(In Plastik) Verpackte Lebensmittel haben oft einen besseren CO2-Footprint als unverpackte
Das Verpacken von Obst, Gemüse und anderen Lebensmitteln in Plastik wird häufig kritisiert.
Fachvorträge beim 11. qualityaustria Lebensmittelforum in Wien zeigen ein differenziertes Bild: Bei sinnvollem Einsatz von (Plastik‑)Verpackungen kann der ökologische Fußabdruck kleiner sein als bei unverpackten Lebensmitteln. Dies vor allem, weil Lebensmittel rascher verderben.
„Durch eine Verpackungsumstellung kann die Mindesthaltbarkeit von einem Stück Beiried von 6 auf 16 Tage verlängert und der Lebensmittelabfall von 34 auf 18 Prozent gesenkt werden“, erklärte Wolfgang Leger-Hillebrand, Branchenmanager für Lebensmittelsicherheit bei der Quality Austria. Der Experte bezog sich dabei auf eine Studie der denkstatt GmbH, bei der unter anderem die Umstellung von einer Fleischschale (EPS Top Seal Schale mit Schutzatmosphäre) auf eine eingeschweißte Kunststoffverpackung (PS/EVA/PE-basierte Darfresh Verpackung) verglichen wurde. Ein ähnliches Bild zeigte sich bei Gartenkresse, Hefezöpfen und Käse.
Verbesserung der Barriere-Schichten und Versiegelungen
Von der Forderung auf einen gänzlichen Verpackungsverzicht hält Leger-Hillebrand entsprechend wenig, weil dadurch noch mehr Nahrungsmittel verderben würden als bisher. „Ein Drittel aller produzierten Nahrungsmittel landet im Müll. Alleine in Europa sind es 100 Millionen Tonnen pro Jahr“, mahnt der Experte. Immerhin seien rund 30 Prozent des Klimafußabdrucks eines durchschnittlichen Europäers mit der Produktion und Distribution von Lebensmitteln und Ernährung verbunden. (In Plastik) Verpackte Lebensmittel können daher in Summe einen besseren ökologischen Fußabdruck als unverpackte Lebensmittel haben. Studien hätten zudem ergeben, dass nur 1,3 Prozent des gesamten CO2-Footprints eines durchschnittlichen österreichischen Konsumenten von verbrauchtem Verpackungsmaterial herrührt. „Die Verpackung schützt vor Beschädigung und Verunreinigung, sie bildet eine Barriere gegenüber Sauerstoff oder Wasserdampf und mittels Schutzgas oder Vakuum kann die Haltbarkeit weiter verlängert werden“, erklärt Leger-Hillebrand. „Weiteres Optimierungspotenzial gibt es durch passende Portionsgrößen, Verbesserung der Barriere‑Schichten und Versiegelungen sowie Erhöhung der Durchstoßfestigkeit“, so der Experte weiter.
Biokunststoffe sind noch nicht perfekt
„Biokunststoffe als Verpackungsmaterial sind in Hinblick auf die endliche Ressource Erdöl und den Klimawandel eine Option, die man sorgfältig prüfen sollte“, erklärte Brunhard Kehl, Leiter Lebensmittelqualität und Verpackung bei der Assoziation ökologischer Lebensmittelhersteller (AöL) in Deutschland. Biobasierte Kunststoffed schneiden nach einer Umweltbilanz des IFEU-Instituts aus dem Jahr 2012 allerdings nicht besser als konventionelle Kunststoffe ab. Kehl geht allerdings davon aus, dass diese bei einer vollständigen Umsetzung des Optimierungspotenzials, wie zum Beispiel der Reduktion der Folienstärke oder nachhaltigerem Anbau der Rohstoffe, mindestens gleichwertig oder besser abschneiden könnten. Zudem dürfe man nicht außer Acht lassen, dass es sich bei Erdöl um eine endliche Ressource handelt.
