Unternehmergeist für das Gute
Österreichs Sozialunternehmen trotzen der Krise. Das zeigt eine Studie der Wirtschaftsuniversität Wien.
Forscher*innen der WU Wirtschaftsuniversität Wien haben Österreichs Sozialunternehmen unter die Lupe genommen: Die schlechte Wirtschaftslage trifft sie besonders hart – und dennoch wachsen sie und geben der Gesellschaft mit innovativen Ideen wichtige Impulse.
Sozialunternehmen sind Organisationen, die versuchen, gesellschaftliche Ziele mit unternehmerischen Mitteln umzusetzen: Sie streben danach, positive Veränderungen herbeizuführen oder die Lebensbedingungen von benachteiligten Gruppen zu verbessern – und setzen dabei auf Markteinkünfte und Innovationen.
Alle zwei Jahre untersucht das Social Entrepreneurship Center der WU Wirtschaftsuniversität Wien das Ökosystem der österreichischen Sozialunternehmen und stellte nun die aktuellen Ergebnisse vor. Der Austrian Social Enterprise Monitor (ASEM) 2023/24 zeigt, dass auch dieser Wirtschaftszweig in den vergangenen zwei Jahren von Krisenstimmung geprägt war: „Die schwierige wirtschaftliche Lage hat Sozialunternehmen gleich dreifach getroffen“, sagt Peter Vandor, Leiter des Social Entrepreneurship Center, „erstens direkt durch steigende Kosten für die Unternehmen, zweitens indirekt durch den Rückgang von Marktnachfrage und Finanzierung. Drittens sind ihre oft vulnerablen Zielgruppen von den wirtschaftlichen Herausforderungen besonders betroffen und brauchen verstärkt Unterstützung.“
Trotz des schwierigen Umfeldes zeigte der Sektor viel Widerstandskraft: 94,6 Prozent der Unternehmen, die für den ersten Austrian Social Enterprise Monitor 2021/2022 befragt wurden, weiterhin aktiv: „Es ist schön zu sehen, dass so viele Sozialunternehmen überleben und wachsen“, sagt Peter Vandor. „Sie zeigen damit eine ähnlich hohe Resilienz wie der österreichische Startup-Sektor.“
Sozialunternehmen sind jung und innovativ
Bei den österreichischen Sozialunternehmen handelt es sich oft um junge Organisationen: Knapp die Hälfte von ihnen (47,9 Prozent) wurde in den vergangenen zehn Jahren gegründet.
Dadurch wagen sie es auch öfter, ausgetretene Pfade zu verlassen und Neues auszuprobieren: Laut dem Austrian Social Enterprise Monitor entwickeln 83,5 Prozent der österreichischen Sozialunternehmen innovative Lösungen und neuartige Zugänge – nicht nur in der Produktentwicklung, sondern auch bei Prozessen, Geschäftsmodellen oder Organisationsstrukturen.
Ein Beispiel dafür ist movevo4Kids: Im Jahr 2021 fassten die Gründer*innen den Plan, etwas gegen Bewegungsmangel bei Schulkindern zu unternehmen. Daraus entstand ein digitales Sport- und Bewegungsprogramm für Schulklassen. Eine Webapplikation ermöglicht es Kindern gemeinsam mit den beiden Held*innen „Movevo“ und „Moveva“ auf eine Abenteuer-Schatzsuche zu gehen. In Zusammenarbeit mit Red Bull Media House und dem Verein Bewegte Schule bietet die Bildungsstiftungmotion4kids im Schuljahr 2024/25 eine kostenlose Bewegungs-Initiative für 100 Volksschulen in Österreich an.
Sozialunternehmen schaffen Jobs und fördern Nachhaltigkeit
In Österreich beschäftigt der Sektor derzeit 34.000 bis 93.000 Personen, gerechnet in Vollzeitäquivalenten – mit steigender Tendenz. Viele Sozialunternehmen planen die Schaffung weiterer Arbeitsplätze: 43,8 Prozent wollen im kommenden Jahr die Zahl ihrer Beschäftigten steigern.
