Strategie: Reiseangebote, die Zukunft haben
Menschen, die reisen, wollen etwas erleben. Gleichzeitig kennen wir mittlerweile beinahe jeden Winkel der Erde. Die Welt gilt heute aus der Sicht des Reisens als erobert sagt der Tourismus-Experte Franz Schmidt, inventschmidt. Wie gelingt es der Tourismusbranche ihren KundInnen weiterhin nachhaltige Erlebnisse zu bieten? Roswitha M. Reisinger hat ihn dazu befragt.
Sie kennen die Tourismusbranche in Österreich. Wo liegen die wichtigsten Stärken und Merkmale Österreichs, die Gäste anziehen?
Österreich ist ein hochwertiges Reiseziel mit großer Tradition. Neben der vielfältigen Landschaft und den erfahrenen GastgeberInnen ist es vermutlich vor allem die österreichische Lebensart, die das Land so attraktiv macht. Österreich ist ein Land, das zu leben versteht. Es fasziniert mit Natur, Kultur und Kulinarik. Und es verfügt über hochwertige Einrichtungen (vom Skisport bis zu Städtereisen).
Welche Herausforderungen kommen auf den Tourismus in Österreich zu?
Der Begriff „Herausforderung“ trägt eine sehr große Bedeutungsvielfalt in sich, sodass wir ihn genauer betrachten sollten.
Einerseits unterliegt der Tourismus als Querschnittsmaterie vielen Dynamiken in der Gesellschaft, wie der Digitalisierung, dem soziodemographischen Wandel oder der Urbanisierung, die schon jetzt massive Veränderungen in der Arbeits- und Lebenswelt nach sich ziehen. Der Tourismus kann diese Entwicklungen nutzen, etwa wenn es um digitale Services für Gäste geht, um Smart-Living-Services in Hotels oder neue Mobilitätsangebote vor Ort. Diese Art der Herausforderung ist gleichzeitig Quelle von Innovationen.
Anders der oft zitierte Klimawandel: Dieser führt zu einer langsamen Adaption, die z.B. bei den Bergbahnen schon längst eingesetzt hat. Wie der diesjährige Winter in vielen Regionen zeigt, ist es der Branche gelungen, das Skierlebnis und damit die Kapitalverzinsung ohne Naturschnee zu sichern und gleichzeitig in Ganzjahreserlebnisse zu investieren.
Ähnliche Anpassungen finden auch am touristischen Arbeitsmarkt statt. Das zentrale Problem der Branche stellt die geringe Produktivität im Vergleich zur Industrie dar. Das bedeutet, dass die touristische Bruttowertschöpfung (also Unternehmensgewinne und Gehälter/Löhne) nur halb so groß sind. Hotels können sich aufgrund der Ertragslage aber oft keine höheren Gehälter leisten. Der oft zitierte Fachkräftemangel findet sich darüber hinaus in den Statistiken des Arbeitsmarktes ja nicht im Tourismus, sondern wird durch andere Phänomene, wie zu geringe Mobilität oder höhere Ansprüche an die Work-Life-Balance etc. überlagert. Zurzeit gibt es mehr als doppelt so viele arbeitslose Fachkräfte als offene Stellen in der Branche.
Entsprechend der Ausdifferenzierung der Gesellschaft wird es auch eine Ausdifferenzierung der Angebote geben. Das bedeutet, dass dienstleistungsintensiven Angeboten solche mit hohem Automatisierungsgrad gegenüber stehen werden. Diese Design-to-cost-Konzepte wie Check-In-Systeme mit PCs und ohne traditionelle „Rezeption“, Raumschnitt und Einrichtung von Zimmern, die die Reinigungskosten um 50 % reduzieren, lange Lebensdauer, geringe Reparaturkosten tragen zur Reduktion der Betriebskosten bei und diffundieren aus der Städtehotellerie in die Urlaubsregionen.
Welche Empfehlungen haben Sie für Destinationen und Betriebe?
