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Mehr als 1.000 Datenpunkte

ESG effizient und effektiv managen

Taxonomie, Lieferkettengesetz oder CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive): Unternehmen müssen zukünftig viele Daten berichten. Wie gelingt das, ohne im Datenwust oder bürokratischen Aufwand zu ersticken? Welche Chancen, aber auch Gefahren stecken in der Verwendung von digitalen Helfern? Welche Systeme gibt es bereits und worauf soll ich bei der Auswahl achten?

„Das ist gerade einer unserer Kämpfe im Unternehmen“, seufzt der ESG-Manager eines kleineren österreichischen Produktionsbetriebes, als ich ihn auf die CSRD anspreche. Mehr als 1.000 Datenpunkte sollen kontinuierlich monitort werden. Denn nicht nur die Berichterstattung erfordert die Daten, es sollen ja auch Verbesserungspotenziale gehoben werden – und, vielleicht auch mittels KI, die besten Quick Wins. „Das geht nicht mehr händisch, und auch nicht mit Excel und Word“, sagt Daniela Mohr, ESG-Verantwortliche von Wiener Wohnen.

Die Hürden liegen beim Input

Bei genauerem Hinsehen zeigt sich: Die meisten Daten für die Treibhausbilanz und Co. sind in den Unternehmen vorhanden. Denn viele erstellen seit Jahren Nachhaltigkeitsberichte, und genauso lange werden die erforderlichen Daten gesammelt. Finn Laurien, EY denkstatt: „Die Hürden liegen hauptsächlich beim Input, beim Erhalt der Rohdaten und bei der Automatisierung. Viele Daten sind nicht digital verfügbar. Rechnungen sind beispielsweise zwar eingescannt, aber die Daten können nicht automatisiert ausgelesen werden. Gleiches gilt für Maschinen: Wie lange sie gelaufen sind, wird oft händisch aufgezeichnet. Aber es braucht die automatische Weiterleitung der Rohdaten in ein System, das sie auslesen kann.“ Danach gäbe es verschiedene Tools, die diese Daten in die benötigte Form umrechnen können, z. B. den Energieverbrauch in die CO2-Bilanz. Dieser letzte Schritt sei zwar beim ersten Mal aufwändig, aber schaffbar. Erschwerend komme hinzu, dass es keine einheitliche Vorlage zum Sammeln der Daten gibt. Die CSRD ermöglicht zwar Ratingagenturen, Investoren und Behörden eine rasche Vergleichbarkeit der Unternehmen. Aber: Nicht jedes Unternehmen hat den gleichen Bedarf. Erst durch die Wesentlichkeitsanalyse wird klar, welche Daten benötigt werden.

Der Treiber ist die CSRD

Größere Unternehmen wie Banken oder börsennotierte Unternehmen sind schon seit 2024 verpflichtet, die ESRS-Standards umzusetzen. Wann andere Unternehmen nachziehen müssen, wird derzeit in der EU neu diskutiert. Vor allem die flächendeckende Berichterstattung über alle Standorte und Tochterunternehmen erhöht die Komplexität: „Wir haben zwei Tochterunternehmen, mit unterschiedlichem Rechnungswesen. Das ist historisch so gewachsen und bedeutet für mich, dass wir zuerst den Bedarf getrennt ermitteln und dann herausfinden müssen, wo wir andocken können“, berichtet Mohr. Und Laurien bestätigt: „Es gelten die gleichen Standards wie in der Finanzberichterstattung, beispielsweise das Gebot der Vollständigkeit. Kennzahlen, die noch nicht vorhanden sind, müssen geschätzt und dokumentiert werden. Nur bei qualitativen Angaben dürfen vereinfachte Angaben gemacht werden, wenn etwas noch nicht vorhanden ist. Komplett auslassen darf man diese Angaben aber trotzdem nicht.“

Laurien empfiehlt Unternehmen daher folgende Vorgangsweise für den Aufbau eines ESG-Datenmanagements:

Schritt 1 – Status quo erheben: Welche Daten sind in welcher Form wo verfügbar (Datenquellen, Einheiten, Periodizität, Quellsysteme etc.)?

