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Bodenschutz in Österreich

Die Bodenversiegelung zählt mit 11,3 ha pro Tag zu den höchsten in ganz Europa. Das hat Folgen.

Am Foto sieht man ein Autobahnkreuz inmitten einer Grünlandschaft
Foto: istock_000001835890

Boden ist ein sehr wertvolles und endliches Gut. Leider ist der Umgang mit dieser für unseren Lebensqualität und unsere Nahrungsmittelsicherheit so bedeutenden Ressource bis heute achtlos um nicht zu sagen fahrlässig.
Die Bodeninanspruchnahme in Österreich zählt mit 11,3 ha pro Tag zu den höchsten in ganz Europa. Davon werden rund 50% dauerhaft versiegelt, was irreversible Schäden nach sich zieht.

Um das Zwischenziel von 2,5 ha pro Tag bis 2030 zu erreichen, wurde der ÖREK-2030-Umsetzungspakt „Bodenstrategie für Österreich“ unter Einbindung der Politik, Verwaltung und Wissenschaft erarbeitet und liegt nun bereits seit November 2022 in einer finalen Fassung vor. Was fehlt, ist einzig der politische Beschluss. Aus diesem Grund wenden sich nun Wissenschafter:innen und Expert:innen gemeinsam mit der S4F-Fachgruppe für Bodenverbrauch an die Öffentlichkeit und mit konkreten Fragen an die Politik.

Die Statements der Wissenschaftler*innen

Dr. Renate Christ: Bodenschutz ist ein integrales Element jeder Klimapolitik

Böden sind die Basis für Land- und Forstwirtschaft und Ökosysteme. 70% der globalen eisfreien Landmasse ist vom Menschen genutzt, ein Viertel der Landfläche ist bereits beeinträchtigt und degradiert. Böden und Landnutzung spielen auch eine wichtige Rolle für das Klimasystem, als Emissionsquellen und Senken und für den Energie- und Wasserhaushalt. Nachhaltige Boden- und Landnutzung kann daher einen wesentlichen Beitrag zur Lösung des Klimaproblems leisten, sowohl als Bodenschutz im engeren Sinn, als auch in der Raumplanung und Infrastrukturentwicklung.

Böden als Quellen und Senken von Treibhausgasen
Land- und Forstwirtschaft und Landnutzungsänderung (AFOLU) verursachten 2007-2016 insgesamt 23% der globalen anthropogenen netto-Treibhausgasemissionen (13% der CO2 Emissionen, 44% der Methanemissionen und 82% der N2O Emissionen). Biosphäre und Böden sind aber auch in der Lage CO2 zu binden und können als Senken einen substanziellen Beitrag zur Stabilisierung der Temperatur leisten. Durch die natürliche Reaktion der Biosphäre auf geänderte Umwelteinflüsse, wie erhöhter CO2 Gehalt, Stickstoffdüngung und regional längere Wachstumsperioden, wurden 2007-2016 jährlich ca. 11 GtCO2 pro Jahr gebunden, was ca. 29% der Gesamt-CO2-Emissionen entspricht (siehe Tabelle). Durch entsprechendes Manage-ment können sowohl die Emissionen aus den genannten AFOLU Sektoren verringert werden als auch die Aufnahme von CO2, das sogenannte Carbon Dioxide Removal (CDR), aktiv gefördert werden. Potential haben Kohlenstoffmanagement in landwirtschaftlichen Böden, Revitalisierung von degradiertem Land und forstwirtschaftliche Maßnahmen. Ein wesentlicher Faktor ist jedoch, Eingriffe in Ökosysteme und die Umwandlung und Versiegelung von Naturflächen und landwirtschaftlich genutzten Flächen zu stoppen. Zu bedenken ist auch, dass die natürlichen CO2 Senken anfällig für den Klimawandel sind und unter Umständen in Zukunft CO2 freisetzen werden. Ambitionierte Emissionsreduktionen in anderen Sektoren sind daher notwendig, um das Emissionsminderungspotential von Böden und Biosphäre zu erhalten.

