke Zinskonvergenz hätte sehr früh die Alarmglocken schrillen lassen müssen, denn sie bedeutete, dass die Finanzmärkte die Bonität der Euroländer trotz großer Unterschiede in den Schuldenständen gleich bewerteten.
- Innerhalb der Eurozone sind die Teuerungsraten sehr unterschiedlich, sodass man nicht einfach nur der Geldpolitik der EZB die Schuld am rapiden Verfall der Kaufkraft geben kann.
- Trotzdem führt kein Weg an ernsthaften Fiskalregeln für die Mitgliedsstaaten vorbei — so unbeliebt sie auch sein mögen, so essenziell sind sie. Das müssen auch die populistischen Politiker in Europa verstehen.
- Die Konstruktionsfehler der Eurozone sind nicht nur ein makroökonomisches Thema. Denn der Euro ist auch
für das Funktionieren des Binnenmarktes ein wichtiges Schmiermittel.
- Die EU braucht ein größeres Budget. Sie sollte aber keine Schuldenunion werden. Wenn EU-Schulden nur dazu führen,
dass die nationalen Regierungen bei konstanter nationaler Verschuldung immer mehr Geld in konsumtive Verwendungen
leiten, sind sie abzulehnen. - Europäisches Geld für europäische öffentliche Güter: Zum Beispiel in der Forschung: Die EU sollte europäische Spitzenuniversitäten etablieren, die zentral finanziert werden, über eine kritische Größe und internationale Strahlkraft besitzen.
- Ein Budgetrecht für das EU-Parlament: Ein Parlament ohne Geld hat also nicht allzu viel zu sagen, und wenn es doch
etwas zu sagen hat, dann handelt es sich häufig um sehr technokratische Themen, die den Menschen nicht nahegehen. - Lehren aus dem Brexit oder Vertiefung versus Erweiterung: Die EU sollte an Modellen arbeiten, die neben der Vollmitgliedschaft in der EU und Freihandelsabkommen mit der EU noch einen dritten Kooperationsmodus ermöglichen. Dieser dritte Weg sollte eine möglichst umfängliche Teilnahme an Binnenmarkt und Zollunion, aber ohne tiefe politische Integration vorsehen.
- Schengen, Einwanderung und Asyl: So kann es nicht bleiben. Es ist aus ökonomischen Gründen offensichtlich
kosteneffizienter, die Ressourcen, die für den Schutz der Grenzen vorgesehen sind, an den Außengrenzen zu konzentrieren, anstatt die Binnengrenzen zu überwachen. Die Außengrenzen der EU müssen besser überwacht werden.
Die Kosten dafür müssen geteilt werden. Und für all dies braucht es europäisches Geld. - Europa, der Freihandel und die neue Geoökonomik: Die EU muss anerkennen, dass ihr globaler Einfluss deutlich geschrumpft ist. Wenn diese Einsicht nicht bald erfolgt, dann beschleunigt sich der Niedergang der EU als globale Ordnungsmacht.
Gabriel Felbermayr: Europa muss sich rechnen.
Aus der Reihe »Auf dem Punkt« Herausgegeben von Hannes Androsch. Brandstätter Verlag.
978-3-7106-0783-7