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Ätzender Schlamm als Ressource?

Das Bild zeigt eine Rotschlamm Deponie in Zvornik, Bosnien. Aus einem Rohr fällt schlammiges, rostrotes Wasser in ein riesiges Becken. Am Horizont bewaldete, leicht hügelige Landschaft. Titelüberschrift: Rotschlamm - Ätzender Schlamm als Ressource?
Foto: Ermafa

Die Produktion einer Tonne Aluminium hat bis zu vier Tonnen gefährlichen Abfall zu verantworten. Weltweit lagern drei bis vier Milliarden Tonnen des ätzenden Rotschlamms in oft sehr unsicheren Deponien. Jährlich werden weiterhin mehr als 130 Millionen Tonnen Rotschlamm produziert. Es braucht dringend eine angemessene Lösung. Das Forschungsprojekt „Redrec“ hat sie gefunden.

Rotschlamm ist eine stark alkalische und ätzende Substanz, die bei unsachgemäßer Behandlung – oder schlichtweg unerwarteten Komplikationen – eine Gefahr darstellt. Die Mehrheit des Rotschlamms lagert heute in offenen Dämmen, die nicht nur enorme Mengen fruchtbarer Flächen beanspruchen, sondern auch zu Luft- und Umweltverschmutzung führen können. Wie zum Beispiel die Deponien in Stade (Deutschland) oder Podgorica (Montenegro). Zwei Deponien, die sehr nahe an bedeutenden Ökosystemen liegen: Stade am Wattenmeer, einem UNESCO Weltnaturerbe, und Podgorica in der Nähe eines Nationalparks. Das birgt ein sehr großes Gefahrenpotenzial für Ökologie und Biodiversität. Als 2010 der Damm der Rotschlammdeponie in Ungarn brach, überschwemmte etwa eine Million Kubikmeter des ätzenden und schwermetallhaltigen Schlamms eine Fläche von 40 Quadratkilometern, 10 Menschen starben, 150 wurden verletzt. Allerdings glaubt Philip Kainz, Consultant für Förderabwicklung, Abfallbeauftragter und Umweltbeauftragter, vom Projekt Redrec, dass die Auswirkungen in Stade wesentlich dramatischer wären, denn die Deponie ist 10- bis 15-mal größer als jene in Ungarn und damit verbunden die potenziellen Umweltschäden. Naturgemäß liegen Rotschlammbecken nahe an Gewässern, da die Aluminiumproduktion viel Wasser benötigt – und dadurch meist auch sehr nahe an empfindlichen Ökosystemen.

Dazu kommen die gesundheitlichen Effekte und die daraus resultierenden sozialen Aspekte. Viele Halden liegen teilweise mitten in Städten. Schlagzeilen wie „Es regnet wieder Blut an diesem Sonntag“ zeigen die Dramatik. Das passiert, wenn die Beregnungsanlage ausgefallen ist und sich der Staub in der Luft mit dem Regen verbindet. Dass dieser Feinstaub für die Leute und Tiere in der Umgebung ungesund ist, muss nicht extra betont werden.

Woraus besteht Rotschlamm?

Rotschlamm enthält eine erhebliche Menge an Eisenoxidverbindungen. Sie verleihen dem Schlamm seine charakteristische rötliche Farbe. Weitere Hauptbestandteile sind Aluminium, Silizium, Calcium und Titan. Je nach Herkunft des Rotschlamms können auch Uran, Gallium, Vanadium, Zirconium, Scandium, Chrom, Mangan, Yttrium, Nickel, Zink, Seltene Erden (Lanthanoide) und Thorium enthalten sein. Um Aluminium aus dem Bauxiterz zu lösen, braucht es Natronlauge, diese verleiht dem Rotschlamm seine stark alkalische, ätzende Eigenschaft.

Wieso gibt es keine großflächige Anwendung von Alternativen?

Das Bayer-Verfahren zur Herstellung von Aluminium entwickelte der Österreicher Karl Josef Bayer im Jahr 1887. Das Verfahren ist im Grunde noch dasselbe. Nur: Bei all dem technischen Fortschritt, wie kann es sein, dass auch heute noch so viel giftiger Abfall einfach deponiert wird?