Bodennutzung und Klimawandelfolgen
Land- und Bodennutzung beeinflusst auch die Verwundbarkeit gegenüber Klimawandelfolgen wie Dürre, Feuer, Starkregen, Überschwemmungen und Schädlingsbefall. Entsprechend geplant können Bodenschutzmaßnahmen sowohl die Netto-Treibhausgas-Emissionen verringern als auch die Resilienz gegenüber Klimaveränderungen verbessern.


Bodennutzung und „lock-in“ zukünftiger Treibhausgasemissionen
Raumplanung und Infrastruktur bestimmen oft über Jahrzehnte die Treibhausgasemissionen. Vor allem die zunehmende Zersiedelung und der damit einhergehende Mehrbedarf für Energie und Mobilitätsservices stellt ein gravierendes Problem dar. So hat sich von 1975 bis 2015 die verbaute Fläche in Europa verdoppelt, obwohl die Bevölkerung annähernd konstant geblieben ist. Analysen zeigen auch, dass die urbane Form weitgehend die pro-Kopf Treibhausgasemissionen bestimmt. Wichtige emissionsbeschränkende Faktoren sind gezielte Verdichtung statt Ausweitung ins Umland, Vorrang für aktiven Verkehr wie Gehen und Radfahren, und großzügige grüne und blaue Infrastruktur, wie Parks, Wälder und Wasserflächen in allen Stadtgebieten. Dadurch wird einerseits das Wohlbefinden der Bewohner verbessert, auch an Hitzetagen, und es wird CO2 gebunden.


Univ.Prof. Dr. Martin Gerzabek: Bodenfunktionen, Nutzungskonflikte und Klimawandel

Böden sind die Basis für das Leben der Menschheit auf dem Planten Erde. Böden entwickeln sich sehr individuell an einem Standort, beeinflusst von Klima, Ausgangs-gestein, Fauna und Flora, Relief, menschlichen Eingriffen und der Zeit. Der Zeitfaktor ist dabei sehr wichtig. Böden benötigen hunderte bis tausende Jahre, um sich zu entwickeln und um im Ökosystem alle ihre Funktionen entfalten zu können.

Die wichtigsten Funktionen sind:

  • die Produktionsfunktion (Boden als Pflanzenstandort),
  • die Lebensraumfunktion (Lebensraum für zahlreiche Pflanzen und Tiere und Mikroorganismen) und
  • die Regulationsfunktion (Speicherung von Wasser, Klimaregulator, Filter- und Pufferfunktion für Schadstoffe, Bereitstellung von sauberem Grundwasser).

Darüber hinaus hat die Menschheit weitere Ansprüche an die Böden, nämlich

  • die Entnahme von Rohstoffen (Kiese, Sande, Grundwasser, etc.),
  • die Kulturfunktion (Böden als Archiv der Menschheitsgeschichte) und schließlich
  • die Infrastrukturfunktion (Böden als Standort für die Infrastruktur).

Die Entnahme von Rohstoffen und vor allem die Überbauung und somit Versiegelung (= Unterbrechung des Eindringens von Niederschlägen in den Boden) entziehen den betroffenen Böden sofort die Funktionen.

Warum ist dies so kritisch zu sehen? Schon heute ist Österreich bei etlichen Lebensmitteln nicht in der Lage, sich in Krisenzeiten selbst zu versorgen (Obst, Gemüse, pflanzliche Öle, etc.). Diese Situation wird sich durch den Klimawandel deutlich weiter verstärken. Die BEAT-Studie (2018) zeigt auf, dass es bis ca. 2050 zu einer klimabedingten Abnahme der Bodenfruchtbarkeit in ganz Österreich um durchschnittlich ca. 19% kommen wird. Tatsächlich ist die regionale Verteilung dieser Veränderung sehr ungleichmäßig. Im alpinen Bereich werden die Böden teilweise fruchtbarer durch den Temperaturanstieg, im NO Flach- und Hügelland, in dem sich die fruchtbarsten Ackerböden Österreichs befinden, ist aufgrund der zunehmenden Trockenheit aber eine Abnahme der Fruchtbarkeit um ca. 48% (!) prognostiziert. Ohne Gegenmaßnahmen wir eine Abnahme des Selbstversorgungsgrades z.B. bei Weizen auf ca. 64%, bei Körnermais auf 79% und bei Sonnenblume auf 16% prognostiziert. Tatsächlich wird die Landwirtschaft große Anstrengungen erbringen müssen, um diese drohenden Ertragsverluste zu minimieren – von Ertragssteigerungen wird man längerfristig kaum mehr sprechen können! Eine Flächeninanspruchnahme von 42 km² pro Jahr (2020), bzw. ca. 18 km² Versiegelung pro Jahr ist daher nachhaltig nicht zu verantworten. Fruchtbare Böden müssen vorrangig für landwirtschaftliche Zwecke genutzt werden. Als weiterer Zielkonflikt ist das Spannungsfeld von Flächennutzung und Erhaltung und Verbesserung einer vielfältigen Biodiversität zu nennen. Diese benötigt weitere Flächen, ist aber sehr wichtig, um die Ökosysteme stabil zu erhalten.
 

