Sperrig und ohne großen Nachrichtenwert?
Ist Nachhaltigkeit vermittelbar? Darüber diskutierten fünf Medienmanager*innen und Expert*innen im Rahmen der VBV-Diskussionsreihe 2022.
Mit der Nachhaltigkeit ist es wie mit anderen, vergleichbar komplexen Sachverhalten: Die Suche nach relevanter, korrekter und vertrauenswürdiger Information gestaltet sich mitunter schwierig. Geht es um Ökologie, Soziales oder Governance bzw. kurz „ESG“, werden die Menschen in einem Ausmaß mit Falschinformationen und Halbwahrheiten konfrontiert, das es unheimlich schwer macht, Richtiges von Fakes zu unterscheiden.
Darüber diskutieren Marlis Prinzing, Professorin für Journalistik an der Kölner Hochschule Macromedia, Roswitha Reisinger, GF des Lebensart Verlages, ORF Radiodirektorin Ingrid Thurnher, Gerald Grünberger, GF des Verbands Österreichischer Zeitungen (VÖZ) und des ÖZV, Markus Breitenecker, GF ProSiebenSat.1 PULS 4, VBV Generaldirektor Andreas Zakostelsky moderiert von Nachhaltigkeitexpertin Gabriele Faber-Wiener.
Die Medien spielen eine bedeutende Rolle.
„Gerade eine Welt im Wandel bedarf mehr denn je der kritischen Beobachtung durch Journalisten und Journalistinnen. Sie müssen über gesellschaftliche Herausforderungen und Trends in der globalisierten Gegenwart informieren, sie einordnen, belegbares Wissen recherchieren und unterschiedliche Akteure im Blick haben“, betont Marlis Prinzing, Professorin für Journalistik an der Kölner Hochschule Macromedia. Sie müssen zudem Gefahren benennen sowie konkrete, konstruktive Ideen aufgreifen, wie Bürgerinnen und Bürger ein Problem anpacken und bewältigen können.
Journalistische Prinzipien walten lassen, heißt auch, Zusammenhänge darstellen, fair berichten und vor allen Dingen für das Publikum qualitativ einordnen, welche Argumentation faktengestützt ist (siehe auch Box zu „False Balance“) und wo es sich beispielsweise um Minderheitenansichten und interessengeleitete Positionen handelt. Medien spielen beim Thema Nachhaltigkeit in mehrerlei Hinsicht eine große Rolle, schildert Prinzing. Sie sind selbst Betroffene, zu deren Aufgaben nachhaltiges, achtsames Verhalten und gemeinwohlorientiertes Berichten gehört. Und sie beobachten aus kritischer Distanz die zentralen Akteure und ihre Positionen und vermitteln verständlich, worauf es ankommt. Das macht Medien in demokratischen Gesellschaften zu einer vierten Macht. Jene, die hinterfragt und die Botschaften unterschiedlicher Interessensgruppen in Beziehung und Kontext stellt.
Lösungsorientierte Berichterstattung
Von ihrer Grundhaltung her, so Prinzing, sind Medien der „verantwortungsvollen und sachgerechten Berichterstattung“ verpflichtet. Das gilt grundsätzlich als journalistisches Prinzip. Was im Bereich der Nachhaltigkeit, insbesondere beim Thema Klimawandel, hinzukommt, ist der Anspruch des „lösungsorientierten Journalismus“, sagt Roswitha Reisinger, Geschäftsführerin des Lebensart Verlages, der die Magazine BUSINESSART und LEBENSART herausgibt, die sich beide Nachhaltigkeitsthemen widmen.
Weder mit großer Aufregung noch mit einem mahnenden Fingerzeig lassen sich Menschen nachhaltig beeindrucken. Das führe über kurz oder lang zur Abstumpfung. Es sind konstruktive Ansätze gefragt, damit zum Handeln angeregt wird. „Die Informationen müssen so sein, dass die Menschen - die Leserinnen und User – nicht in eine Hilflosigkeit verfallen: ‚Ich kann eh nix tun.‘ Sondern, dass sie mündig und handlungsfähig werden“, so Roswitha Reisinger. Wer immer nur von einer Katastrophe nach der anderen berichtet, wird sein Publikum verlieren. Verbote sollten nur als „Ultima Ratio“ gesehen werden und der Weg in Bildung und Aufklärung gesucht werden. „Das führt vom Reden ins Tun“, so Reisinger. Niemandem ist gedient, wenn sich die Menschen von den großen Herausforderungen abwenden und sie davon nichts mehr hören und sehen wollen.
