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Initiativ & mutig oder angepasst & bequem

Welchen Schlüssel geben wir jungen Menschen in die Hand?

Acht junge Menschen stehen zusammen im Kreis und legen ihre Hände aufeinander. Die unterschiedlichen Farben der Ärmel ergeben ein buntes Bild.
Foto: Hannah Busing / unsplash

Die Herausforderungen sind groß – Energiekrise, Krieg, Inflation und Klimakatastrophe. Vielerorts macht sich Resignation breit. Gerade junge Menschen spüren zudem noch die Nachwirkungen von Corona. Johannes Lindner, passionierter Lehrer, Gründer von „IFTE – Initiative Entrepreneurship4Youth“, des e.e.si-Netzwerks und Hochschullehrer an der KPH Wien/Krems macht jungen Menschen Mut, die eigene Zukunft zu gestalten – mit seinem Ansatz der Entrepreneurship Education, der bereits breite Kreise gezogen hat.

BUSINESSART: Entrepreneurship Education – das klingt nach einem Blick auf die Welt aus der Perspektive der Wirtschaft. Ist das nicht zu wenig?

Johannes Lindner: Alle Entrepreneure der Zukunft sind heute in der Schule. Die Art und Weise, wie sie erzogen und unterrichtet werden, wird be­stimmen, wie sie an der Gesellschaft und der Wirtschaft teilhaben. Selbstständiges Denken und verantwortungsvolles Handeln sind die Basis für eine lebendige Gesell­schaft. Entre­preneurship Education stellt das Nachwuchsprogramm – vergleichbar mit Program­men im Sport – für die zukünftigen Gestal­ter*innen der Gesellschaft und Wirtschaft dar. Bei Kindern und Jugendlichen geht es um die Stärkung ihrer Potenziale, ihrer Selbstwirksamkeit und des Growth Mindsets – den Glauben an sich selbst.

Entrepreneur-Denke ist wichtig für Gründer*innen von Start-ups. Warum sollen alle jungen Menschen wie Entrepreneure und Changemaker denken?

Seine eigenen Ideen und Träume umsetzen zu können, hat viel mit einer eigenständigen Lebensführung zu tun. Entrepreneurship setzt als Alltagskompetenz an, denn Teilhabe an der Gesellschaft kann gelernt werden. Menschen, die neue Ideen entwickeln und eine „anpackende“ Haltung haben, brauchen wir in allen Lebensbereichen der Gesellschaft.

Eine Gesellschaft, die sich verantwortlich fühlt und zeigt, braucht selbstbewusste Bürger*innen, die ihre eigene Zukunft und die der Gesellschaft offensiv (mit)gestalten. Ohne Menschen, die Ideen aktiv umsetzen, würden wir heute in einer ganz anderen Realität leben. Es gäbe keine Kunst und keine Schulen, keine Medikamente, keinen Rechtsstaat und auch keinen Konsumentenschutz, wenn Menschen sich nicht immer und immer wieder für Ideen einsetzen und gesellschaftliche Spielregeln mit Zivilcourage verändern.

Was ist die wichtigste Basiskompetenz von Entrepreneuren?

Die wichtigste Kompetenz ist die Fähigkeit der/des Einzelnen, Ideen mit Wert zu entwickeln und umzusetzen. Die Schaffung von Werten mit eigenen Ideen kombiniert Kreativität, Innovation, Risikobereitschaft und die Fähigkeit, Projekte zu planen und durchzuführen. Es wird die eigene Selbstwirksamkeit erlebt und Beziehungen werden aufgebaut. Mit der „Idea Challenge“ werden beispielsweise Konzepte für eigene Ideen erarbeitet und Wert geschaffen. Bei der „Trash Value Challenge“ lernen Kinder, aus scheinbar Wertlosem (z.B. Zeitungen, Plastikflaschen) etwas mit Wert zu entwickeln und über die verschiedenen Arten von Wert zu reflektieren. Bei der „Community Challenge“ lösen die Schüler*innen ein Problem und schaffen dadurch Wert für jemanden oder die Umwelt. Das hilft im täglichen Leben, zu Hause oder in der Gesellschaft, ermöglicht Arbeitnehmer*innen, ihr Arbeitsumfeld bewusst wahrzunehmen und Chancen zu ergreifen, und ist das Fundament, auf dem Bürger*innen eine gesellschaftliche oder gewerbliche Tätigkeit aufbauen.

Wie kann man unternehmerisches Denken vermitteln und Kinder dazu motivieren, eigenständig zu denken und zu handeln?

