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Hans Holzinger, Robert Jungk Bibliothek

Wir müssen uns immer fragen, was wir gewinnen können.

Hans Holzinger, Foto: Carmen Bayer

Holzinger hat von Beginn seiner wissenschaftlichen Karriere an (1992) die Themen Nachhaltigkeit, Zukunft der Arbeit und sozialen Sicherung, Partizipation und Demokratie sowie neue Wohlstandsmodelle beforscht, publiziert und diskutiert, und damit die Basis für nachhaltige Entscheidungen von Manager*innen, Politiker*innen und Bürger*innen gelegt. Gewürdigt wird sein lebenslanger Einsatz und Vernetzung im Sinne einer nachhaltigen Wirtschaft und Zukunft.

Hans Holzinger stammt aus einer Bauersfamilie mit fünf Geschwistern. Da musste geteilt und gemeinsam angepackt werden. Das einfache Leben, ein Gerechtigkeitssinn und der Bezug zur Natur legten die Basis für sein Engagement. Als Student demonstrierte er in den 1980er-Jahren gegen das atomare Wettrüsten. „Die Angst vor einem Atomkrieg war nicht unberechtigt. Zudem machte es mich wütend, dass Milliarden für Rüstung ausgegeben werden, während Menschen verhungern“, erklärt Holzinger. Denn das habe viel mit Nachhaltigkeit zu tun.

Richtig zentral wurden Fragen der Nachhaltigkeit durch seinen Einstieg als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen 1992. In diesem Jahr fand die UN-Umweltkonferenz in Rio de Janeiro statt und der Begriff „Sustainable development“ wurde weltweit bekannt. Als Schlüsselerlebnisse bezeichnet Holzinger Bücher des Wuppertal-Instituts wie „Faktor 4“ von Ernst Ulrich v. Weizsäcker oder „Zukunftsfähiges Deutschland“ und natürlich das Engagement und die Bücher von Robert Jungk.

2002 erschien sein erstes Buch „Nachhaltig leben. 25 Vorschläge für einen verantwortungsvollen Lebensstil“, das auf breites Medienecho stieß, weil damals noch wenig außerhalb der Fachöffentlichkeit über Ökologie gesprochen wurde.

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vlnr. Michaela Reisinger, LEBENSART, Hans Holzinger, Robert Jungk Bibliothek, Roswitha Reisinger, BUSINESSART. Martina Draper

BUSINESSART: Was hat sich in den letzten 20 Jahren verändert?

Holzinger: Ich finde die Frage eines genügsamen Lebensstils nach wie vor wichtig – ohne Suffizienz werden wir die Wenden nicht hinkriegen. Doch erkannte ich, dass wir mit Verzichtsappellen nicht weit(er)kommen, dass wir attraktive nachhaltige Bilder eines guten Lebens brauchen, also neue Wohlstandsmodelle; und dass wir hierfür unser Wirtschaften ändern müssen. In meinem zweiten Buch „Neuer Wohlstand. Leben und Wirtschaften auf einem begrenzten Planeten“ (2012) thematisierte ich daher auch Fragen wie „Arbeit neu denken“, „Schritte in die Postwachstumsgesellschaft?“ oder „Die Grenzen der Konsumentendemokratie“.

2016 habe ich den für eine breitere Öffentlichkeit gedachten Essayband „Von nichts zu viel – für alle genug“ veröffentlicht, der zu einem erweiterten Verständnis von Wohlstand einlädt, 2019 den Band „Wie wirtschaften. Ein kritisches Glossar“, der Begriffe Ökonomie aus Nachhaltigkeitsperspektive und Neuansätze wie die feministische oder Gemeinwohlökonomie beleuchtet.

Dann kam die Pandemie und mit ihr die Erfahrung, wie es ist, wenn große Teile der Wirtschaft heruntergefahren werden müssen und das Leben weitgehend auf die Grundbedürfnisse beschränkt wird. In der Nachhaltigkeitsforschung hegten wir die Hoffnung, dass „Corona“ zur Zäsur werden könnte, die ökologisch zerstörerischen Verhaltensweisen und Wirtschaftsbranchen dauerhaft geschrumpft und nur die nachhaltigen gefördert würden. In dem im ersten Lockdown verfassten Buch „Post-Corona-Gesellschaft“ (2020) beschrieb ich solche in der Fachwelt diskutierten neuen Zukunftsszenarien. Wie wir mittlerweile wissen, wurden die Hoffnungen nicht erfüllt.

Wieso gelang es nach Corona nicht umweltfreundliche Verhaltensweisen beizubehalten?

Die Sehnsucht nach der alten Normalität war zu groß. Viele wollten einfach zurück zum alten Leben. Wir hätten schon sagen können, dass weniger Autos in den Städten eigentlich angenehm sind. Und einen Teil davon beibehalten.

Sehr negativ hat sich ausgewirkt, dass alle Wirtschaftsbranchen, von Lebensmitteln bis hin zur Flugzeugindustrie Unterstützung gefordert haben. Und die Politik hat dem nachgegeben.

Das ist auch jetzt, wo die fossile Energie sehr teuer ist, wieder die Gefahr, dass man alles fördert, damit alles so bleibt wie es ist, anstatt rascher zu resilienten Versorgungsstrukturen zu finden. Neue Ansätze wären wichtig, denn die werden wir brauchen. Das gelingt aber nur, wenn wir dranbleiben und Bilder eines nachhaltigen Wirtschaftens und Lebens weiterhin in die Öffentlichkeit bringen!

