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Innovative Lösungen von Städten und Gemeinden

Titel: ANPASSUNG AN DEN KLIMAWANDEL
Die Illustration zeigt eine Stadt mit Hochhäusern, die in die ausladende Krone eines Laubbaumes gebaut ist.
Illustration: iStock/cienpies

Das Klimasystem ist komplex und reagiert nur langsam – aber langfristig – auf Veränderungen in der Atmosphäre. Selbst im unrealistischen Fall, dass ab heute keine Treibhausgase mehr ausgestoßen werden, würde sich die Erdoberfläche daher im Laufe des 21. Jahrhunderts weiter um circa 0,6°C erwärmen. Diese Erkenntnis ist erschreckend und zeigt, wie wichtig konsequenter Klimaschutz, also die Verringerung der Treibhausgasemissionen, ist. Während die Prognose über die weitere Erwärmung des Klimas als relativ sicher gilt, ist die Vorhersage über die damit verbundenen Auswirkungen deutlich schwieriger. Ein Grund hierfür ist der zeitliche Aspekt: Während die Wahrscheinlichkeit für Extremwetterereignisse allgemein ansteigt, können Dürreperioden sowie Überschwemmungen zu verschiedenen Zeitpunkten auftreten. Zudem ist der räumliche Aspekt relevant: Der Klimawandel wirkt sich regional und lokal aufgrund der jeweiligen geografischen und sozio-ökonomischen Begebenheiten sehr unterschiedlich aus. Während im städtischen Raum aufgrund der vielen versiegelten Flächen eine steigende Hitzebelastung und eine dadurch erhöhte Sterblichkeit zu beobachten sind, sind ländliche Gebiete durch das erhöhte Risiko für Naturgefahren – Stichwort Überschwemmungen – und deren Auswirkungen auf die Land- und Forstwirtschaft gefordert.

Lokale Expert*innen

Klimawandelanpassungsmaßnahmen müssen diese regionalen/lokalen Unterschiede berücksichtigen und auf die klimaspezifischen Risiken und Herausforderungen eingehen. Außerdem sollte auf die vorhandenen regionalen/lokalen Ressourcen zurückgegriffen werden: Die Menschen vor Ort sind lokale Expert*innen. Ihr Wissen zu den regionalen Gegebenheiten ist wichtig und durch ihre Einbindung kann der so wichtige langfristige Rückhalt für getroffene Maßnahmen in der Bevölkerung geschaffen werden. Eine gelungene Klimawandelanpassung erfordert nicht nur die Entwicklung technologischer Innovationen und Planungsstrategien, sondern auch soziale und kulturelle Transformationen, wie die Änderung des Mobilitäts- und Konsumverhaltens.

EU-Strategie zur Anpassung an den Klimawandel

Die Notwendigkeit zur Anpassung an den Klimawandel hat ihren Ausdruck auch auf politischer Ebene gefunden. Die EU-Strategie zur Anpassung an den Klimawandel listet umfassende Maßnahmen zur Bewältigung der mit dem Klimawandel verbundenen Herausforderungen auf. Auch Österreich hat eine Strategie entwickelt. Sie gliedert sich in Teil 1 „Kontext“ und Teil 2 „Aktionsplan“, welcher konkrete Handlungsempfehlungen für die Umsetzungen in 15 verschiedenen Aktivitätsfeldern setzt.

Chancen für Städte und Gemeinden

Viele dieser Aktivitätsfelder fallen zumindest teilweise in die Kompetenzbereiche von Städten und Gemeinden. Sie rücken daher als lokale Akteurinnen immer stärker ins Rampenlicht. Die Aufgabe ist groß – sie kann aber gleichzeitig auch als Chance betrachtet werden, weil durch ihre Expertise der lokalen Begebenheiten die besten Lösungen entwickelt werden können.

Unterstützt werden Städte und Gemeinden unter anderem durch die Mission „Klimaneutrale Stadt“ des BMK. Durch gezielte Förderung von Forschung und Entwicklung werden innovative Lösungen vorangetrieben. Pionierstädte dienen dabei als inspirierende Leuchttürme und zeigen anderen Städten und Gemeinden durch ihre ambitionierten und gezielt gesetzten Maßnahmenbündel den Weg zu einer erfolgreichen Transformation.

Klimaschutz und Klimawandelanpassung berühren nahezu jeden Bereich, der für unsere Gesellschaft relevant ist – von Mobilität über Entsiegelung bis hin zu nachhaltigem Bauen. Klimaschutz und Klimawandelanpassung sollten daher nicht gesondert betrachtet, sondern in jedem Bereich aktiv mitgedacht werden. Erfolgreiche Klimawandelanpassung sollte zudem auch immer einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Und der kann groß sein: Denn Städte und urbane Regionen verursachen etwa drei Viertel der globalen CO2-Emissionen und verantworten 78 Prozent des weltweiten Energieverbrauchs.