Die Arbeitsplätze, die in diesem Sektor geschaffen werden, sind zudem oft „grüne“ Jobs: 47,9 % der befragten Sozialunternehmen geben an, in ihrem Wirken mindestens eines jener sieben Sustainable Development Goals (SDGs) zu verfolgen, die einen ökologischen Aspekt einschließen.
Zu ihnen gehört etwa das Unternehmen öKlo: Es bietet mobile Toiletten an, die ohne den Einsatz von Wasser oder chemischen Zusätzen auskommen. Im Jahr 2017 gegründet, besteht das Team mittlerweile aus 42 Mitarbeiter*innen. Pro Jahr spart öKlo bei Vermietung von 450 Toiletten laut eigenen Angaben durchschnittlich etwa 59.130.000 Liter Wasser, 59 MWh Strom und 12 Tonnen CO2.
Sozialunternehmen wirken in ganz Österreich
Was die geografische Verteilung betrifft, gibt es in Österreich große Unterschiede: 50,3 Prozent der Stichprobe hatten ihren Hauptsitz in Wien. Am zweithäufigsten waren die Organisationen des Samples mit 13,3 Prozent in der Steiermark angesiedelt, gefolgt von Niederösterreich (9,8 Prozent) und Oberösterreich (6,9 Prozent). Demgegenüber repräsentieren fünf Bundesländer im Sample (Burgenland, Kärnten, Salzburg, Tirol und Vorarlberg) nur 19,7 Prozent der Unternehmen.
Dass Wien dabei so stark repräsentiert ist, liegt einerseits an der generell hohen Zahl von Gründungen in der Bundeshauptstadt – andererseits aber auch daran, dass das Ökosystem der Sozialunternehmen hier besonders weit entwickelt ist.
„Dass die Wirtschaftsagentur Wien bereits seit mehr als einem Jahrzehnt sozial nachhaltige Unternehmen in Wien mit speziellen Angeboten und Förderungen unterstützt, führt in gewisser Weise die erfolgreiche Tradition des sozialen Wiens weiter. Denn wir wissen, dass soziales Unternehmertum und wirtschaftlicher Erfolg einander nicht widersprechen. Die Verankerung des Headquarters des Impact Hubs in Wien hat die internationale Strahlkraft der Stadt als Drehscheibe für sozial nachhaltiges Wirtschaften noch einmal vergrößert. Denn in eine bessere gesellschaftliche Zukunft zu investieren, kann einer Stadt, ihrer Wirtschaft und allen Einwohner*innen nur guttun. Auch deshalb zählt Wien zu den lebenswertesten Städten der Welt“, so Gerhard Hirczi, Geschäftsführer der Wirtschaftsagentur Wien.
Unterstützungsleistungen für Sozialunternehmen werden auch außerhalb Wiens angeboten. Am häufigsten nahmen Österreichs Sozialunternehmen dabei Angebote der Forschungsförderungsgesellschaft (FFG, 26,6 Prozent), Austria Wirtschaftsservice (aws, 27,1 Prozent), der Wirtschaftskammer (19,7 Prozent) und des Social Entrepreneurship Network Austria (19,1 Prozent) in Anspruch.
Sozialunternehmen hoffen auf mehr Unterstützung
- Trotz der vielen positiven Nachrichten bereitet die derzeitige Lage den Gründer*innen von Sozialunternehmen Sorgen: 79,1 Prozent sehen das wirtschaftliche und politische Umfeld rund um Inflation, Energiekrise und den Krieg in der Ukraine als eine Hürde für ihre Arbeit.
- Die Mehrheit schätzt die Unterstützung durch die Politik (69 Prozent) als schwach, sehr schwach oder inexistent ein. Unterstützung erhofft man sich vor allem im Bereich der Finanzierung, der steuerlichen Behandlung, der Sichtbarkeit und bei Marktzugängen.
- 52 Prozent der Befragten wünschen sich auch die Schaffung politischer Strategien zur Stärkung von Sozialunternehmen. Letzteres empfiehlt auch der Europäische Rat, der den Mitgliedsländern bis Ende 2025 nahelegt, Strategien zur Stärkung von Sozialunternehmen vorzulegen.
