Triggerpunkte: gespaltene Gesellschaft?
Warum Gendersternchen und Klimakleber so viele Menschen triggern.
Triggerpunkte: Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft
Wut, Hass, draufhauen statt zu argumentieren: Ein Blick auf Kommentare im Netz genügt um festzustellen, dass sogar positive Initiativen oder Lösungen so „erschlagen“ werden. Miteinander reden und einen gemeinsam Weg finden war gestern. Die Gesellschaft scheint polarisiert zu sein. Steffen Mau und seine Kollegen sagen aber: Die Gesellschaft (in Deutschland) ist nicht polarisiert, aber es fühlt sich so an. Sie sei keine Kamelgesellschaft (zwei Höcker) sondern eine Dromedargesellschaft (ein Höcker). Was haben sie herausgefunden? Ein paar zentrale Aussagen:
- In der Gesellschaft gibt es mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Nur die Ränder werden lauter und die Mitte leiser.
- Die Politik betont die Unterschiede. Es gibt politische Kräfte, die zuspitzen, antriggern und überbetonen wollen um Aufmerksamkeit zu erwecken. Sachpolitik wird mehr und mehr durch Affektpolitik ersetzt.
- Das wird verstärkt durch Medien – vor allem auch durch Soziale Plattformen und die entsprechenden Algorithmen. Und von einseitig gesteuerten Medien, wie Parteimedien oder von außen finanzierten Medien.
- Die Gemeinsamkeiten kippen an sogenannten Triggerpunkten. Z.B. beim Klimaschutz herrscht Einigkeit, dass viel zu tun ist. Aber beim Gendersternchen, „raus aus Gas“ und noch mehr bei den Klimaklebern kippt die die sachliche Diskussion ins Emotionale.
- Dahinter steht, dass Verhaltensveränderungen, also soziale Veränderungen, grundsätzlich sehr träge sind, weil dahinter moralische Fragen und Normen stehen: Was ist gerecht? Was ist normal? Welche Übergriffe darf es geben?
- Dazu kommt eine sogenannte Veränderungserschöpfung durch zu viele Krisen: Migrant*innen 2015, Corona 2020, Krieg in der Ukraine 2022, Energiekrise, Inflation, Krise im Nahen Osten,... Es scheint nicht aufzuhören. Diese Ängste werden dann an Symbolfiguren wie Migrant*innen abgearbeitet.
- Das ist auch der Trumpf, den rechte Ränder in der Hand haben. Sie brauchen nur auf die Triggerpunkte drücken um die Menschen zu emotionalisieren und eine Wut auf „die da oben“ zu erzeugen.
- Die Wut auf „die da oben“ ist eine neue Entwicklung. Sie resultiert aus der Veränderung der gesellschaftlichen Erzählung. Bis vor einigen Jahren herrschte die Meinung vor: „Die Dinge laufen zu meinen Gunsten und nicht gegen mich.“ Heute haben die Menschen das Gefühl, dass die Politik keine Lösungen mehr findet, dass die wirklichen Probleme an den politischen Parteien vorbeilaufen. Dazu kommt, dass die Verbindung zwischen Politik und den Menschen in allen westlichen Staaten fragiler geworden ist. Daher werden Konflikte auf die Straße getragen, wie die Klimakleber. Verstärkt wird dies durch unzählige Informationskanäle, die mit fake News und einseitigen Informationen Aufregung erzeugen und vor allem auf Emotionen setzen statt auf sachliche und ausgewogene Information.
- Das kann die Demokratie gefährden, weil die Emotionen an den Triggerpunkten auch die gesellschaftliche Mitte erreichen und eine sachliche Diskussion nicht mehr möglich ist.
Was kann / muss die Politik tun?
Momentan betreibt die Politik Risikomanagement um die Schäden zu minimieren. Daher fällt Zustimmungsbereitschaft weg. Es braucht ein gesellschaftliches Projekt, hinter dem sich die Menschen versammeln wollen. Es ist Aufgabe der Politik dieses gesellschaftliche Projekt zu entwickeln.
Steffen Mau/Thomas Lux/Linus Westheuser: Triggerpunkte. Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft. edition suhrkamp. 2023. ISBN 978-3-518-02984-8