Theresa Imre, Markta.at
markta ist ein digitaler Bauernmarkt. Imre hat ihr Angebot im Corona-Frühjahr 2020 massiv ausgebaut und damit die regionale (Land-)Wirtschaft und Nahrungsmittelproduzent*innen unterstützt.
Sie schafft mit digitalen Vertriebskanälen kurze Versorgungswege, um unsere Wirtschaft, das Bewusstsein für Lebensmittel & die dazugehörige Verantwortung wieder lokal zu verankern.
Theresa, du hast – gemeinsam mit einer Freundin – zuerst den Koch-Blog „eingebrockt und ausgelöffelt“ gemacht und ihr wurdet 2014 sogar mit dem österreichischen Food-Blogger-Award ausgezeichnet. Wie kommt man dann dazu, einen digitalen Bauernmarkt aufzubauen?
Ich bin in der Steiermark aufgewachsen, da bekommt man automatisch einen starken Bezug zu Lebensmitteln. Der Blog und der Award haben uns nicht nur eine gute Reichweite gebracht, es haben sich auch viele Kleinbetriebe gemeldet – Bäuerinnen und Bauern, die nicht wissen, wie sie sich vermarkten können. Es gibt viele Bäuerinnen und Bauern, die ab Hof verkaufen, aber sie machen es semiprofessionell. Sie wollten wir unterstützen und mit meiner Erfahrung aus der Unternehmensberatung habe ich gewusst, wie wir daraus ein unternehmerisches Konzept machen können – und 2016 haben wir markta, den digitalen Bauernmarkt, gegründet.
Was war die treibende Kraft?
Wir haben gesehen, dass ein großer Bereich des normalen Wirtschaftssystems weder in der Kommunikation noch im Preis abgebildet ist, nämlich die Produktion und die Arbeit, die dahinterstehen. Wir haben gesehen, dass wir zu den Menschen zurückgehen müssen, dass eine direkte Vernetzung zwischen Produzent*innen und Konsument*innen notwendig ist.
Du sagst, ihr habt mit einer großen Portion Naivität begonnen?
Ja, die ist immer da, wenn man etwas Neues beginnt, das gehe ich sogar sehr bewusst immer so an.
Die Konsument*innen haben das Angebot angenommen?
Am Anfang haben die Betriebe ihre Produkte selbst online gestellt und die Bestellungen per Post an die Kund*innen geschickt. So hatten wir ein enorm großes Angebot. Aber die Konsument*innen sind wahnsinnig bequem. Sie haben zwar unser Angebot gelikt, aber kaum jemand wollte sein Verhalten verändern. Unser Konzept hat bei Genussprodukten funktioniert, aber nicht für den Alltagseinkauf. Wir haben gesehen, dass wir ein Logistikzentrum brauchen, von dem aus alles in einer Box geliefert wird – das gebündelte Angebot von 150 Produzent*innen. Zu Beginn haben wir 150 Bestellungen pro Woche verschickt.
Und Corona hat dann einen richtigen Boom ausgelöst?
Ausgelöst durch ein paar Facebook-Postings, dass wir regionalen Bauern und Bäuerinnen helfen können, haben sich die Bestellungen vervielfacht – auf 2.500 Bestellungen pro Woche. In den Spitzenzeiten haben wir 80.000 Lebensmittel pro Woche versandt.
Wie habt ihr es geschafft, dieses extreme Wachstum zu bewältigen?
Zunächst haben wir noch alles selbst gemacht, mit der Hilfe von 30 bis 40 Freund*innen. Auf die Dauer ist das natürlich nicht machbar, daher haben wir einen Logistikpartner gesucht und gefunden, den Logpoint am Franz-Josephs-Bahnhof in Wien.
Was hat euch erfolgreich gemacht?
Das ist erstens die Kombination aus Regionalität und Nachhaltigkeit. Wir nehmen primär Produkte auf, die das Bio-Gütesiegel tragen, und wenn das nicht der Fall ist, schauen wir uns direkt am Hof an, wie produziert wird. Und zweitens achten wir sehr genau auf effiziente Prozesse und Wirtschaftlichkeit. Es braucht ein gutes Geschäftsmodell, wenn man neben dem Lebensmittelhandel mit seinen riesigen Umsätzen und den daraus entstehenden Kostenvorteilen bestehen will. Bei uns bekommen die Produzent*innen 70 Prozent des Erlöses, im klassischen Handel bekommen sie zehn bis 30 Prozent.