Der Austrian Social Enterprise Monitor ist Teil des Projekts European Social Enterprise Monitor, das in 30 europäischen Ländern durchgeführt wird. Dadurch bietet sich die Möglichkeit, die Daten in einen internationalen Kontext einzuordnen: „Im europäischen Vergleich betrachtet, befindet sich Österreich im Mittelfeld“, resümiert Fabian Hobodites, einer der Co-Autoren der Studie. „Wir hoffen, dass die Ergebnisse des Austrian Social Enterprise Monitors dazu beitragen, die Rahmenbedingungen für Sozialunternehmen zu verbessern und die positive gesellschaftliche Wirkung ihres Tuns zu befördern.“
Die Ergebnisse der Studie kurz zusammengefasst:
15 Fakten zu Sozialunternehmen in Österreich
Sozialunternehmen in Österreich …
1.… sind gesellschaftlich engagiert. Sie arbeiten am häufigsten in den Bereichen Gesundheit und Wohlergehen, Verringerung von Ungleichheit, Gleichstellung der Geschlechter und Bildung. Etwa die Hälfte (47,9 %) verfolgt auch oder ausschließlich ökologische Ziele, etwa im Bereich der Nachhaltigkeit und im Klimaschutz.
2.… sind innovativ. 83,5 % gaben an, entweder zum Zeitpunkt der Gründung oder in den letzten zwei Jahren wesentliche Innovationen in ihrer Gründung umgesetzt zu haben. Nahezu jedes zweite Sozialunternehmen (46,4 %) setzt bei seiner Arbeit auf neue Technologien wie mobile Apps oder künstliche Intelligenz.
3.… sind oft junge Organisationen. 47,9 % der Organisationen wurden in den letzten zehn Jahren gegründet. 38,6 % befinden sich in frühen Stadien der organisationalen Entwicklung („Seed-“, „Startup-“ oder „frühe Entwicklungsphase“).
4.… stellen ihre Mission an erste Stelle. 94,3 % der Organisationen reinvestieren den Großteil ihrer Gewinne bzw. schütten nicht an Eigentümer:innen aus.
5.… nehmen ihre Wirkung ernst. 84,5 % messen schon jetzt ihre Wirkung. Im Durchschnitt wenden sie 8,5 % ihres Budgets für Wirkungsmessung auf.
6.… schaffen viele (wertvolle) Jobs. Auf die Grundgesamtheit der Sozialunternehmen hochgerechnet beschäftigt der Sektor 34.000 bis 93.000 Personen, gerechnet in Vollzeitäquivalenten, mit steigender Tendenz. Oftmals werden Personen beschäftigt, die am Arbeitsmarkt schlechtere Chancen haben, wodurch die Arbeitsverhältnisse einen zusätzlichen Mehrwert mit sich bringen.
7.… sind weiblich und inklusiv. 50,8 % der Geschäftsführung und 47,6 % der Gründer:innen sind weiblich. 43,8 % der Sozialunternehmen beschäftigen Menschen mit Beeinträchtigungen und 38,1 % Menschen aus ethnischen Minderheiten. Mitarbeiter:innen werden in 90,2 % der Organisationen in die Entscheidungsfindung eingebunden.
8.… treiben die ökologische Transformation voran. Die Mehrheit setzt auch innerhalb der Organisationen auf Nachhaltigkeit: 51,6 % implementieren die Prinzipien der „Circular Economy“ in ihrer Organisation, 46,4 % achten auf die ökologische Nachhaltigkeit in ihren Lieferketten.
9.… haben internationale Ambitionen. 34,5 % gaben an, ihre Wirkungsziele bereits auf internationaler Ebene zu erreichen, 32,0 % planen eine weitere internationale Expansion zu verwirklichen.
10.… stützen sich nun stärker auf private Finanzierungsquellen. Der Anteil von Markteinkommen an den Gesamteinkünften ist auf 47,7 % gestiegen.
