Frauen: Siegerinnen oder Verliererinnen der Krise?
Jede Krise verändert Teile unserer gesellschaftlichen Ordnung und mit ihr auch unsere Geschlechternormen. Beatrix Hausner, Elif Gül.
Die Krisen, in denen wir uns befinden, sei es gesundheits-, wirtschafts- oder arbeitsmarktpolitisch, sind aus Gender-Perspektive ein halb leeres und halb volles Glas. Es lässt sich noch keine Aussage über bevorstehende Veränderungen treffen, jedoch können wir uns ansehen, was sich bereits verändert hat und wo wir nun stehen.
In Österreich ist das aktuelle Gesicht des Krisenmanagements männlich. Kontinuierlich präsentieren uns dieselben vier Männer bei Pressekonferenzen neue Maßnahmenpakete zur Bewältigung der Krise. Die so genannten „Systemerhalterinnen“, die gegen die Pandemie ankämpfen, sind jedoch zum Großteil Frauen. Sie haben die Corona-Krise in den ersten Monaten hauptsächlich geschultert, sie arbeiten in schlecht bezahlten Jobs als Pflegekräfte, Lebensmittelverkäuferinnen, medizinisches Personal, Reinigungskräfte u.v.m.
Gleichzeitig wird klar, dass in einigen Branchen mehr Frauen als Männer von Corona-bedingter Arbeitslosigkeit betroffen sind. Das zeigt ein Vergleich der Arbeitslosenzahlen des AMS von März und August. Dies kann zum Teil ein saisonaler Effekt sein. Frauen könnten aber auch durch die höhere Beschäftigung im Handel und Tourismus mittelfristig durch Sparmaßnahmen vom Arbeitsmarkt zurückgedrängt werden.
Stolpern Frauen über die gläserne Klippe?
Ein Phänomen, das nicht neu ist. Wir können nahezu von einer gesamtgesellschaftlich konstruierten und kollektiven Gläsernen Klippe reden: Frauen übernehmen in einer schweren Krise – in der Politik oder in Organisationen – die Führung oder werden als Führungskraft eingesetzt. Gelingt es ihnen nicht, die Krise zu bewältigen, werden sie als Teil des Problems gesehen oder eventuell sogar dafür verantwortlich gemacht. Ein bekanntes Beispiel dafür ist Theresa May, die in Großbritannien in einer großen Krise an die Spitze gesetzt wurde, um dann als Teil des Problems gesehen zu werden und von ihrem politischen Posten zurücktreten musste. Auch jetzt besteht die Gefahr, dass Frauen, die in der Krise viel geleistet haben, nach der Krise aus wirtschaftlichen Gründen wieder zurückgestellt werden.
Krise für sozialen Wandel nutzen
Um vor einer kollektiven Gläsernen Klippe zu schützen, bräuchte es feministisches Krisenmanagement. Layla Branicki von der Macquarie University Australien (2020) beschreibt dieses als möglichen Gegenpol zu rein rationalem Krisenmanagement, das mit dem Ziel handelt, eine Ausgangssituation eins zu eins wieder herzustellen. Feministisches Krisenmanagement hingegen sieht seine Aufgabe darin, durch die Krise sozialen Wandel voranzutreiben und zu nutzen. Beispielsweise hat die Krise gezeigt, wie wichtig Systemerhalterinnen sind und feministisches Krisenmanagement könnte die Arbeit auch finanziell aufwerten.
Ändert die Gesellschaft ihren Blick?
Die Covid-19-Krise könnte auch einen positiven Effekt auf Frauen und Politikerinnen haben. Carol Johnson und Blair Williams, Professorinnen an der University of Adelaide bzw.an der Australian National University (2020), stellen fest, dass führende Politikerinnen in dieser Gesundheitskrise immer wieder für ihre weiblich-gelesenen, fürsorglichen Verhaltensweisen positiv bewertet werden und ihre Führungskompetenz von der Gesellschaft viel positiver wahrgenommen wird, als die mancher männlicher Kollegen. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern und andere Politikerinnen bekamen in dieser Krise eine Wertschätzung, die zuvor nie da gewesen war. Wo Männer die Krise oder die Gefahr durch das Virus immer wieder negieren oder Kriegsrhetorik anwenden, leisten Frauen auch in der Politik „Sorgearbeit“. Der Wandel im gesellschaftlichen Wahrnehmen von feminin-gelesenen Eigenschaften kann einen längerfristig positiven Einfluss auf die Darstellung von Politikerinnen und Frauen in Führungspositionen haben, gleichzeitig erschwert die Krise die Arbeitsmarktsituation von Frauen besonders.
Beatrix Hausner und Elif Gül sind Gender- und Diversitätsexpertinnen der ÖGUT – Österreichische Gesellschaft für Umwelt und Technik. www.oegut.at.
Literatur
Branicki, Layla J. “COVID‐19, Ethics of Care and Feminist Crisis Management.” Gender, Work, and Organization, vol. 27, no. 5, 2020, pp. 872–883.
Ryan, Michelle K, and Haslam, S. Alexander. “The Glass Cliff: Evidence That Women Are Over-Represented in Precarious Leadership Positions.” British Journal of Management, vol. 16, no. 2, 2005, pp. 81–90.
Johnson, Carol, and Williams, Blair. “Gender and Political Leadership in a Time of COVID.” Politics & Gender, 2020, pp. 1–12.