Dipl.-Ing. Ulrich Leth: Bodenverbrauch für Straßen

Trotz evidenter Klimakrise und schon jetzt - im negativen Sinne - rekordverdächtiger Bodeninanspruchnahme versiegeln wir in Österreich bestes Ackerland munter weiter. Die Flächen von Straßen und Parkplätzen haben seit 2012 um fast 4 Prozent bzw. über 70 km² zugenommen, in den letzten Jahren zwischen 4 und 8 km² pro Jahr. Allein für die geplante Ostumfahrung in Wiener Neustadt sollen 20 ha landwirtschaftli-che Flächen asphaltiert werden, für die sogenannte „Stadtstraße“ und die Spange S1 in Wien sogar 33 ha.
Dabei ist höchst fraglich, ob überhaupt noch neue Straßen gebaut werden müssen, wenn der Mobilitätsmasterplan vorsieht, dass im Jahr 2040 nur noch 2/3 der heutigen Wege mit dem Auto zurückgelegt werden dürfen, um die Klimaziele zu erreichen. Im Gegenteil: eigentlich müssten wir uns überlegen, welche Straßen wir als erstes rückbauen, um dieses Ziel zu erreichen, weil ja längst bekannt ist, dass Überkapazität noch mehr Autoverkehr anzieht. Darüber hinaus induziert weiterer Straßenbau auch weitere, dezentrale Siedlungsentwicklung und Betriebsansiedlungen, die wiederum weitere Flächen versiegeln.
Auch niedrigere Tempolimits würden uns helfen, Straßen teilweise zu entsiegeln. Da bei geringeren Geschwindigkeiten schmälere Fahrbahnbreiten ausreichen, könnte durch eine Maximalgeschwindigkeit auf Autobahnen von 110 km fast 20 Prozent der Fahrbahnbreite eingespart werden, bei Tempo 80 auf Freilandstraßen bis zu 27 Prozent, und bei Tempo 30 im Ortsgebiet bis zu 40 Prozent.


Dipl. Ing. Gaby Krasemann: Boden ist viel mehr als nur Bauland

Jahrzehntelang verstand man unter Raumplanung und Raumordnung ausschließlich, die bauliche Entwicklung von Städten und Gemeinden voranzutreiben. Das Baukran-Ballett im Ort signalisierte wirtschaftliche Prosperität. Folgerichtig erdachte man für die Widmungspläne zahlreiche Kategorien für Bauland – Rot in allen Schattierungen dominiert bis heute die Pläne; Freiflächen blieben einfach weiß. Das sehen nicht nur Landschaftsplaner schon lange zu Recht kritisch und setzen sich dafür ein, dass dem Schutz der Umwelt und der natürlichen Lebensgrundlagen endlich deutlich mehr Gewicht zukommt. Flächen mit besonders hoher Wertigkeit für die Biodiversität oder auch den Klimaschutz müssen erhalten bleiben, die Interessen des Gemeinwohls stehen dann über denen privater Investoren zur Gewinnmaximierung. In Österreich sind bis heute die Analyse und die Bewertung baulichen Eingriffe in Natur und Land-schaft, deren Ausgleich oder Ersatz eine Ausnahme, auch weil die inhaltlichen Grundlagen fehlen. Die „Bodenstrategie“ schließt hier eine wichtige und längst überfällige Lücke.