Wie habt ihr das Wachstum finanziert?
Es war immer wieder schwierig mit Investments, weil wir kein klassisches Start-up sind. Wir setzen nicht auf schnelles Wachstum und Gewinn. Wir brauchen einen langen Atem, um erfolgreich zu sein. Daher haben uns am Anfang Freund*innen, Familie und Business Angels finanziell unter die Arme gegriffen. Während Corona haben wir Crowd-Investment ausprobiert. Das war überraschend erfolgreich: 500 Investoren haben 600.000 Euro eingesetzt. Österreich ist bezüglich Start-up-Finanzierung leider nicht gut aufgestellt.
Wer sind eure wichtigsten Kund*innen? Wie erreicht ihr sie?
Der Großteil unserer Kund*innen ist weiblich, 70 Prozent leben in Wien, an der Stadtgrenze, in den Außenbezirken und in den angrenzenden niederösterreichischen Bezirken – weil es dort keine Nahversorgung mehr gibt. Natürlich sind unsere Kund*innen inhaltlich an Nachhaltigkeit und Flexibilität interessiert.
Ursprünglich haben wir vor allem 25- bis 45-Jährige erreicht. Das hat sich während Corona geändert, plötzlich haben viele ältere Menschen bestellt – und viele bleiben nun auch. Sie schätzen den Geschmack der alten Kartoffelsorten, der frischen Butter oder den Camembert, der anders schmeckt, wenn sich das Wetter, das Futter oder die Saison ändern.
Zudem kommen nun viele Unternehmen auf uns zu, weil die Weihnachtsfeiern ausfallen. Als kleines Goodie und Ersatz bekommen ihre Mitarbeiter*innen nun markta-Versorgungspakete oder Gutscheine.
Wollt ihr in der Nische bleiben, oder wollt ihr richtig groß werden?
Realistisch gesehen wird es ein Nischenthema bleiben. Wir haben letztes Jahr 100.000 Euro Umsatz gemacht, heuer kommen wir auf zwei Millionen Euro. Eine durchschnittliche Merkur-Filiale macht 20 Mio. Euro, der Lebensmitteleinzelhandel insgesamt 90 Mrd. Euro Umsatz pro Jahr.
Was sind eure nächsten Schritte?
Wir wollen Wien super perfekt machen, schauen, dass der Standort funktioniert und sich wirtschaftlich selbst trägt. Mit diesem Wissen wollen wir unser Business ausrollen – in eine weitere große Stadt gehen, zum Beispiel München, oder wir lizenzieren unser Konzept und geben es weiter. In vielen Regionen schließen sich die Produzent*innen zu Verbänden zusammen – für sie könnte unser Konzept interessant sein.
Wie verbessert eure Arbeit die Welt?
Wir verbessern die Welt auf ganz vielen Ebenen.
Da ist einmal die ökologische Ebene: Mit dem Anbau der Produkte werden Artenvielfalt und Biodiversität gestärkt. Bei uns wird nichts weggeworfen: Jede Form von Gemüse wird verkauft was wächst und wie es wächst, wird genommen. Wir haben kein Lager: Die Bestellung geht ein, die Karotte wird geerntet und am Abend ausgeliefert. Es gibt auch keinen Verpackungsmüll: Wir haben ein komplettes Mehrwegsystem, auch für Milch oder Waschmittel. Gekühlte Pakete werden mit Schafwolle gedämmt.
Dann die soziale Ebene: Täglich schließen in Österreich sieben Bauernhöfe! Wir tragen dazu bei, dass Bauernhöfe, aber auch kleine Bäckereien oder Metzgereien weiterleben können.
Wir geben den Menschen die Verantwortung zurück – und dann identifizieren sie sich auch mit der Produktion.
Wie sieht die Zukunft aus, wenn ihr erfolgreich seid?
Ziel ist es, europaweit und weltweit, ein Netzwerk der Kleinen, der Selbstständigen aufzubauen und eine selbstbestimmte Arbeitsweise zu ermöglichen, indem diese an ein Netzwerk andocken und so effizienter werden können. Supermärkte sind ja deshalb so groß geworden, weil sie durch ihre Größe günstiger produzieren können. Eine Versorgung vor Ort durch einen Greißler kann durch die Plattformökonomie wieder möglich werden.