Schritt 2 – Ebene der Datenverfügbarkeit: Wo im Unternehmen sind die relevanten Daten zu finden? Auf welcher Aggregationsebene liegen die Daten in den Systemen vor (Standort, Business Unit, Gruppeneben etc.)?

Schritt 3 – Prozesse & Verantwortlichkeiten: Wie sieht aktuell der Prozess der Datenerhebung aus? Wer ist für die Erhebung der Rohdaten verantwortlich? Wer validiert die Daten? Wer überwacht und koordiniert den Gesamtprozess?

Schritt 4 – Datenarchitektur: Welche IT-Systeme existieren im Unternehmen? Wo gibt es Anknüpfungspunkte in Bezug auf die ESG-Daten? Kann das ESG-Datenmanagement in bestehenden Systemen integriert werden oder muss eine eigenständige Lösung angeschafft werden?

Neben den technischen Tools gilt es auch, die Mitarbeiter*innen für das Sammeln und Berichten der Daten zu gewinnen. Denn für sie ist es ein zusätzlicher Aufwand, dem zumindest im ersten Schritt kein Nutzen gegenübersteht. „Ohne eine klare ESG Daten Governance wird die Umsetzung schwierig“, meint Laurien. „Viele Leute stehen sowieso schon unter Strom“, sagen auch die ESG-Verantwortlichen der Unternehmen. Daher brauche es gute Argumente und einen raschen Wissenstransfer.

Wollen Sie strategisch steuern?

Die Anforderungen der CSRD sind hoch – die Datensammlung muss sehr detailliert gemacht werden. Laurien sieht darin einen großen Mehrwert: „Die Daten können sowohl für die Berichterstattung als auch für die Steuerung genutzt werden. Viele klimaschonende Maßnahmen, wie die Nutzung von Photovoltaikanlagen sind bereits heute finanziell sinnvoll und sollten mit Kennzahlen hinterlegt werden. In einigen Fällen haben Unternehmen auch neue Produkte auf den Markt gebracht, die strategisch und finanziell gut zum derzeitigen Geschäftsmodell passen, wie biologische Lebensmittel, effizientere Elektrogeräte oder die Fokussierung auf regionale Lieferketten.“ Er sieht deshalb großes Potenzial in einer kontinuierlichen Erfassung der Daten. „Wenn ich die Daten nur für die Berichterstattung brauche, dann genügt die jährliche Erhebung. Aber wenn ich damit auch strategisch steuern will und meine Geschäftstätigkeit umfassend analysieren möchte, dann brauche ich zumindest eine quartalsweise oder monatliche Auswertung von relevanten Kennzahlen.“ Das gehe nur durch automatisierte Prozesse. Mohr erhofft sich darüber hinaus, dass die KI zukünftig helfen werde, die optimalen Maßnahmen aus Kosten-Nutzen-Sicht herauszufiltern.

Ein Tool für alles?

„Einfach eine Software am Markt kaufen und hoffen, dass es die komplexen Prozesse übernimmt, funktioniert jedenfalls nicht“, sagt Laurien. „Wir haben schon viele Worst-Case-Fälle gesehen. Teilweise wurde die Lizenz für eine Software bezahlt, ohne dass die Software im Unternehmen genutzt wurde, einfach weil es noch keine Prozesse dafür gab.“

„One size fits all“ funktioniere derzeit nicht. Da sind sich die von uns befragten ESG-Expert*innen einig. Es hänge davon ab, wofür die Daten genutzt werden sollen: Forecasts, Berechnungen, strategische Steuerung, Investitionsentscheidungen oder Berichterstellung.

Mohr: „Unser Tool muss an unser Unternehmen angepasst werden können, auf unsere wesentlichen Themen abgestimmt und mit den Rechnungssystemen kompatibel sein, und beim Sparen von Ressourcen helfen.“  Dieses Grundtool müssten IT-Entwickler*innen und Nachhaltigkeitsmanager*innen gemeinsam aufbauen. Daraus könne man einen Bericht erstellen, der für Banken und Investoren gut geeignet sei – und auch für die KI, die daraus die gesuchten Daten auf Knopfdruck rausdestillieren kann. „Aber für Kund*innen brauche ich trotzdem noch etwas anderes“, meint Mohr.