Wie österreichische Städte und Gemeinden Klimaschutz und Klimawandelanpassung in der Vergangenheit bereits gemeistert und als Chance für positive Veränderung genutzt haben, zeigen wir hier anhand einiger Beispiele.

Grünfläche mit jungen Bäumen und runden Bänken im Zentrum eines sonst zugepflasterten Hauptplatzes.
Foto: Lenaplant

Schwammstadt

Lobisserplatz, St. Paul im Lavanttal

Im Zeitraum 2022 bis 2023 wurde der Lobisserplatz im Ortskern der Marktgemeinde St. Paul umgestaltet. Das Konzept dafür wurde von SHARE architects und dem Ingenieurbüro Lenaplant erstellt, wobei die Umgestaltung des Platzes partizipativ erfolgte – mit einer Informationsveranstaltung und anschließender Bürger*innen-Befragung.

Im Zuge des Projekts wurden unter anderem rund 48 m² Fläche entsiegelt, die Zufahrtsstraße und Parkplätze abgegrenzt, fünf neue Bäume als Schattenspender gepflanzt sowie weitere Baumscheiben saniert.

Watersquare Benthemplein (Rotterdam)

Watersquare Benthemplein in Rotterdam ist ein innovatives Stadtkonzept, das die Herausforderungen von urbanen Überschwemmungen auf kreative Weise angeht. Statt auf traditionelle Entwässerungssysteme setzt der Watersquare auf multifunktionale Plätze, die bei Regenfluten als temporäre Rückhaltebecken dienen. Der Platz wurde so gestaltet, dass er überschüssiges Regenwasser auffängt und speichert, um es später kontrolliert abzuleiten. In trockenen Zeiten verwandelt sich der Platz in einen öffentlichen Raum mit Sitzgelegenheiten und Spielmöglichkeiten.

https://www.urbanisten.nl/work/benthemplein

Heizen & kühlen

Sozialbau AG: Pilotprojekt

Handwerker auf Gerüsten bringen Heizschläuche außen an der Fassade eines Wohnhauses an.
Foto: SOZIALBAU AG / Vogus
Ein Pilotprojekt des SOZIALBAU-Verbunds bietet mehr Lebensqualität und ist eine ökologische Antwort auf die Energieschleuder Klimaanlage. Ähnlich dem Prinzip einer Fußbodenheizung wird in der Außenwand bestehender Gebäude ein feinmaschiges Netz an Wasserschläuchen verlegt und mit einer Wärmedämmung bedeckt. Im Sommer wird das Wasser im Schlauchsystem mittels Wärmepumpe herabgekühlt, sodass die Wohnräume gekühlt werden; die überschüssige Wärme wird über Erdsonden abgeführt und im Erdreich zwischengespeichert. Aus diesem Erdspeicher wird im Winter wiederum Wärme zurückgeholt und damit die Fassaden – und somit die Wohnräume – erwärmt.

https://www.sozialbau.at/energie-nachhaltigkeit/innovative-energiesysteme/fassadentemperierung

Zwölfergasse: Gründerzeithaus mit Erdwärmeversorgung

Zwölfergasse in Wien: Gründerzeithaus mit Erdwärmeversorgung.
Foto: Stadt Wien – Energieplanung / Christian Fürthner
Welche Rolle kann öffentlicher Raum bei der Umstellung auf eine zentrale Erdwärmeversorgung in der dicht bebauten Stadt spielen? Beim Vorzeigeprojekt „Zwölfergasse“ im 15. Wiener Gemeindebezirk waren die Kapazitäten für Sondenbohrungen im Innenhof bereits in der ersten Ausbauphase erschöpft. Infolgedessen wurden in der zweiten Phase erstmals Bohrungen auf öffentlichem Grund, konkret dem Gehsteig, durchgeführt.

Das Projekt ist Teil der Initiative „100 Projekte Raus aus Gas“ der Abteilung Energieplanung der Stadt Wien. Interessierte Gebäudeeigentümer*innen können sich bei der Klima- und Innovationsagentur melden: https://www.wien.gv.at/stadtentwicklung/energie/wissen/raus-aus-gas-vorzeigeprojekte.html

Zum Merkblatt der Stadt Wien über Erdsonden auf öffentlichem Grund: https://www.wien.gv.at/verkehr/strassen/ahs-info/pdf/merkblatt-erdsonden.pdf

Lebensqualität in der Stadt

Supergrätzl Favoriten

Foto: EGKK Landschaftsarchitektur Schreiner Kastler

In Wien Favoriten wird das Konzept der „Supergrätzl“, inspiriert von den „Superblocks“ in Barcelona, pilothaft getestet. Die Supergrätzl reagieren auf Herausforderungen der Klimakrise, indem sie auf Grätzlebene mehr Grünflächen, weniger Verkehrsflächen und ausreichend Raum für Erholung schaffen. Ein Supergrätzl umfasst ein klar abgegrenztes Stadtgebiet, das aus einem verkehrsberuhigten Kern mit hoher Aufenthaltsqualität besteht. Der Durchzugsverkehr wird unterbunden, um mehr Platz für Fußgänger*innen und Radfahrer*innen zu schaffen.