Wer sich informieren will, ist auf gut aufbereitete und recherchierte Inhalte angewiesen. Themen wie Umweltschutz oder Nachhaltigkeit sind in ihrer Komplexität und Reichweite nicht ohne Weiteres zu erfassen. Hier bedarf es einer unabhängigen qualitätsvollen Berichterstattung, die neben der reinen Information auch noch eine gewisse Einordnung bietet.
„Da haben wir in der Corona-Krise viel gelernt“, meint dazu die ORF Radiodirektorin Ingrid Thurnher. „Nämlich, wie man aus einer Nation, die vorher von Sieben-Tages-Inzidenzen, Reproduktionsfaktoren oder mRNA-Impfstoffen noch nie was gehört hat, plötzlich eine beteiligte Nation machen kann, weil wir sie alle mitgenommen haben.“
Eine ähnliche Anstrengung – nur über einen noch viel längeren Zeitraum – sei im Bereich von Klimawandel und Nachhaltigkeit von Nöten. Wobei Thurnher dabei betont, dass die Medien unbedingt für Begriffsklarheit sorgen müssen. Man muss präzise wissen, wovon die Rede ist, wenn das Buzzword „Nachhaltigkeit“ verwendet wird, „sonst können uns die Menschen nicht folgen.“
Finanzierung mit Good Governance
Damit Medien diese aufklärende Verifikationsfunktion auch wahrnehmen und aktiv gegen die Desinformationsindustrie vorgehen können, braucht es einerseits eine qualitativ hochwertige Aus- und Weiterbildung, andererseits müssen die Medien mit ausreichend Ressourcen ausgestattet werden, wie Gerald Grünberger, Geschäftsführer des Verbands Österreichischer Zeitungen (VÖZ) und des Österreichischen Zeitschriften- und Fachmedienverbands (ÖZV), betont. Ein professioneller Medienbetrieb könne seiner Ansicht nach nur dann aufrechterhalten werden, wenn eine nachhaltige Finanzierung gesichert ist.
Dass die Abhängigkeit von Inseraten als Haupteinnahmequelle einen gewissen Widerspruch zur objektiven Berichterstattung darstellen kann, ist nicht allzu überraschend. Das gilt vor allem dann, wenn es keine klare Trennung zwischen der Redaktion auf der einen und dem Verlag auf der anderen Seite gibt. Wer die politische Diskussion der letzten Monate verfolgt hat, weiß, dass es mitunter zu einer ungesunden Nähe von Parteien und Regierenden auf der einen Seite und Medien auf der anderen Seite gekommen ist. Die Ausgaben für Regierungsinserate lagen in der jüngeren Vergangenheit immer deutlich über der eigentlichen Presseförderung und auch Schaltungen aus der Privatwirtschaft können ein schiefes Licht auf Medienhäuser werfen.
Roswitha Reisinger will das in ihren Zeitschriften auch durch eine klare Werbelinie vermeiden: „Bei uns dürfen nur Produkte und Dienstleistungen beworben werden, die der Nachhaltigkeit nicht widersprechen.“ Damit fällt für sie ein guter Teil des Inseratenmarktes weg. Was umso mehr schmerzt, als die Presseförderung in vielen Fällen den sprichwörtlichen Tropfen auf den heißen Stein darstellt. „Die Förderung, die wir bekommen“, so Reisinger, „entspricht dem Gegenwert eines ¼ Seiten Inserats. Damit kann ich keine Magazine machen. Das ist einfach lächerlich.“
Erschwerend hinzu kommt, dass zusätzlicher finanzieller Druck dadurch entsteht, dass immer mehr Werbegeld in Richtung Web-Plattformen und Social Media abfließt. „Dadurch kommen die Geschäftsmodelle der klassischen Medien massiv unter Druck“, wie Gerald Grünberger betont. Markus Breitenecker, Geschäftsführer ProSiebenSat.1 PULS 4, kann das nur bestätigen: „Alleine Google und Facebook saugen mehr Geld aus Österreich ab, als alle privaten Medien Werbeumsatz machen.“ Das gefährdet die Stärke der heimischen Medienlandschaft und die Finanzierung von qualitativ hochwertigem Journalismus.
Breitenecker ist skeptisch, dass man Unternehmen dazu bewegen kann, ihre Werbegelder entsprechend umzulenken. Dagegen wendet Reisinger ein, dass man die Mittelverwendung durchaus im Sinne der Nachhaltigkeit überdenken könnte. „In Kommunikation und Marketing ist das Thema Nachhaltigkeit noch nicht so gut angekommen.“ Auch dort solle man sich überlegen, was man mit seinem Inseratengeld bewirkt.