Drei Fragen an das Top-Management

Ihr*e ESG-Manager*in weiß, was die CSRD vorgibt und was Ihr Unternehmen berichten muss.

1 - Hat er*sie den notwendigen Rückhalt im Top-Management, die notwendigen Befugnisse sowie finanzielle und personelle Ressourcen? Erhält er*sie den notwendigen Support?

2 - Wie tickt Ihr Unternehmen in der internen Kommunikation? Redet die Buchhaltung mit der IT und dem Marketing? Ein Ja ist eine sehr gute Voraussetzung. Denn die Implementierung der CSRD ist nicht nur ein neuer Prozess, sie verändert auch die Kultur im Unternehmen.

3 - Sind die wichtigsten Abteilungen (Buchhaltung, Controlling, IT, Marketing, ...) mit an Bord? Hat Ihr*e ESG-Manager*in in jeder Abteilung Ansprechpartner*innen, die sich im Bereich Nachhaltigkeit auskennen und dies dort auch mitdenken?

CSRD & Software – wie geht das?

Softwareangebote, die die Berichterstellung erleichtern, wachsen derzeit wie Schwammerl aus dem Boden. Manche schreiben mit Hilfe der KI einen Text vor und dienen nicht nur als Dashboard, sondern spiegeln die Struktur des Berichts wider. Dabei wird XBRL (eXtensible Business Reporting Language) verwendet, eine auf XML basierende Sprache, mit der elektronische Dokumente im Bereich der Finanzberichterstattung erstellt werden, wie zum Beispiel Jahresabschlüsse. Das funktioniert wie ein Inhaltsverzeichnis in Word: Hinter den Datenpunkten liegen Hyperlinks – klickt man auf sie, springen sie auf den gesuchten Wert. Das ist wichtig, damit Ratingagenturen und Banken die Daten in ihr Ratingprogramm einlesen und rasch vergleichen können. Man weiß dann sozusagen auf Knopfdruck, dass sich das Unternehmen A um x % verbessert hat, und das Unternehmen B um y %. Das gilt auch für qualitative Aussagen: Man kann sehen, ob das Unternehmen eine Strategie hat oder keinen klaren Plan. Laurien: „Rechtlich ist hier vieles noch offen. Die jüngsten Ankündigungen der EU in Bezug auf Erleichterungen werfen ein ganz neues Licht auf die Thematik.“

Mit Bedacht

„Es wird auch in Zukunft Regeln geben, aber sie werden sich wandeln“, sagt auch die Expertin und Pionierin für Nachhaltigkeitsdaten-Management Petra Bußwald, CEO akaryon. Das sollte bei Software-Lösungen berücksichtigt werden. Denn: „Änderungen in digitalen Systemen sind nicht einfach, wenn sie schon mal benützt wurden.“ Um keinen „IT-Schluckauf“ zu bekommen empfiehlt sie, auf flexible und breit anwendbare Lösungen zu setzen.

Roswitha M. Reisinger

Einteilung von Software-Tools und Beispiele:

1 - ESG Data Management Tools

  • Erhebung der quantitativen ESG-Daten je Organisationseinheit (Standort, Business Unit etc.)
  • Konsolidierung der Daten
  • Einhaltung von Qualitätskriterien und Dokumentationsanforderungen (Plausibilisierung, Changelog, File-Upload etc.)
  • Abbildung des Audit Trails von den Rohdatenpunkten bis zur Kennzahl
  • Softwareanbieter: EY’s PnP Tool (SME-Fokus), Consust, Akaryon (ESG Cockpit, Fokus auf SME), Sphera, UL360, Enablon, Position Green, Osapiens

2 - ESG Disclosure Management Tools

  • Kommen ursprünglich aus der Finanzberichterstattung (ESG als neuer Anwendungsfall)
  • Verwaltung der quantitativen und qualitativen Angabepflichten mit integriertem Task Management
  • Keine quantitative Rohdatenerfassung
  • Unterstützung bei der Erstellung der Nachhaltigkeitserklärung (Textierung und Integration der Daten und Textbausteine in den Lagebericht)
  • Softwareanbieter: Lucanet, consust, IDL, Caseware, Glacier AI, CCH Tagetik, Workiva, Akaryon (ESG Cockpit, Fokus auf SME).