Supergrätzl Favoriten - mehr Grün und Freiräume, weniger Verkehr - Stadt Wien

LAUT — Supergrätzl Favoriten

Wiener Neudorf

Die Begegnungszone wurde gepflastert, Bäume, Sträucher und Pflanzrabatte säumen den Weg, ein Brunnen aus roten Ziegeln spendet Wasser.
Foto: Wr. Neudorf / Fritz Hudribusch

Mitten durchs Zentrum von Wiener Neudorf, einer Stadt mit ca. 10.000 Einwohner*innen, verläuft die B17, eine Straße, durch die täglich rund 25.000 Fahrzeuge brausen. Hier wurde ein Wohn- und Bürogebäude mit 114 Wohneinheiten errichtet – eine Herausforderung angesichts der bereits bestehenden starken Verkehrsbelastung. Da Mobilitätsangebote im Wohnumfeld einen entscheidenden Einfluss auf unser Verhalten haben, wurde ein umfassendes Mobilitätskonzept erstellt, um den motorisierten Individualverkehr zu reduzieren. Kernelemente sind Jahreskarten für den öffentlichen Verkehr, E-Carsharing und das Herzstück des Projektes: ein breiter Boulevard. Die Asphaltflächen wurden aufgebrochen und durch versickerungsoffenes Pflaster ersetzt. Attraktive Grünflächen schaffen eine Trennung zur stark befahrenen Straße. Dafür hat die Niederösterreichische Landesregierung einen Fahrstreifen der ehemals zweispurigen Bundesstraße für die Gestaltung freigegeben und der Bauträger einen Teil der benötigten Grundstücksflächen zur Verfügung gestellt.

https://mobilitaetsprojekte.vcoe.at/kein-platz-fr-aktive-mobilitt-dass-gibt-es-nicht-nachhaltige-ortskernbelebung-2023?oder4=2023

Fahrradzone Fernitz-Mellach

Der Asphaltboden in einer Siedlungsstraße ist mit großen blauen Kreisen als Fahrradzone gekennzeichnet. Am Gehsteig sieht man Fußgänger.
Foto: verkehrsplus GmbH 2023

Ein perfektes Radverkehrsnetz sollte ohne Lücken und große Umwege sämtliche Ortsteile miteinander verbinden. Oft fehlt jedoch eine durchgehende Infrastruktur und eine deutliche Beschilderung. Das Nebenstraßennetz kann hierfür eine Lösung bieten. Seit August 2023 ist Fernitz-Mellach in der Steiermark Vorreiter mit seinem Pilotprojekt Fahrradzone, das erste seiner Art in Österreich. In Deutschland ist das Konzept schon länger bekannt und seit 2020 sogar Teil des Straßenverkehrsrechts. Eine Fahrradzone bildet ein zusammenhängendes Netzwerk aus Fahrradstraßen, die eine verkehrsberuhigte Umgebung schaffen, in der sich das Fahrrad und das Auto als gleichwertige Verkehrsmittel begegnen. In Fernitz-Mellach wurden neun Straßen eigens dafür umgewidmet. Eine weitere Fahrradzone wird bereits im Sommer 2024 in Gratwein-Straßengel umgesetzt.

https://mobilitaetsprojekte.vcoe.at/erste-fahrradzone-sterreichs-in-fernitz-mellach--2023?oder1=218

 Verena Fischer, Lukas Wagner

Verena Fischer und Lukas Wagner sind wissenschaftliche Mitarbeiter*innen an der ÖGUT für die Bereiche Innovatives Bauen & Energie, Ressourcen & Konsum und wirken mit am Klimawandelanpassungsnetzwerk. https://www.oegut.at/

Links & Quellen

www.klimawandelanpassung.at: Die Website des Umweltbundesamtes informiert über den Klimawandel, die Entscheidungen der Politik, aktuelle Forschungsergebnisse, Erfahrungen aus der Praxis und bietet Werkzeuge für viele Sektoren.

www.oerok.gv.at: Die ÖROK koordiniert Raumordnung und Regionalentwicklung auf gesamtstaatlicher Ebene.

https://klimaneutralestadt.at: Von A wie Ausschreibungen über I wie Initiativen bis T wie Termine finden sich interessante Infos über klimaneutrale Städte.

EU-Strategie zur Anpassung an den Klimawandel: https://www.businessart.at/download/10639

Deutsches Klimakonsortium: https://www.deutsches-klima-konsortium.de/klimafaq-12-3.html