11.… sind von Krisen betroffen. 79,1 % sehen das wirtschaftliche und politische Umfeld und insbesondere Inflation, die Energiekrise und den Krieg in der Ukraine als eine Hürde für ihre Arbeit. Sozialunternehmen stehen dabei, auch aufgrund ihrer Arbeit mit marginalisierten Gruppen, unter besonderem wirtschaftlichen Druck. Das äußerst sich in sinkenden Gewinnen und einem veränderten Einkaufsverhalten.
12.… sind resilient: 94,6 % der Unternehmen, die 2021/2022 befragt wurden, sind trotz des schwierigen Umfeldes weiterhin aktiv. Sozialunternehmen zeigen damit eine ähnlich hohe Resilienz wie der österreichische Startup-Sektor.
13.… werden medial wahrgenommen. Eine Auswertung von Tages- und Wochenzeitungen zeigt über die Jahre steigendes Interesse an Sozialunternehmen – wenngleich auf noch niedrigem Niveau.
14.… kennen das Verified Social Enterprise Label und erhoffen sich dessen Weiterentwicklung. Etwa die Hälfte der teilnehmenden Organisationen (49,7 %) haben vom Label gehört und 12,1 % haben dieses bereits verliehen bekommen. In Expert:innen-Interviews und offenen Antwortoptionen zeigt sich Potential für die Weiterentwicklung dieses Angebots.
15.… wünschen sich mehr Unterstützung von Politik und Ökosystem. Die Mehrheit schätzt die Unterstützung durch die Politik (69,0 %) und das Ökosystem (57,7 %) als schwach, sehr schwach oder inexistent ein. Unterstützung ist vor allem im Bereich der Finanzierung, der steuerlichen Behandlung, der Sichtbarkeit und bei Marktzugängen gewünscht.
Empfehlungen an Politik und Praxis
Österreichs Sozialunternehmen entwickeln sich trotz schwieriger ökonomischer Rahmenbedingungen positiv und leisten viel für ihre Zielgruppen, Arbeitnehmer:innen und die Gesellschaft. Die Mehrheit artikuliert im Rahmen der Studie ambitionierte Pläne für die Zukunft, identifiziert aber auch Hürden und Herausforderungen in ihrem Umfeld.
Um das Potential von Sozialunternehmertum in Österreich noch besser zu heben, sind daher Politik, das Unterstützungs-Ökoystem und Geldgeber:innen gefordert, geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen. Im Rahmen von Kapitel 10 des vorliegenden Berichts werden vor diesem Hintergrund 15 Maßnahmen und fünf internationale Good Practices vorgestellt, deren Umsetzung in Österreich empfohlen wird. Diese basieren auf den Ergebnissen der schriftlichen Befragung, 30 Expert:innen-Interviews und auf Policy-orientierten Arbeiten zu Sozialunternehmertum und Entrepreneurship, dem Austausch mit der #mitSinn Initiative und Empfehlungen der Vereinten Nationen (2023), OECD (2024a), International Labour Organization (2022), des Europäischen Parlaments (2022) und des Europäischen Rates (2023).
Zu den empfohlenen Maßnahmen zählt unter anderem – basierend auf der Forderung des Europäischen Rates (2023) – die Entwicklung einer ambitionierten politischen Strategie für Sozialunternehmertum bis November 2025, die Weiterentwicklung des Verified Social Enterprise Labels und die Stärkung privater Investitionsfinanzierung nach portugiesischem Vorbild.
Zum Austrian Social Enterprise Monitor (ASEM)
Transparenzhinweis: Die Studie wurde mit finanzieller Unterstützung des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, der Austria Wirtschaftsservice, der Wirtschaftsagentur Wien und der Wirtschaftskammer Österreich umgesetzt.
Detaillierte Studienergebnisse und weitere Informationen: Vandor, P., Millner, R., Hobodites, F., Seindl, M. & Matzawrakos, M., (2024). Austrian Social Enterprise Monitor 2023/2024. Wien: WU Wirtschaftsuniversität Wien.