Dezentralisierung ist wichtig, denn in zentralen Systemen ist es schwierig, die Verantwortung festzulegen – je länger die Kette, desto schwieriger wird es. Und je mehr du über die Produktion weißt, desto verantwortlicher fühlst du dich. Die Billiglohnländer sind zu weit weg – egal wie schlecht die Sozial- und Umweltbedingungen dort sind.
Wie gelingt es, ein ausreichendes Momentum zu erzielen?
Die Dinge müssen greifbarer und nahbarer werden. Seit Fridays for Future nehmen wir die Dinge wieder ganz anders wahr. Es gibt ein Bedürfnis zu verstehen, was ist, es braucht das Erlebbare. Wir haben beispielsweise Pop-up-Bauernmärkte gemacht, wo man mit dem Bauern über seine 14 Schafe reden konnte. Die waren ein ganz großer Erfolg, um zu erfahren, worum es wirklich geht. Da entsteht viel Wertschätzung und Wertschöpfung. Wir müssen die Menschen, wie Karl Polanyi sagt, wieder in die Wirtschaft einbetten – das kann viel Veränderung auslösen.
Durch Kooperation passiert mehr Wertschöpfung. Das sind Netzwerkeffekte – die halten alles am laufen. Es geht um ein Miteinander und nicht Gegeneinander. Das ist im Neoliberalismus allerdings schwierig umzusetzen.
Wenn du einen Wunsch frei hättest: Was würdest du dir wünschen?
Ich bin nicht wunschlos glücklich, aber dankbar für das, was ich machen kann. Ich wünsche mir manchmal entspannter und gelassener zu sein. Aber grundsätzlich fühle mich sehr beschenkt. Wir sind so wahnsinnig privilegiert hier in Österreich. Und damit haben wir auch die Verantwortung, etwas zu machen.
Welche Rolle spielen Werte für dein Handeln?
Enorm viel. Wenn ich Wertschätzung und Wertschöpfung zurückgeben will – den Mitarbeiter*innen und Partner*innen – da entscheiden Befindlichkeiten. In der Arbeit kommt oft viel hoch, das muss man in die richtigen Bahnen bringen, damit es nicht ausufert. Es geht oft darum, die Leute sensibel abzuholen. Da muss man manchmal sehr stark sein und die richtige Balance finden, wo man Menschen selbst wachsen lassen soll und wo man intervenieren muss.
Wie gelingt das?
Das wichtigste ist, die Themen anzusprechen – dann geht schon viel weiter.
Welche Werte kann man in Unternehmen leben, welche nicht?
Generell geht es darum, Mehrwert für alle zu schaffen, auch für die Umwelt. Dann kann man wenig falsch machen. Es darf nicht sein, dass man Machtvorteile durch Wissen oder wirtschaftliche Stärke für Eigennütziges verwendet – das ist aber leider der Kapitalismus. Das ist nicht dienlich für eine gute Gesellschaft. Es geht darum, Macht bewusst für eine gute Gesellschaft einzusetzen.
Welche Herausforderungen kommen 2021 auf uns zu?
2021 werden große wirtschaftliche Herausforderungen auf uns zukommen – sie werden noch viel weiter und tiefer gehen als wir bisher sehen. Die Old Economy wird sich ändern, in manchen Bereichen ist das auch gut so: Industrien wie Fluglinien oder Erdöl werden stärker gebeutelt, sie hätten für die Veränderung vielleicht noch zehn bis 20 Jahre gebraucht – jetzt muss es in kurzer Zeit gehen. Für Veränderungen braucht eine gewisse Zerstörung, Krisen sind wichtig, um uns neu aufzustellen. Die Wirtschaftskrise 2008 haben wir viel zu wenig genützt, um zum Beispiel das Finanzsystem neu aufzustellen. Eine große Herausforderung wird die Arbeitslosigkeit sein. Da braucht es neue Konzepte wie ein bedingungsloses Grundeinkommen oder eine Reduktion der Arbeitszeit.
Was ist dein Credo für dein Leben? Der Satz deines Lebens?
Es ist immer nur eine kleine Gruppe von Menschen, die die Welt verändert. Wenn etwas keimt und es ist richtig, dann reißt es letztlich viele Menschen mit. Das ist meine Hoffnung und mein Anspruch. Und das gibt Stärke und Handlungsmacht.
Theresa Imre, Gründerin
markta.at, Wien
Anzahl der Mitarbeiter*innen: 12 + 9