Gerald Grünberger plädiert vor diesem Hintergrund für mehr Aufmerksamkeit in Bezug auf die Platzierung von Werbung und verweist auf die Initiative Stop Funding Hate. „Wir haben allein in Österreich mehr als 200 Unternehmen identifiziert, deren Werbung online auf Fake-News-Seiten, Hate-Speech-Seiten und Seiten, die sich schlüpfrigen Themen widmen, platziert sind. Da sollte sich jedes Unternehmen fragen, wo erscheint mein Logo, meine Werbung“, so Grünberger. Diese Diskussion sollte seiner Ansicht nach jedenfalls ehrlich geführt werden.
Glaubwürdigkeit und Erziehungsberechtigung
Für Medien und ihren Nachhaltigkeitsanspruch geht es jedenfalls darum, durch ihre Finanzierungspraktiken ihre eigene Glaubwürdigkeit nicht zu untergraben. Gefragt ist eine „Finanzierung mit Prinzipien“, wie Nachhaltigkeitsexpertin Gabriele Faber-Wiener das treffend bezeichnet. „Good Governance“ und entsprechende Richtlinien sind Dinge, mit denen sich jedes Medienhaus auseinandersetzen muss.
Zur Glaubwürdigkeit gehört auch, dass das Mega-Thema der Nachhaltigkeit in den Medien – neben all der tagespolitischen Aufgeregtheit – überhaupt ausreichend Platz findet. Aus eigener Erfahrung weiß Gabriele Faber-Wiener, dass es nicht einfach ist, damit Gehör zu finden. Das kann Andreas Zakostelsky, Generaldirektor der VBV-Gruppe bestätigen. Für ihn liegt das an der „Sperrigkeit des Themas“ über das man nicht einfach und schnell berichten kann, sondern in das man sich einarbeiten und das mit Expertise verknüpft sein muss.
„Dennoch“, so Zakostelsky, „ist es die Rolle der Medien, qualifiziert und objektiv darüber zu berichten. Nicht zu aufgeregt, aber doch so, dass das Thema ständig präsent gehalten wird.“ Er bringt dann auch ein vergleichbares Beispiel aus seiner beruflichen Praxis. Auch das Thema Vorsorge hat ob seiner Langfristigkeit ebenso schwer mit der häufig tagespolitischen Ausrichtung der Berichterstattung zu kämpfen: „Wir alle wissen, dass das Pensionssystem instabil ist und gute Ergänzungen bräuchte. Trotzdem ist es schwer, für so ein Thema, Ansprechpartner in den Medien zu finden, wenn man nicht etwas liefert, das heute, hier und jetzt vor Aktualität strotzt.“
„Medien leben vom News-Wert, den eine Nachricht hat“, wendet Markus Breitenecker dagegen ein. Wenn Fridays for Future in Wien 20.000 Menschen mobilisiert, dann hat das diesen News-Wert, für eine dauerhafte Bespielung der Nachhaltigkeit bieten sich allerdings auch andere Formate an. Die Medieninhalte bestehen ja nicht ausschließlich aus News.
Man müsse, so Ingrid Thurnher, über viele Jahre am Thema dranbleiben. „Das ist auch ein Aspekt der Nachhaltigkeit in der Berichterstattung. Auch wenn es einmal nicht so spektakulär ist.“ Wenn das Interesse an der Nachhaltigkeit zurückgeht, weil es von anderen Dingen überschattet wird, dann darf man eben nicht lockerlassen. Thurnher findet nicht, dass das Thema mit den üblichen Katastrophen konkurrieren muss. „Deswegen gibt es ja auch Formate, die immer da sind. Egal, was sonst auf der Welt passiert und egal, ob in der Ukraine Krieg ist oder wie hoch die Inzidenzen sind.“
Und am Ende, so Thurnher, müsse man auch die Fokussierung der Erwachsenen auf die klassische Berichterstattung hinterfragen. Junges Publikum ist viel eher über digitale Kanäle erreichbar, und sie sind doch die Multiplikatoren, die man mit der Nachhaltigkeitsberichterstattung vor allem erreichen sollte. „Das sind ja eigentlich unsere Erziehungsberechtigten in Umwelt- und Klimathemen“, so Thurnher. Dann kann es eben Sinn machen, dem Untersuchungsausschuss und der Pandemie die ZiB 2 zu überlassen und stattdessen mit der Dekarbonisierung in der „Zeit im Bild“ auf TikTok präsent zu sein.
