Shopping um der Kinder Willen?
Wendezeit Lockdown: Was nehme ich persönlich aus der Krise mit?
November 2020. Ein weiterer Lockdown. Wir kennen das bereits. Das öffentliche Leben, die Kinderbetreuung und die sozialen Kontakte kommen zum Erliegen.
Corona stoppt unser Tun und bringt das Hamsterrad des wirtschaftlichen Wachstums zum Stehen. Wir bleiben wieder zu Hause, betreuen die Kinder, reparieren unsere alten Sachen und kochen gemeinsam. Wir brauchen wenig Geld zum Leben. Unsere Grundbedürfnisse sind gestillt. Unser Kühlschrank ist voll, unsere Wohnung ist warm und Shopping war noch nie eine meiner Leidenschaften. In letzter Zeit graut es mir sogar, wenn ich Handelsräume betrete.
Wer bitte bracht 279 verschiedene Adventskalender gefüllt mit Plastikdreck, in einer Zeit, in der wir wissen, dass die Ressourcen dieser Erde für unsere Kinder und Enkelkinder nicht ausreichen werden? Und warum blinkt und leuchtet alles so exzessiv? Vor lauter Warenüberangebot im Handel finde ich gar nicht, was ich brauche, wenn ich was brauche. Und meist wird mir flau im Magen ob all der Produkte, die sichtbar Umweltzerstörung und moderne Sklavenhaltung in die Läden vor meiner Haustüre bringen. Anders ist der Preis nicht machbar. Und mittlerweile sieht man es den Produkten ja auch schon an. Ich will das nicht. Ich brauche das nicht. UNSERE KINDER BRAUCHEN DAS NICHT.
Nach was wir uns sehnen, inmitten der Pandemie als Familie mit Kindergartenkindern in der Metropole Wien ist Natur, vielleicht ein bisschen Schnee und andere Kinder und Menschen zum Austauschen und Spielen. Und nach was ich mich sehne als Sozialökologin und nachhaltige Unternehmensberaterin ist ein Masterplan für einen zukunftsfähigen Wiederaufbau unserer Wirtschaft. Einen echten „green new deal“. Ich sehne mich nach einer veränderten Produktions- und Konsumlogik, die meinen Kindern, die beide im Jahr 2100 noch leben werden, ein friedvolles Leben auf einem intakten Planeten ermöglicht. Ich sehne mich nach einem Stopp der Überproduktion. Das brauchen wir. DAS BRAUCHEN UNSERE KINDER.
Im ersten Lockdown las ich einen Gastkommentar vom Wirtschaftskammerpräsidenten Harald Mahrer: „Als Wirtschaftskammern vermitteln wir den Konsumentinnen und Konsumenten jetzt eine klare Botschaft: Konsumieren schafft Arbeit. Jeder und jede kann durch Konsum […] einen Beitrag für den Weg aus der Krise leisten. Das muss jetzt Konsens in ganz Österreich sein.“ Und nun im zweiten Lockdown lese ich, dass der Wirtschaftsbund die Klimaziele für „überzogen“ hält. Und ich bin fassungslos. Eine Wirtschaft die zu Grunde geht, wenn wir den ganzen Trödel, den wir gar nicht brauchen nicht mehr kaufen, ist keine gute Wirtschaft. Und eine Wirtschaftskammer, die nicht in der Lage ist, unseren Kindern resiliente Unternehmen zu übergeben und auf die Herausforderungen dieser Zeit entsprechend zu reagieren, ist keine gute Wirtschaftskammer.
Auf die Frage, wieso unser Wirtschaftssystem sich vom unendlichen Wachstumsgedanken nicht endlich verabschiedet, höre ich oft die Antwort: „Wir Menschen wollen unseren Kindern ein besseres Leben ermöglichen und ihnen mehr hinterlassen, als wir selber hatten. Drum ist es Antrieb der Menschen, wirtschaftlich stetig zu wachsen.“ Ja das ist, was mein Vater in den 1970er Jahren wollte. Aber das ist nicht, was ich im Jahr 2020 möchte. Ganz im Gegenteil. Kinder brauchen kein Meer an Konsumgütern. Wir gehen über an Spielzeug. Der Ozean geht über an Plastik. Kinder brauchen ein resilientes Ökosystem Erde und enkeltaugliche Geschäftsmodelle. Geschäftsmodelle, die qualitativ hochwertige Produkte, Reparatur, Regionalität, Dienstleistungen und ressourcenschonende Herstellungsweisen forcieren.
Und da stehe ich nun im Dezember 2020, kurz nach dem zweiten Lockdown, in einer Einkaufsstraße. Alles blinkt und leuchtet. Hotels und Gaststätten haben zu. Der Zoo auch. Aber der Handel boomt. Wir riskieren tatsächlich einen dritten Lockdown, um shoppen gehen zu können. Und zwar Dinge, die wir gar nicht brauchen und die in den meisten Fällen keine hinreichenden Umwelt- und Sozialstandards erfüllen. Die Wirtschaftskammer lobbyiert im Hintergrund und wir machen mit, fressen unseren Kindern die Haare vom Kopf und legen sie ihnen dann unter den Christbaum.
Will die Mehrheit in diesem Lande wirklich so eine Art von Konsum? Oder sind wir Marionetten in einem Spiel, in dem wenige reiche Männer gewinnen und all unsere Kinder verlieren? Gerne würde ich jetzt mit einer Freundin einen Cappuccino trinken gehen oder besser ein Gin Tonic. Ob wir uns dazu im Garderobenbereich von Peek and Cloppenburg treffen können? Oder einfach mal die Füße hochlegen und ein Buch lesen ohne von einem Kleinkind wegen einem Schokonikolo die Freundschaft aberkannt zu bekommen. Ob ich in die Bettenabteilung vom XXXLutz fahren sollte? Vielleicht gibt es dort ein Himmelbett mit Vorhängen zum Zuziehen, indem ich ungestört von einer besseren Welt träumen kann.
Zu Beginn der Krise 2020 waren Unsicherheit, Entschleunigung und eine Reduktion auf das Wesentliche meine persönlichen Begleiter. Nun im Dezember 2020 sind es Wut, Trauer und Erschöpfung. Die Welt in der ich lebe, ist nicht die Welt, in der ich leben möchte. Die Welt, in der ich lebe raubt meinen Kindern ihre Chancen auf eine lebenswerte Zukunft. Mit oder ohne Pandemie. Es wird Zeit, dass wir das Kapitel Überproduktion schließen. Und ja, dann gibt es weniger Geschäfte, die billige Produkte anbieten. Und nein, das bedeutet nicht das Ende der Welt. Das nicht.
Zur Autorin:
Maria Lackner ist Unternehmensberaterin, Coach und Moderatorin und lebt mit ihrer Familie in Wien. Sie ist Mitglied der CSR Experts Group der Wirtschaftskammer Wien und Mitglied der Grünen Wirtschaft und arbeitet seit 10 Jahren in Teilzeit. Freiwillig und aus Überzeugung.
www.marialackner.com