Grünes Licht für die Rückkehr in den Beruf
Gas- und Bremspedal: Falk R. fährt mit Prothese Lkw.
Fahrlehrer Udo Wichmann und Dr. Keno Ferlemann als Medizinischer Gutachter für die Berufsgenossenschaft (BG) haben jede Menge Führerscheinprüfungen erlebt. Aber diese ist auch für sie bisher einzigartig. „Nach meinem Unfall hätte ich nicht geglaubt, dass ich überhaupt mal wieder Lkw fahren kann“, sagt ihr Prüfling Falk R. „Ich bin
richtig happy, dass ich das geschafft habe.“ Er bekommt die Fahrerlaubnis für Lastwagen zurück. Das Besondere daran: Gas- und Bremspedal bedient er mit einer Hightech-Oberschenkelprothese.
Die Rückkehr in den Beruf, den er vor der Amputation ausübte, steht kurz bevor. Die Berufsgenossenschaft hat ihm geholfen, einen Betrieb zu finden, für den er voraussichtlich schon ab März Kies von der Grube zum Betonwerk fahren wird. „Um Menschen wieder in den Beruf zu bringen, hat die BG eine eigene Jobvermittlung“, sagt dazu Gutachter Ferlemann. „Lkw-Fahrer werden gesucht. In diesem Fall wurde aber speziell nach einer Firma gesucht, wo der Fahrer nicht so stark mit dem Be- und Entladen belastet ist.“ Das wäre bei Falks früherem Arbeitgeber schwer zu vermeiden gewesen.
„Eines war für mich klar: Wenn ich wieder arbeiten gehe, dann will ich Lkw fahren“, freut sich Falk R. auf seinen Neustart. Sein Pkw hat ein Automatikgetriebe. Der Lkw musste nicht umgebaut werden. „So etwas könnte ein Unternehmen bis zu 50.000 Euro kosten“, schätzt Udo Wichmann.
Wichmann hat in der von ihm geführten Fahrschule in Göttingen schon vor 20 Jahren begonnen, auch für Menschen mit Handicaps den Weg zur Fahrerlaubnis zu ebnen. Heute reicht der Einzugsbereich seiner Fahrschule weit über die Unistadt hinaus. Falk R. zum Beispiel lebt in Frohberg bei Leipzig.
Die aufrechtere Sitzposition im Lkw ist für den Prothesenträger günstiger als im Pkw, wenn er den Druck auf Gas- oder Bremspedal aus dem Oberschenkel heraus verändert. „Am Anfang war es schon etwas schwierig. Die Belastung im Oberschenkel habe ich an den ersten Tagen ganz schön gemerkt“, räumt Falk R. ein. Aber inzwischen kommt
er gut zurecht.
Dabei hilft moderne Technik. Das Kniegelenk wird beim Genium X3 von einem Mikroprozessor kontrolliert. Unterschiedliche Einstellungen für zum Beispiel Gehen oder Fahrradfahren lassen sich mit einer Fernbedienung wählen. Falk R. hat alternativ dafür eine App in seinem Smartphone. In dessen Menü haben seine Orthopädietechniker vom Sanitätshaus Orthovital in Markkleeberg einen zusätzlichen Modus installiert. Er heißt „Lkw“. Wenn Falk R. diese Funktion nutzt, bleibt das Knie fixiert, und zwar genau in dem Winkel, der für das Bedienen der Pedale am günstigsten ist.
„Es gibt einige Auflagen der Fahrerlaubnisbehörde“, erläutert Dr. Ferlemann. „Zum Beispiel müssen die Ladezustände der Prothese und des Smartphones mindestens für die Dauer einer Schicht reichen. Die Fernbedienung sollte er zusätzlich immer dabei haben.“ Die Bundesanstalt für Straßenwesen hat die Begutachtungsleitlinien definiert, die für unterschiedliche körperliche Einschränkungen zu berücksichtigen sind. Ein Werk von 143 Seiten.
Eines sei klar, betont Ferlemann, der in der Uni-Klinik Göttingen Oberarzt für Unfallchirurgie ist: „Er würde den Führerschein nie bekommen, wenn er für andere ein Risiko darstellen würde.“ Fahrlehrer Wichmann steht jetzt in Kontakt mit dem Hersteller des Genium X3, das Medizintechnik-Unternehmen Ottobock. Er möchte mehr Menschen nach einer Amputation zur Fahrerlaubnis bringen. „Vielleicht lässt sich wie beim Knie auch am Prothesenfuß noch etwas optimieren. Nicht alle Pedale haben schließlich denselben Neigungswinkel.“
Falk R. verunglückte am 29. April 2014, als bei Regensburg eine Autobahn-Baustelle eingerichtet werden sollte, geriet unter einen Lkw und zog sich lebensbedrohliche Verletzungen zu. Er hat geschafft, wieder nach vorn zu blicken. Auf dem Göttinger TÜV-Gelände beschreibt er das nach der Prüfung so: „Wenn mir einer sagt, dass ich mit Prothese etwas nicht kann, dann antworte ich: Lass es mich doch erst mal versuchen!“