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Von der falschen Ausgewogenheit
Stellen Sie sich vor, Sie sind ZuhörerIn einer Diskussion zur Gestalt unseres Sonnensystems und dabei behaupten zwei TeilnehmerInnen, die Erde kreise um die Sonne, und zwei weitere vertreten die These, dass es genau umgekehrt wäre. Die Positionen wären zwar ausgewogen verteilt, aber es würde sich dabei um eine sogenannte „False Balance“ handeln. Belegtes Wissen trifft auf Unsinn.
Auch im Journalismus wird Ausgewogenheit immer wieder missverstanden als bloßes Gegenüberstellen unterschiedlicher Positionen, beschreibt Marlis Prinzing, Professorin für Journalistik an der Kölner Hochschule Macromedia. Tatsächlich werde dabei immer wieder eine „False Balance“ erzeugt. Ein Beispiel für eine solche Form von „irreführender Ausgewogenheit“ wäre, neben die Behauptung, Treibhausgasausstoß trage massiv zur Erderwärmung bei, die Behauptung zu stellen, das stimme nicht. Auf das Publikum wirke dies, als sei sich die Forschung uneins, was davon stimmt. Das ist falsch. Tatsächlich sind die Folgen des menschengemachten Treibhauseffekts vielfach belegt; wer das abstreitet, vertritt eine Minderheitenposition. Ausgewogenheit darf daher nicht als bloße Gegenüberstellung missverstanden werden, sondern muss qualitativ definiert werden, erklärt Prinzing. Eine zentrale Frage sei: Welches Gewicht, gemessen zum Beispiel an durch Studien belegbarem Wissen hat eine bestimmte Position? Journalisten müssen also erstens eine Abweichlerposition als solche kennzeichnen. Und zweitens sich bewusst machen, dass sie eine für uns alle riskante extreme Verzerrung der Wahrnehmung erzeugen, wenn sie bei einem Verhältnis von vielleicht 100 zu 1 (gesichertes Wissen zu Abweichlerposition) den falschen Eindruck erzeugen, es bestehe eine Art „Fifty-fifty-Unentschieden“.
Medien müssen nicht ständig widerlegte Thesen oder Falschinformationen wiederholen, sondern Desinformation als solche erkennbar machen und sich auf die wissenschaftlich abgesicherten Tatsachen konzentrieren.
Was im oben erwähnten Beispiel zum Sonnensystem noch lustig anmuten könnte, wird dann sehr ernst, wenn evangelikale Hardliner in den USA darauf drängen, dass in den Schulen neben der Evolutionstheorie auch die Abstammung der Menschheit von Adam und Eva gleichberechtigt zu unterrichten sei, oder wenn in heimischen TV-Talkshows neben anerkannten Virologen genauso viele Hobby-Experten für epidemiologische Verschwörungstheorien sitzen.
Legislative, Judikative, Exekutive…und Medien?
„Die Medien sind die mächtigste Institution der Welt. Sie haben die Macht, die Unschuldigen zu verurteilen und die Schuldigen freizusprechen, und genau das ist Macht. Weil sie den Verstand der Massen kontrollieren.“ Malcolm X (US-amerikanischer Aktivist und Bürgerrechtler)Man muss nicht den radikalen Ansatz eines Malcolm X teilen, wenn es um die Kraft der Berichterstattung geht, aber Einfluss auf die Gesellschaft kann man den Medien nur schwerlich absprechen. Ihnen wird oftmals, neben den drei klassischen Gewalten einer Demokratie, die Rolle der „vierten Macht“ zugedacht.
Als unabhängiger Vermittler zwischen den drei Staatsgewalten und der Gesellschaft sollen sie Korrektiv, einordnende Instanz und verlässliche Informationsquelle zugleich sein. Verlangt werden neben einer exakten Recherche auch eine genaue Kenntnis des Themas und die Prüfung der verwendeten Quellen. Die Medien filtern und verifizieren die Botschaften der „Mächtigen“, bevor sie diese an die Bevölkerung weitergeben.
Wer sich in namhaften Medien informiert, erwartet unbeeinflusste Berichterstattung. Fake News findet man vor allem im Internet „en masse“, da hier jede und jeder nach Lust und Laune Inhalte verbreiten kann. Was bei witzigen Videos noch wie ein harmloser Spaß erscheint, kann vor allem bei heiklen Themen zu einem gefährlichen Lauffeuer werden.
Hier ist die Macht der seriösen Medien gefragt, um Desinformation und Fake News zu entlarven und gezielt entgegenzutreten. Aspekte, die von gesellschaftlicher Relevanz sind, gilt es so aufzubereiten, dass sie für sämtliche Personengruppen zugänglich sind und im besten Fall sogar zu einer nachhaltigen Wirkung führen. Die Medien sind der kritische Geist der demokratischen Gewaltentrennung.