Das Bewusstsein für die Gefahren und die Dringlichkeit für Lösungen entwickelten sich erst in den vergangenen Jahren, erklärt Wolfgang Kapaun, Research and Technology, Ermafa Environmental Technologies GmbH. Die Kosten und der Aufwand, bestehende „gut“ funktionierende Anlagen aufzurüsten, boten in der Vergangenheit wenig Anreiz.

Ein weiterer Grund sei laut Philip Kainz, Consultant für Förderabwicklung, Abfallbeauftragter und Umweltbeauftragter, Ermafa Environmental Technologies GmbH, dass Abfallströme im derzeitig vorherrschenden Wirtschaftssystem nicht wirklich betrachtet würden. Anstatt den Abfall als Ressource zu nutzen, stocke man Deponien nach wie vor auf. Es gehe um Kosten-Nutzen-Optimierung, es sei einfach billiger.

Christian Zafiu von der Universität für Bodenkultur (Boku) überblickt auch die weltweiten Entwicklungen. Vor allem in Teilen der Erde, wo Wirtschaftswachstum über Umweltschutz steht, dort, wo die großen Industrieanlagen sind, da sehe man Deponien nicht als Problem an. Darüber hinaus liegen diese Anlagen oft in Regionen, wo es Energiearmut gibt. Hochenergetische Techniken würden hier quasi der ansässigen Bevölkerung die Energie „wegnehmen“. Gerade in diesen Regionen sei es wichtig, auf energiearme Lösungen zu setzen. „Das ist das Schöne an der Redrec-Methode und ein wirklich großer Faktor: sie benötigt wenig Energie.“ Mittlerweile sei man zumindest in Europa darauf bedacht, dass die Prozesse zirkulär gestaltet werden, sprich auch den Abfall mitberücksichtigen.

Das Bild zeigt die Anlagen, wo mit der Redrec-Methode Ressourcen aus dem Rotschlamm gewonnen werden. Verschiedene Container, Speicher und Fässer in einer Industriehalle.
Die Redrec-Methode ist schnell und simpel, die benötigte Menge an Technologie und Energie überschaubar. Foto: Ermafa

Wie funktioniert die Aufbereitung?

Im Rotschlamm sind die festen Bestandteile in einer Flüssigkeit fein verteilt. Die gewünschten Partikel (z.B. Eisen) bringt man dazu, sich aneinander zu binden — zu agglomerieren: Die feinen Eisenteilchen ballen sich zusammen und können so ausgefällt werden. Die Natronlauge, die noch in Restmengen übrig ist, wird anschließend abgepresst und erneut verwendet. Kapaun: „Die Redrec-Methode ist schnell und simpel, die benötigte Menge an Technologie überschaubar.“ Und das sei ein großer Vorteil für eine breite Anwendung.

Und natürlich müsse jede Rotschlammdeponie bzw. jeder Rotschlamm individuell getestet und jede Aufbereitungsanlage neu kalibriert werden.

Wo finden die gewonnenen Materialien Anwendung?

Das Eisen geht in die Stahlindustrie. Durch neue Technologien kann das gewonnene sehr feine Eisen (Korngröße von rund 100 Mikrometer) verwertet werden. Traditionelle Hochöfen wären dazu nicht in der Lage gewesen. Der feine Staub hätte den Ofen erstickt. Mit modernen Elektroöfen ergibt sich nun die Möglichkeit, diese Fraktion zu nutzen. Auch die Begleitstoffe seien nicht mehr so problematisch. Zum Beispiel: Die Reste an Natrium hätten in einem traditionellen Hochofen die Wände „weggefressen“; in einem Elektroofen könne man dieses Material absaugen.

Der
"Bisher spricht nichts dagegen, die Erde für Nahrungspflanzen zu verwenden," Gerald Dunst, Kompost-Experte und Chef der Sonnenerde GmbH. Foto: Ermafa

Ein weiterer Teil kommt zur Kompostierung. Die Erdproben daraus hat das Redrec-Team im Labor analysiert — prinzipiell seien keine gefährlichen Stoffe im Material vorhanden. Gerald Dunst, Kompost-Experte und Chef der Sonnenerde GmbH: „Die einzige Herausforderung ist der hohe Natriumgehalt, den müssen wir noch reduzieren.“ Bisher sei nichts aufgetaucht, das Kopfzerbrechen bereite und es spreche nichts dagegen, die Erde für Nahrungspflanzen zu verwenden.