Recyclingfähigkeit ist eine Frage der Menge
Biobasierte Werkstoffe bestehen zumeist aus Mais, Zuckerrohr, Zuckerrüben, Kartoffeln oder Hölzern, wobei die Einsatzgebiete und Erfolgschancen unterschiedlich sind. Bio-Pet beispielsweise besteht aus maximal 30 Prozent biobasierten Rohstoffen und lässt sich ähnlich gut verarbeiten wie mineralölbasierte. Bei Drop-In-Biokunststoffen werden gewisse Rohstoffteile (bei PE fast 100 Prozent, bei Pet max. 30 Prozent), die bei petrochemisch hergestellten Kunststoffen verwendet werden, durch biobasierte Rohstoffe ersetzt. „Drop-In-Kunststoffe wie Bio-PE oder Bio-PET werden sich aller Voraussicht nach gut entwickeln“, prophezeite Kehl, genaue Marktzahlen liegen allerdings noch keine vor. Bei den derzeit günstigen Erdölpreisen sind Biokunststoffe in der Regel teurer als mineralölbasierte Kunststoffe“, nennt Kehl einen der möglichen Gründe, warum sich Biokunststoffe noch nicht flächendeckend durchgesetzt hätten. Bei sogenannten „Nicht-Drop-In“-Kunststoffen ist zudem derzeit die Recyclingfähigkeit in den Sortieranlagen noch nicht gegeben. Wenn die anfallenden Mengen von einem einzelnen Werkstoff zunehmen, könnten diese auch gesondert recycelt werden.
Recyclingquote für Plastikverpackung muss massiv steigen
„Kreislaufwirtschaft ist ein zentrales Anliegen auf europäischer Ebene. Daher sind insbesondere im Kunststoffbereich einschneidende Maßnahmen zur Reduktion bzw. zum Recycling von Kunststoffabfällen sowie zur Eindämmung des Littering erforderlich“, erklärte Wolfgang Holzervon der Abteilung Abfallvermeidung, -verwertung und ‑beurteilung im Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus. Laut den neuen Recyclingvorgaben der europäischen Verpackungsrichtlinie muss die Recyclingquote für Kunststoffverpackungen bis 2030 von aktuell 22,5 Prozent auf mindestens 55 Prozent steigen. Erreicht werden soll das durch die Umsetzung der Kunststoffstrategie, wonach bis 2030 alle Kunststoffverpackungen wiederverwendbar oder rezyklierbar sein sollen, die Recyclingkapazitäten in Europa erheblich erweitert und modernisiert werden und Kunststoffrezyklate auch weitreichend eingesetzt werden. Ab Mitte 2021 wird zudem ein Verbot bestimmter Einwegartikeln aus Kunststoff dazu beitragen, den Kunststoffeintrag in die Umwelt zu reduzieren.
Revolution in der Lebensmittelbranche steht bevor
„Müllvermeidung, alternative Kunststoffe und das Denken in Materialkreisläufen werden zu Herausforderungen für Lebensmittelproduzenten, Handel und Konsumenten“, erklärte die Gründerin von futurefoodstudio, Hanni Rützler. Food-Trends sind für die Expertin Antworten auf Wünsche, Sehnsüchte und Probleme der Menschen. Sie seien Phänomene von Wohlstandsgesellschaften, die in gesättigten Märkten besonders gut gedeihen würden. Alleine in unserem Kulturraum hat Rützler 30 Food-Trends ausgemacht. Zu Gast beim Lebensmittelforum war auch der Food-Aktivist Hendrik Haase. „Essen ist längst viel mehr als Nahrungsaufnahme: Food ist Pop und heute wichtiger Bestandteil des Lifestyles“, zeigte sich der Berliner überzeugt und verwies auf einen relevanten Trend: „Wir befinden uns am Anfang einer neuen Gründerzeit. Junge Unternehmerinnen verbinden heute Lebensmittelproduktion mit Digitalisierung und Nachhaltigkeit mit Kreativität. Diese Bewegung wird die Lebensmittelwirtschaft revolutionieren“, prophezeite Haase.