Lemonade Stand Challenge an der BHAK/BHAS Wien 13
Lemonade Stand Challenge an der BHAK/BHAS Wien 13 Foto: Johannes Lindner
Dafür haben wir das Trio-Modell der Entrepreneurship Education erarbeitet, das aus drei Ebenen besteht: Im Kern geht es darum, eigene Ideen zu entwickeln und umzusetzen. In der zweiten Ebene steht die Ermutigung der Person und die Förderung eines Growth Mindset, der Glauben an sich selbst, im Fokus. Die dritte Ebene stärkt die gesellschaftliche Verantwortung und zeigt Möglichkeiten auf, die Gesellschaft mitzugestalten.

Unser pädagogisches Konzept bietet kleine und große Herausforderungen, an denen Kinder und Jugendliche altersgerecht wachsen können. Es kombiniert Lehr- und Lernarrangements für das gemeinsame Lernen in der Schule mit „Festivals“, die je nach Schulstufe variieren (siehe Kasten). Eingebettet sind diese Aktivitäten und Angebote in einem Achtsamkeits- und PERMA.teach-Verständnis, das Ermutigung und Wohlbefinden verknüpft.

LEHR- UND LERNARRANGEMENTS
FÜR SCHULEN

„Jedes Kind stärken“ kombiniert ein Volksschul-Programm mit Festivals. Am bekanntesten sind die „WILMA-Erfinder*innenwerkstätte“ und der „Markttag“. In Salzburg erreicht das Programm rund 70 Prozent aller Volksschulen und Kinder. Die Festivals ermöglichen eine Kooperation – nach dem Buddy-Challenge-Verständnis –, beim Markttag in Wien kooperieren Studierende des Entrepreneurship Center der WU-Wien, der PH-Wien und der KPH-Wien/Krems mit rund 50 Wiener Volksschulen. Das Konzept des Markttages gibt es auch an der Universität Graz, der FH Steyr, der FH Dornbirn, der Modeschule Hallein, am Ausbildungszentrum St. Josef in der Stadt Salzburg und an der Bundeshandelsakademie Neumarkt am Wallersee.

Bei „Jugend stärken“ in der Sekundarstufe I wird auf fächerübergreifende Projektwochen gesetzt. Im Rahmen des Pilotprojektes der Stiftung Wirtschaftsbildung haben rund 40 Schulstandorte eine „Marktwoche“ in der 2. Klasse Unterstufe durchgeführt. Die Jugendlichen setzen eine Projektwoche um.

In der Sekundarstufe II gibt es neben einem digitalen Programm die beliebten „Youth Entrepreneurship Weeks“ – im aktuellen Schuljahr finden rund 100 statt, dank der großen Unterstützung aller Partner*innen. Darüber hinaus gibt es den Ideenwettbewerb NEXT GENERATION, die Crowdfunding-Plattform für Projekte von Jugendlichen und Workshops „Starte dein Projekt“ und die „Misch dich ein“-Debattierclubs.

Wie kommen eure Angebote bei den Kindern und Jugendlichen an?

Sehr gut. Der wertschätzende Umgang mit dem Menschen und seinen Ideen und Potenzialen gefällt nicht nur Kindern, sondern auch Erwachsenen. Die Kinder erleben, dass sie selbst etwas tun können, selbst wirksam werden können.

Wir haben einen randomisierten Feldversuch mit 30.000 Kindern und Jugendlichen durchgeführt und wissen, welche Lernansätze (siehe Kasten) effektiv sind und die Motivation steigern. Die Impactforschung ist eine ständige Begleiterin unserer Arbeit. In den nächsten vier Jahren werden wir die Implementierung von Entrepreneurship Education und digitalen Kompetenzen – mit einem erweiterten Programm konform zum neuen Lehrplan – an 100 Pilotschulen in Niederösterreich, Salzburg und Wien wissenschaftlich begleiten.

Kann Entrepreneurship von Lehrer*innen vermittelt werden? Oder braucht es für die glaubhafte Vermittlung die Gründer*innen?

Einen wertschätzenden Umgang miteinander, Ermutigung bei der Entwicklung der Persönlichkeit und Unterstützung bei der Umsetzung von Ideen können und sollten von Lehrer*innen grundsätzlich vermittelt werden.

Preisträgerinnen-Team „Hand in Hand“ beim Changemaker-Programm „Young Entrepreneur“ mit dem Rotary Youth Award in Sustainability in GOLD
Preisträger-Team „Hand in Hand“ beim Changemaker-Programm „Young Entrepreneur“ mit dem Rotary Youth Award in Sustainability in GOLD Foto: Johannes Lindner
Wir sind begeistert von den vielen Volksschullehrer*innen, die engagiert die Selbstwirksamkeit stärken, oder von den Lehrer*innen an den e.e.si-Entreprenership-Schulen in ganz Österreich, die ein schulspezifisches Konzept erarbeitet haben, mit dem sie alle Lernenden erreichen.