Grosso modo gilt die Welt heute aus der Sicht des Reisens als erobert. Daraus folgt, dass es jetzt um eine qualitative Entwicklung geht, die für Österreich als Teil der entwickelten, westlichen Welt nur in einem ganzheitlichen, kulturell nachhaltigen Sinne gelingen kann.
Grundsätzlich geht es in der Fixkostenbranche um Auslastung. Damit sind wir beim Spiel Menge mal Preis. So lange sich dabei der Betrieb auf sich selbst konzentriert, geht das zumeist nachteilig zu Lasten des Preises aus. Je größer der Auslastungsdruck, umso stärker scheint das Einzelkämpfertum zu wachsen. Dabei wäre das genaue Gegenteil viel wirksamer: die Gestaltung kreativer Zusammenarbeitsformen, die letzten Endes jene Synergien ausschöpfen, die dem Einzelkämpfer nicht erschließbar sind. Hier können die Destinationsorganisationen eine wertvolle Rolle einnehmen.
Erfolg verspricht also das Zusammenspiel von Innovation, Strategie und Marke. Welche Art von Innovationen besonders erfolgsversprechend?
Vereinfachend können wir zwei Dimensionen eines Angebots unterscheiden: Das WAS des konkreten Angebots (Bett, Skipass, FreizeitCARD, etc.) und das WARUM, jene Sehnsuchtsdimension, die tatsächlich die zumeist emotionale Reiseentscheidung prägt.
1. Begeisternde Markengeschichten
Wenn jemand verreist, möchte er so sein, wie er wirklich ist bzw. sein möchte (to be a bit more like I wish I was). Er oder sie werden beim Skifahren, Bergsteigen, Biken,… im Urlaub zum/r HeldenIn, zum/r EntdeckerIn, zum/r LiebhaberIn oder GenießerIn. Für diese Sehnsuchtskategorie braucht es Geschichten, die die Menschen emotional berühren („Marken-Geschichten“).
2. Alleinstellende Innovation
Jede Geschichte braucht in der realen Welt des Reisens einen Wahrheitsbeweis. Dieser gelingt dann am überzeugendsten, wenn dieses Angebot, Service, bzw. die Einrichtung über innovative Elemente verfügt. Das können technische Aspekte sein (ein in die Urlaubsregion eingebettetes Mobilitätsservice mit multimodaler Vernetzung mit dem öffentlichen Verkehr und einer APP, mit der der Gast am Smart Device bucht und bezahlt), Services (Ski!Project – Spezielle Schikurse im Bregenzerwald), neue Treatments (Styrian Sambucus – Naturkosmetiklinie der Themenregion), innovative Events (Early Morning Skiing) etc.
Viele der neuartigen Angebote erfordern zunächst die „soziale Innovation“ neuer Zusammenarbeitsformen. Während dies in TOP-Destinationen zur Selbstverständlichkeit eines kleinen Führungskreises gehört (vgl. Serfaus,…), tun sich andere Destinationen damit nicht so leicht.
Wo beginnen Destinationen mit ihren Überlegungen zur Re-Positionierung?
Destinationen setzen dort an, wo sie meinen, geschäftliche Nachteile zu erleiden. Das ist in jeder Destination anders und hängt von vielen Faktoren ab, und wie in jeder Krise ist darin auch die Chance definiert. Daher versagen Modelle und modellhafte Empfehlungen. Destinationen sind als touristische Standortwirtschaften zu verstehen, die komplexe Bezüge, Beziehungen und vielschichtigen Geschäftsoptionen aufweisen. Man muss das Ganze betrachten, um unter den vielen möglichen Wirklichkeiten die wirklichen Möglichkeiten zu erkennen und gemeinsam zu entwickeln.
Die Chance liegt also in der Zusammenarbeit. Worauf kommt es an?