Unbekannte Risiken werden überschätzt
Für Ingrid Kiefer, Leitung Fachbereich Risikokommunikation in der AGES, spielen Medien eine große Rolle, wenn es darum geht, wie Risiken wahrgenommen werden. Medien vertreten in der Regel ähnliche Meinungen wie die Konsument*innen. Expertenmeinungen werden dabei nur bedingt berücksichtigt. Die Bevölkerung akzeptiert zudem höhere Risiken, wenn sie freiwillig eingegangen werden, wie zum Beispiel Rauchen oder Fehl- und Überernährung. „Risiken werden hingegen überschätzt, wenn sie unbekannt sind und zusätzlich eine starke Medienpräsenz genießen. Dazu zählen Gentechnik, Strahlung oder Pestizide“, erklärte die Expertin. Eine weitere Problematik sei die Art der Kommunikation. „Nur elf Prozent der Gesundheitsnews werden richtig und ohne Übertreibungen kommuniziert“, erklärte Kiefer. Die größte Aufgabe sei daher nicht nur Bewusstsein und Vertrauen zu schaffen, sondern auch Transparenz.
Handel als Seismograph unserer Gesellschaft
Robert Zniva, Forscher und Lektor an der Fachhochschule Salzburg und der Wirtschaftsuniversität Wien sieht keine drohende Apokalypse im Lebensmitteleinzelhandel durch den Onlinehandel. „Die Last-Mile-Problematik bei der Zustellung kann derzeit nicht effizient und kostengünstig gelöst werden. Zudem wird oft verdrängt, dass der stationäre Handel in Österreich historisch gewachsen und die Struktur effizient und kundenfreundlich ist“, erklärte der Experte. Für Handwerksbetriebe wie beispielsweise Bäcker sieht der Experte gute Chancen, dass ihre hochwertigen Produkte zu einer Art Luxusgut werden, für die sie entsprechend höhere Preise verlangen können.
Schädlingsbekämpfung wird teurer
Die Lebensmittelhersteller werden für Schädlingsbekämpfung künftig tiefer in die Tasche greifen müssen, kündigte Peter Fiedler, Geschäftsführer der ASSA Gruppe (Objektservice und Schädlingsbekämpfung), an. Und zwar nicht deshalb, weil die Anbieter mehr verdienen wollen, sondern weil der Aufwand dafür steigt: „Die Kontrollintervalle werden aufgrund der rechtlichen Rahmenbedingungen steigen, die Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter wird intensiver und damit teurer, die Ausstattung mit technischen Geräten wird umfangreicher.“ Zudem warnte der Experte vor verstärkten Problemen mit Resistenzen – vor allem Mittel zur Bekämpfung von Nagetieren (Rodentizide) sowie Insektizide würden nicht mehr so gut wie früher wirken.
Die Herausforderungen für die Schädlingsbekämpfer durch den Klimawandel erläuterte Michael Stelzl, Geschäftsführer des Hygienicum Instituts für Mikrobiologie & Hygiene-Consulting. Aktuell bringe beispielsweise eine Mäuseplage die Ernte im Weinviertel in Gefahr: „Die Nagetiere haben vielerorts bereits bis zu 70 Prozent der Ernte vernichtet“, erklärte Stelzl. Schuld sei laut Landwirtschaftskammer die Hitze. Neben diesen Phänomenen dringen aber auch immer mehr neue Schädlinge in Österreich ein, die sich zum Teil sogar langfristig etablieren könnten. Grund ist der weltweite Handel sowie das verstärkte Auftreten von wärmeliebenden Schädlingen, das dem Klimawandel und der damit einhergehenden Temperaturerhöhung geschuldet ist. Joachim Kircher, Senior Manager der denkstatt GmbH, ging in seinem Vortrag der Frage nach, wie unsere Ernährung mit dem Klima zusammenhängt und machte dabei ebenfalls die Lebensmittelabfälle als großen Problembereich aus.
Florian Fellinger, Abteilungsleiter im Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz, erklärte, dass Österreich im Bereich der Lebensmittelsicherheit einen sehr guten Status habe. Jedoch mahnte er auch zur Wachsamkeit: „Wir müssen uns zukünftig neuen Aufgaben stellen, die durch neue Medien und den internationalen Warenverkehr hervorgerufen werden. So stellt zum Beispiel die Kontrolle des Internethandels die Behörden vor neuen Herausforderungen. Auch der Lebensmittelbetrug nimmt weltweit zu, da hier die Gewinne durch Verfälschungen oder Umlabeling, z.B. auf Bio, teilweise sehr hoch sind.“ Dadurch werde laut Fellinger die internationale Zusammenarbeit immer wichtiger, da diese Probleme rein auf nationaler Ebene nicht zu lösen seien.