Aber natürlich: Rollenvorbilder sind wichtig. Bei der Youth Entrepreneurship Week gelingt es, systematisch rund 150 Trainer*innen und 600 Sparringspartner*innen einzubinden. Besonders wichtige und beeindruckende Rollenvorbilder sind andere Jugendliche, die erfolgreich Projekte umsetzen. Das Changemaker Programm „Young Entrepreneur“ begleitet jährlich 30 Pionier-Projekte, da sind viele beeindruckende Rollenvorbilder im Jugendalter dabei. Diese Jugendlichen und ihre begleitenden Lehrer*innen leisten einen wichtigen Beitrag für eine Schulkultur der Möglichkeiten. So werden Schulen zu Orten, an denen an Ideen und Lösungen gearbeitet wird.

Wir sehen gerade einen weltweiten Trend, demokratische Strukturen abzubauen. Das scheint erschreckend einfach zu sein. Was kann Entrepreneurship Education für die Freiheit in Österreich leisten?

Jede Generation muss aufs Neue ihre Ideen und Werte entwickeln. Leider sind Demokratie und eine ökosoziale Marktwirtschaft nicht automatisch vorhanden, sondern sie brauchen Menschen, die sich dafür einbringen und engagieren. Uns ist es z.B. ein großes Anliegen, mit dem Debattierclub eine lösungsorientierte Streitkultur zu fördern. Hier werden Kinder und Jugendliche ermutigt, gesellschaftliche Probleme anzusprechen, Vorschläge für Verbesserungen zu formulieren und zu argumentieren, warum diese umgesetzt werden sollen. Es ist wichtig, dass wir Kompromisse als demokratischen Wert stärken.

Bei den SDGs (Global Sustainable Goals der Vereinten Nationen) gibt es mit dem Ziel 17 „Partnerschaften zur Erreichung der Ziele“ die Einladung, dass wir gemeinsam die Gesellschaft gestalten. Es braucht die Kombination aus persönlichen bis gesellschaftlichen Initiativen, damit sich Rahmenbedingungen verändern. Der Weg zur Kreislaufwirtschaft funktioniert nur, wenn Privatpersonen und Unternehmen zeigen, dass sie funktioniert; im nächsten Schritt gilt es, die Rahmenbedingungen weiterzuentwickeln. Demokratie und gesellschaftlicher Wohlstand lassen sich nicht vererben.

Heißt das, dass jede Generation für ihre Freiheit selbst kämpfen muss?

Das Motic-Team bei der GOLD-Auszeichnung beim „YouthStart –
European Entrepreneurship Award“ in der Schweiz.
Das Motic-Team bei der GOLD-Auszeichnung beim „YouthStart – European Entrepreneurship Award“ in der Schweiz. Foto: e-cargobike
Initiative Bürger*innen fallen nicht vom Himmel, sondern sie brauchen ein Fundament an Kompetenzen zur Entwicklung und Umsetzung ihrer Ideen sowie ein Umfeld mit Freiräumen in der Familie und der Schule. Unternehmen können das unterstützen, indem sie sich persönlich oder als Pat*innen in die Entrepreneurship Education einbringen.

Mit unserer Entrepreneurship Education stärken wir die Demokratie. Das ist herausfordernd und anstrengend. Aber es gibt keine Alternative!

Ich kenne viele ganz beeindruckende Jugendliche – die Entrepreneure und Changemaker sind, die clevere Ideen entwickeln und wertbewusste Projekte umsetzen. Ich habe ein positives Bild der Kinder und Jugendlichen. Es braucht allerdings die Ermutigung, dass Ideen von Schüler*innen gefragt sind, und einen Freiraum für ihre Projekte. Eltern und Lehrer*innen spielen hier eine sehr wichtige Rolle. Wir brauchen Entrepreneure – Menschen, die neue Ideen mit Wert entwickeln und umsetzen.

TERMINE

• Youth Start – European Entrepreneurship Award: Vom 23. bis 26.9. treffen sich rund 200 Jugendliche aus 15 Ländern in Kitzbühel.

• Entrepreneurship Summit „Jugendliche gestalten die Zukunft oder Europäisches Jahr der Kompetenzen: 15. & 16.11. und „Entrepreneurship for Youth“-Tag im Wiener Rathaus am 17.11. www.ifte.at/journal

Links

Initiative for Teaching Entrepreneurship (ifte): www.ifte.at

Volksschule: www.jedeskindstärken.at und www.lewi.app

Sekundarstufe I: www.jugendstärken.at

Sekundarstufe II: www.youthstart.digital, www.startedeinprojekt.at und www.entrepreneurshipwoche.at.

Ermutigung über alle Altersgruppen: www.permateach.at

Mehrsprachig:  www.youthstart.eu

Debattierclub: www.mischdichein.at  

Changemaker Programm:  www.young-entrepreneur.eu