Die Vorbereitung von Vorträgen war für dich immer als große Herausforderung

Es fiel mir immer schwer, aus dem breiten Wissensfundus das herauszufiltern, was in einer Stunde Platz hat und das Zielpublikum persönlich anspricht. Nicht zu viele Fakten zu bringen, sondern Mut zum Mit-Machen zu vermitteln, ist ja das Ziel guter Vorträge, was Robert Jungk als Zukunftsforscher bestens konnte. Ich arbeite immer noch dran, aber weiß mittlerweile, dass jeder Vortrag auch Botschaften braucht, neben den Fakten, und mit positiven Ausblicken enden soll.

Worauf bist du stolz?

Ein wenig darauf, dass es mir gelungen ist, innovative Denkanstöße zu geben – zunächst im Bereich eines nachhaltigen Lebensstils, als noch kaum darüber gesprochen wurde, dann im Kontext der Postwachstumsbewegung – ich konnte hier für das Projekt „Wachstum im Wandel“ des damaligen Österreichischen Lebensministeriums einige Papers verfassen. Und seit einigen Jahren beschäftige ich mich mit Transformationsforschung, die sich den Barrieren und Gelingensfaktoren des Wandels widmet. Ein Ansatz, den wir brauchen, um klarzukriegen, warum alles zu langsam geht und wie wir den notwendigen Wandel beschleunigen können.

Es gibt die Pionier*innen des Wandels: Die Nachhaltige Gestalter*innen, die jungen Leute von Fridays for Future, wir haben grüne Politiker*innen in der Regierung. Aber haben sie genug Macht? Sind sie wirksam genug?

Ich vertrete die These, dass wir die ökologischen Krisen nicht wirklich an uns heranlassen. Erfolg ist immer noch mit dem Wachsen der Wirtschaft verbunden. Das Wirtschaftswunder ab den 1950er-Jahren war ja ein Erfolgsmodell. Jetzt sollen wir davon loskommen, obwohl das funktioniert hat? Das Dilemma lässt sich gut darstellen am Bild des Eisberges: Wir sehen nur die Fakten, die aus dem Wasser herausragen, die Emotionen unter Wasser sehen wir nicht. Viele Leute haben Angst, die Umweltbewegung wolle allen Wohlstand wegnehmen. Und die Politik ist zu wenig mutig. Dazu gibt es Lobbying von Branchen – ich sage immer die Klimaschmutzlobby – die viel Geld haben und die Veränderungen unter der Oberfläche verzögern und strengere Gesetze hintertreiben. Das Transparenzregister der EU zeigt das gut.

Bei Corona war das anders, weil man selbst bedroht war. Da hat man rasch reagiert. Bei einer Verschärfung der Krisen können neue Initiativen viel mehr Bedeutung bekommen. Vor allem der Ansatz des Multisolving ist spannend. Die Bürgermeisterin von Paris hat gezeigt, wie das geht. Sie hat ein sehr gutes Mobilitätskonzept umgesetzt – aber nicht mit dem Energie- und Klimaargument – sie hat sich um die Gesundheit der Bewohner*innen gesorgt. Wir müssen immer fragen, was wir gewinnen können.

Ich würde mir von der Politik wünschen, dass sie mutiger vorangeht, dass sie sagt: Wir schaffen das! Der Boden ist ein gutes Beispiel: Wir sehen, dass unsere Böden degradieren. Das ist ein schleichendes Phänomen, das keiner mitkriegt. Diese Kipppunkte sind am gefährlichsten. Wir brauchen Leute, die daran arbeiten und sich vorbereiten.
Dazu müssen fünf Ebenen berücksichtig werden: 1. Wissen über Alternativen verbreiten, 2. neue kollektive Werte etablieren, ein neues „Sollen“, 3. Wollen als intrinsische Motivation zur Veränderung nutzen, 4. Können, d.h. Aufbau neuer Infrastrukturen, die nachhaltiges Verhalten und neue Ökoroutinen ermöglichen sowie schließlich das 5. Müssen. Damit gemeint sind neue Regeln, die das Nachhaltige belohnen und das Nicht-Nachhaltige verbieten.

Was ist ein Leitmotiv deines Lebens?

Wir leben ökologisch über unsere Verhältnisse, sozial und kulturell aber unter unseren Möglichkeiten. Eine als sinnvoll empfundene Arbeit, gelingende soziale Beziehungen sowie das Gemeinsam-Sich-Einsetzen für etwas, das über einen selbst hinausweist, machen zufrieden und weniger anfällig für die trügerischen Versprechen der Konsumwelt. Das bedeutet nicht, sich nicht über Güter freuen zu dürfen. Einfacher leben kann jedoch zu einer Richtschnur werden – in einer Gesellschaft der zu vielen Ablenkungen vom Wesentlichen. Ein Leitmotiv von mir ist daher: Geht es den Menschen gut, dann haben wir eine gute Wirtschaft.

Hans Holzinger, Forscher, freier Publizist

Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen, Salzburg

Branche:  Nachhaltigkeitsforschung und Wissenstransfer

Anzahl Mitarbeiter*innen: 4

www.jungk-bibliothek.org, www.hans-holzinger.org