Darüber hinaus könne mit dem gewonnen Material die Wasserspeicherfähigkeit von Böden erhöht werden, erklärt Zafiu. Und so könne man den klimatischen Herausforderungen ausgetrockneter Böden entgegenwirken und den Boden rekarbonisieren, was Gerald Dunst als wichtiges Ziel ansieht.

Wirtschaftlichkeit?

Sechs Euro pro Tonne fallen pro Jahr an Rotschlamm-Lagerkosten an und jede Aufstockung des Speichers kostet viel Geld. Kapaun: „Der Verkauf des Erzes kann im optimalen Fall die Kosten der Aufbereitungsanlage tragen. Das bedeutet für die Betreiber, dass es nach ungefähr zwei bis drei Jahren ein Nullsummenspiel ist.“ Wenn die Feinfraktion gewinnbringend oder ohne Kosten verbracht werden kann, zum Beispiel in einer Kompostierung oder in anderen Systemen, könne man abermals einen Gewinn erwirtschaften. Natürlich käme es darauf an, welche Optionen lokal zur Verfügung stehen. Ist die Kompostierung nicht sinnvoll, biete sich aber z.B. die Bauindustrie (Zement, Ziegel, …) als potenzielle Abnehmerin an. Grundsätzlich soll das Ganze wirtschaftlich neutral oder sogar einen leichten Vorteil bringen. Kapaun: „Redrec soll sich selbst tragen. Fördergelder sollen nur für die Initialbestückung nötig sein.“

Der Bayer-Prozess kommt aus
Österreich. Wir haben damit angefangen,
wir beenden das Problem.

WOLFGANG KAPAUN

Zu bedenken seien mittlerweile die Kosten von Schadensfällen, Aufräumarbeiten und Umweltschäden. Im Sinne des Risikomanagements könnten Firmen bereit sein, Geld für die Anschaffung der Redrec-Technologie zu investieren.

Sicherheit und negative Effekte?

Kapaun: „Im Aluminium-Herstellungsprozess arbeitet man mit 260 Grad und 85 Bar. Die Redrec-Aufbereitungsanlage läuft mit 50 Grad und einem Bar.“ Das sei für die Techniker*innen, die dort arbeiten, sogar ungefährlicher. Da die Anlage komplett abgekapselt sei, könnten zudem keine Stäube austreten.

Wird Aluminium mit der Redrec-Methode nun umweltfreundlich?

Die Aluminium-Herstellung ist umweltschädlich, man könne sie durch die Redrec-Methode umweltfreundlicher machen. Vor allem, wenn hochwertige Erde erzeugt und die Umgebung rekultiviert wird, Brachflächen wieder aufgeforstet oder verwüstete Gebiete wieder begrünt werden. „Das hat dann natürlich auch positive soziale und ökologische Effekte“, sagt Kapaun.

Zafiu und Kainz betonen, dass das Wort „umweltfreundlich“ überstrapaziert und schwierig darzustellen sei. „Ressourcenschonend“ sei ein aussagekräftiger Begriff. Das Redrec-Verfahren könnte Aluminium zu einem ressourcenschonenderen Material machen.

Hier ist anzumerken: Die Aluminiumproduktion benötigt enorm viel Energie und die Gewinnung des Rohmaterials Bauxit ist zum Teil verantwortlich für Regenwaldrodungen. Trotz hoher Recyclingraten ist es fraglich, ob man das Material jemals als „umweltfreundlich“ oder „ressourcenschonend“ bezeichnen kann. Rotschlamm ist nur ein Aspekt der Aluminiumproblematik. Da wir aber mittlerweile sehr abhängig von Aluminium sind, ist es zumindest ein Anfang, Verantwortung für den Abfall, der dabei entsteht, zu übernehmen. Umweltgerechte Entsorgung und eine möglichst gute Nutzung der Ressourcen sind ein großer Fortschritt in die richtige Richtung.

Wie geht es weiter?

Geplant ist derzeit eine Projekt-Anlage direkt an Deponien. Die ersten Aufbereitungsanlagen sollen 2025 starten. Potenzielle Projektpartner gäbe es in Deutschland, der Slowakei und in Bosnien. Bis dahin testen und optimieren Ermafa, die Boku, die Montanuniversität Leoben und die Sonnenerde GmbH das Redrec-Verfahren.

Johanna Sommerauer