Dipl.-Ing. Franz Fehr, MSc: Unseren Boden sorgsam zu schützen ist Voraussetzung um ihn auch in Zukunft sinnvoll nützen zu können - wir müssen dafür aber jetzt sofort strategisches Handeln vor Ort ermöglichen und einfordern.

Tag für Tag wird in den österreichischen Gemeinden Fläche versiegelt und damit wertvoller Boden verbraucht. Die Handlungskompetenz obliegt grundsätzlich den Bürgermeister*innen als oberste Baubehörde der Gemeinde. Großteils fehlen aber grundlegende strategische Planungsinstrumente wie örtliche Entwicklungskonzepte oder überörtliche Raumplanungsstrategien. Zudem ist auch die derzeitige Rechtslage im Rahmen des Bodenschutzes stark zersplittert. Sie ist geprägt durch die Sicht des Rechts, Flächen in Österreich nach unterschiedlichen Gesichtspunkten zu behandeln. Dazu gehört die Sicht auf den Boden unter dem Gesichtspunkt der Forstwirtschaft, des Wasserrechts, der Landwirtschaft, des Baurechts, des Naturschutzes und der Raumordnung. Diese Materien tragen dem Gedanken eines umfassenden Bodenschutzes unzureichend Rechnung. (vgl. Ecker und Wagner, 2021) Es braucht eine neue Herangehensweise um umfassenden Bodenschutz zu erreichen. Eine österreichweite Bodenschutzstrategie ist daher dringend gefragt.
Wichtig ist dabei auch die Kompetenzen und Zuständigkeiten zwischen Bund, Ländern und Gemeinden neu zu ordnen um strategischen Bodenschutz zu ermöglichen und so den aktuellen Flächenverbrauch zu stoppen und auch gute Bodenqualität zu wahren. Die Raum- und Bauordnungen der Länder sind völlig unterschiedlich. Die Rechtslage enthält momentan ungenügende Maßnahmen, um dem quantitativen Bodenverbrauch entsprechend Rechnung zu tragen. Bau- und Raumordnungen der Länder wirken dem Ziel des quantitativen Flächenverbrauchs nur ungenügend entgegen, da etwa Neubauten und Betriebsansiedelungen unmittelbare finanzielle Vorteile für Städte und Gemeinden nach sich ziehen. Der erwünschte Machterhalt der Länder in Hinblick auf das Baurecht wirkt sich abermals schädlich auf die Umwelt aus, da Bürgermeister*innen als Organe der örtlichen Raumplanung den auf sie lastenden Druck seitens Industrie, Wohnbedarf, Tourismus und Landwirtschaft oftmals ungenügend abwehren und so die Versiegelung weiter vorangeht. (vgl. Ecker und Wagner, 2021).
 

Laut Bundeskanzleramt sollen mit einer österreichweiten Bodenschutzstrategie gemeinsam mit den Bundesländern Grundsätze zur Reduktion des Flächenverbrauchs und zur Verbesserung der Bodenqualität festgelegt werden. (Bundeskanzleramt, 2020). Jeder Tag ohne einen nationalen „Fahrplan“ bedeutet den Verlust von weite-ren landwirtschaftlich und biologisch wertvollen Flächen.

Die Wissenschaftler*innen wenden sich daher mit folgenden Fragen an die zuständigen Entscheidungsträger:innen:
• Warum ist die „Bodenstrategie für Österreich“ noch nicht beschlossen und kommuniziert worden?
• Wie schaut der konkrete Zeitplan zur Beschlussfassung und Umsetzung dieser Strategie mit den notwendigen begleitenden Maßnahmen aus?
• Welche Bedenken stehen einer Beschlussfassung und Veröffentlichung in den nächsten Wochen entgegen?
• Welche Schritte zur Reduktion von Flächenverbrauch und Bodenversiegelung sind geplant, wenn ein konkreter Zeitplan zur Veröffentlichung der Bodenstrat-egie nicht existiert bzw. eingehalten wird?

Weiterführende Unterlagen:

Bundeskanzleramt (Hrsg.) (2020): Aus Verantwortung für Österreich – Regierungsprogramm 2020-2024. Wien: Bundeskanzleramt Österreich.
Ecker, D. und Wagner, E. (2021): „Neudenken des Bodenschutzes“ in UniNEtZ Optionenbericht.