Man muss sich nicht in der Theorie der Verbundsysteme auskennen, um zu verstehen, dass ein Natur-Erholungsurlaub oder ein Skiurlaub nicht in einem Hotel stattfindet, sondern in einer Region. Der Urlaub ist dann das Ergebnis eines Leistungsträger-Verbunds, bei dem die Bergbahn, das Hotel, die Skischule etc. zusammenwirken. Dieses Zusammenwirken findet in einer Destination statt. Das bedeutet, dass auch die Marke der Destination dabei eine Rolle spielt. Bei genauer Betrachtung sind die meisten Urlaube „Verbundprodukte“ eines Leistungssystems von Betrieben und regionalen Aspekten. Je besser dieses System aufgestellt und „gemanagt“ wird, umso wirksamer ist es am Markt und im Wettbewerb.
In diesem Sinne ist es bedeutsam, dass zunächst jeder Betrieb selbst für seinen Erfolg und seine Wettbewerbsattraktivität verantwortlich ist. Die zweite Geschäftsoption stellt dann der Leistungsverbund innerhalb der Destination dar. Je besser er als attraktiver Partner in diesem System mitwirkt, umso erfolgreicher wird dieses System sein. Für solche Systeme geht es um Marktzugänge (Marke, Marktzugänge, Channel-Bewirtschaftung, Kundengruppenmanagement) und um innovative Verbundprodukte, die eine begeisternde Markenstory erzählen. Dabei geht es nicht um Kooperation um jeden Preis sondern um Wertschöpfung und ein Zusammenwirken als Wettbewerbseinheit und Marke.
Wodurch unterscheiden sich der Marken- und der Marketing-Zugang für die Positionierung einer Destination? Wieso präferieren Sie ersteren?
Destinations-Marken sind Systemleistungen mehrere Betriebe und Partner vor Ort. Sie haben vor allem mit der Identität eines Raums, mit Lebenskonzepten zu tun. Wenn wir davon ausgehen, dass Reiseentscheidungen heute Lebensstilentscheidungen sind, dann wirken Marken stärker auf die Reiseentscheidung ein.
Im Gegensatz dazu setzt Marketing auf den direkten Angebots- und Preisvergleich. Dabei riskieren die Anbieter, dass ihre Angebote durch hohe Ähnlichkeit mit jenen der Mitbewerber unter Preisdruck geraten. Natürlich kann man sich mit innovativen Angeboten am Markt alleinstellen. Allerdings gibt es im Tourismus nur einen geringen Imitationsschutz. Daher wirken Markenpositionierungen nachhaltiger. Allerdings sind diese nur dann erfolgreich, wenn das Markenpotenzial ausreichend stark ist.
Die Verbundsysteme sind soziale Systeme, die nicht wie Konsumgüter-Marken entwickelt und bewirtschaftet werden können. Wo liegt der Unterschied? Worauf kommt es an?
Soziale Systeme zu markieren, wie wir es von Konsumgütern gewohnt sind, kann nicht gelingen: Gesellschaften sind immer im Wandel weil es um ein Gefühl von Identität als soziales Konstrukt geht. Konsumgüter können Flügel verleihen, Menschen vor Ort tun das in der Regel nicht. Neben psychologischen Konzepten kommen bei Destinationsmarken vor allem auch soziale Aspekte hinzu: Die GastgeberInnen und Gäste selbst sind Teil der Marke. Destinationsmarken zu bewirtschaften bedeutet einen Identitätsdiskurs in der Sprache von Kunst und Kultur zu betreiben, der den Menschen das Gefühl von Zugehörigkeit vermitteln kann. Dieser Prozess schließt das Gewordensein eines Raums in eine Geschichte, eine Art Lebensphilosophie des Werdens ein – wie dies beispielsweise im Bregenzerwald herausragend umgesetzt wird.
Mag. Franz Schmidt, Strategie- und Markenentwickler, geschäftsführender Gesellschafter der inventschmidt Gmbh, Lehraufträge an den Universitäten Wien, Klagenfurt und an der FH Salzburg. Schmidt versteht sich als Brückenbauer und Vermittler zwischen Wissenschaft, Technologie, Kunst und Kultur und ist vor allem für die Tourismusbranche tätig.