3 - ESG Performance Management Tools

  • Fokus auf Analyse, Planung und Monitoring von ESG-Kennzahlen
  • Multidimensionale Analyse mittels Dashboard
  • Advanced and Predictive Modelling
  • Softwareanbieter: Tools zur Visualisierung & Analyse von Daten, z. B. Power BI, Tableau, CCH Tagetik, Onestream

4 - ESG Specialist Tools

  • ESG als Core-Business
  • Spezialisierte Lösungen mit Fokus auf einzelne Teilbereiche aus dem ESG-Management (z. B. Wesentlichkeitsanalyse, THG-Bilanzierung, Dekarbonisierung, Klimarisiko & Vulnerabilität etc.)
  • Softwareanbieter: Nexus, Position Green, Consust, Osapiens, Akaryon (ESG-Engine-Emissionsfaktoren)

 

Unterstützung bei der Nachhaltigkeitsevaluierung

  • ESG Performer der Green Value Chain: Lieferantenbewertung
  • ESG Data Hub der OeKB: Nachhaltigkeitsevaluierung. Output ist Dashboard mit Ergebnissen (Scope 1, 2, 3 Emissionen, …)
  • Der Nachhaltigkeitscheck der Wirtschaftskammer Wien (speziell für KMU): Enthält viele nützliche Links zum Thema Nachhaltigkeit und SBTi inklusive einer Schritt-für-Schritt-Anleitung für einen freiwilligen Nachhaltigkeitsbericht. Er ist aber inhaltlich anders aufgebaut ist als die CSRD.

 

Kriterien für die Beschaffung digitaler Tools 

  • IT-Reifegrad im Unternehmen: Welche Systeme werden bereits im Unternehmen verwendet? Sind die Systeme mit der gesuchten Software anschlussfähig?
  • Fachkompetenz und Digitalkompetenz des Anbieters: Software-Betriebs-Erfahrung. Denn zu einer Software gehört mehr, als sie zu entwickeln: Support, Release Planung, Backups, …
  • Stabilität des Anbieters: Bietet er z. B. mehr als nur die eine Software an, ist er schon länger am Markt?
  • Passt das Tool für meine Unternehmensgröße und meine Branche?
  • Ausbaufähigkeit, z. B. wenn sich Standards ändern. Wie kann das umgesetzt werden, ohne dass bestehende Daten verloren gehen? Wird auch auf unsere Wünsche eingegangen?
  • Software-Technologie: Wird SaaS angeboten oder ist auch eine Inhouse-Lösung möglich? Inhouse macht evtl. Sinn bei einer großen Lieferantenvielfalt.
  • Was passiert bei einem Wechsel des Anbieters? Wie aufwändig ist es, die Daten mitzunehmen?
  • Fachliche Kriterien: Welche Standards muss ich berichten und abbilden? Sind Schnittstellen zu bestehenden Software-Lösungen (intern wie zu Lieferanten) vorhanden? Ist eine Marktabdeckung (Vollständigkeit des Produktsortiments, EU-Verordnungen und Händler-Beteiligung) gegeben? Wie steht es um die Konfigurierbarkeit?
  • Flexibilität: Gibt es z. B. die Möglichkeit, auch andere ESG-Ergebnisse zu produzieren (z. B. für Anfragen aus der Lieferkette)?
  • Gute Usability und effiziente Prozesse, Mehrsprachigkeit
  • Unabhängigkeit (Eigentümer/Investment, europäisch …), IT Security
  • Preismodell

Die Empfehlungen stammen von Finn Laurien/EY denkstatt, Petra Bußwald/Akaryon und ESG-Manager*innen, zusammengefasst von Roswitha M. Reisinger.