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Dr. Kurt Weinberger

Mit ihrer Kampagne „Bodenlos ist arbeitslos, brotlos,…“ in Radio, Print- und Online-Medien macht die Hagelversicherung  auf die hohe Versiegelung der Böden in Österreich aufmerksam.

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Im Durchschnitt werden jeden Tag 20 Hektar Agrarflächen oder umgerechnet 30 Fußballfelder aus der Produktion genommen. Die massive Verbauung hat negativen Einfluss auf die Biodiversität, Dürre- und Überschwemmungsschäden nehmen zu, die heimische Lebensmittelversorgung wird durch den Wegfall der Produktionsgrundlage gefährdet, das Landschaftsbild wird verschandelt – in der Folge: der Tourismus leidet. Die Österr. Hagelversicherung kommuniziert dies seit langem und "bringt damit den irren Bodenverbrauch in Österreich ins allgemeine Bewusstsein" (Zitat Nominierung).

Was war für Sie der Auslöser, sich so intensiv mit dem Bodenverbrauch zu beschäftigen? Wann war das?

Aufgewachsen bin ich mit vier Geschwistern in Edt bei Lambach auf einem mittelgroßen Bauernhof, umgeben von unberührter Natur. Heute blicke ich mit Wehmut auf diese Umgebung, die mich in meiner Kindheit geprägt hat. Direkt an die Liegenschaft meines Elternhauses grenzt eine Umfahrung an und hat jahrtausendalte Landschaft zerstört. Dazu kamen die Expansion eines Schrotthändlers, die Rodung eines rund 10 Hektar großen Auwaldes zur Errichtung eines Abstellplatzes eines Transportunternehmens, wo heute 1.000 LKW geparkt und rangiert werden. Aktuell werden weitere 15 Hektar angrenzend an das Transportunternehmen für weitere Abstellplätze zubetoniert. Das Kloster Lambach hat die Grundstücke an den Transportunternehmer verkauft, da das Stift laut Abt eine höhere Rendite von Grund und Boden erzielen will. Das alles ist mit ein Grund, warum ich derartig sensibilisiert bin, wenn es um die Zerstörung unseres einzigartigen Natur- und Lebensraumes geht. Als Chef und Finanzmanager eines Naturkatastrophenversicherers verlangt es aber auch meine kaufmännische Sorgfaltspflicht auf diesen Umstand des sorglosen Umganges mit unserer Erde hinzuweisen. Jeder hat auch eine Verantwortung für künftige Generationen.

Welches Ziel hatten Sie zu Beginn Ihrer Aktivitäten und wie hat es sich in der Zwischenzeit verändert?

Faktum ist: Österreich ist Europameister im negativen Sinn was das Zubetonieren und Zerstören unserer Böden in der Größenordnung von rund 30 Fußballfeldern pro Tag betrifft. Wir stellen einige Negativrekorde auf. Wir haben hierzulande eine Supermarktfläche von 1,67 Quadratmeter pro Kopf. Der Durchschnitt liegt in Europa bei 1 Quadratmeter pro Kopf. Wir haben mit 15 Meter pro Kopf (Vergleich Deutschland 8 Meter pro Kopf) eines der dichtesten Straßennetze, sowie leerstehende Industrie-, Gewerbe- und Wohnimmobilien von mehr als 40.000 Hektar. Das entspricht der Fläche der Stadt Wien. Pro Jahr werden 0,5 Prozent der Agrarfläche aus der Produktion genommen (Vergleich in Deutschland: 0,25 Prozent). Wenn diese Entwicklung so fortschreitet, wird es in Österreich in 200 Jahren keine Agrarflächen mehr geben. Der Schutz ist für die Ernährung der steigenden Bevölkerung unverzichtbar! Es ist aber erfreulich zu sehen, dass das Bewusstsein in der breiten Bevölkerung gestiegen ist und dass unsere Kampagne damit auch „greift“!

Was bedeutet Erfolg für Sie?

Erfolg bedeutet für mich Nachhaltigkeit im täglichen Tun und Handeln. Zwar ist dieser Begriff mittlerweile sehr strapaziert, richtig „eingesetzt“ bedeutet er aber für mich unser soziales, ökologisches und ökonomisches Umfeld zu beobachten. Dabei sehe ich, dass einiges verkehrt läuft. Sich zu verändern ist nicht einfach. Es ist sehr viel bequemer, alles so zu belassen wie es ist und sich damit zu arrangieren. Für mich bedeutet das aber Stillstand und letztlich Rückschritt.

Also versuche ich mein eigenes Denken und Handeln so zu verändern, um weiteren Schäden in meinem Einflussbereich entgegenzuwirken. Das ist für mich nachhaltiges Denken. Das ist für mich zugleich Erfolg.

Was waren die größten Hindernisse am Weg? Wie haben Sie sie bewältigt?

Es wird uns und mir oft vorgeworfen, dass die Hagelversicherung gegen das Bauen ist. Das ist nicht richtig. Wir als Hagelversicherung sind für eine strukturierte und intelligente Raumentwicklung unter Berücksichtigung von ökologischen und ökonomischen Gesichtspunkten. Intelligente Volkswirtschaften setzen sowohl auf Ökonomie als auch auf Ökologie. Als Beispiel sei in dem Zusammenhang nur die Notwendigkeit der Revitalisierung der mehr als 40.000 Hektar leerstehender Industrie-, Gewerbe- und Wohnimmobilien angeführt. Das schulden wir alleine schon unseren Kindern und Kindeskindern.

Was war Ihr größter Misserfolg? Was haben Sie daraus gelernt?

Wenn man an der Spitze eines Unternehmens steht, dann gibt es immer mitunter Misserfolge. Vieles was aber im ersten Augenblick als Misserfolg erscheint, ist im Nachhinein gesehen ein Erfolg. Das betrifft sowohl unser Kerngeschäft als Naturkatstrophenversicherer, als auch unsere gesellschaftspolitisch relevante Kampagne zum Bodenverbrauch. Anfangs wurden wir zum Teil mit Intrigen bekämpft, mittlerweile haben wir eine breite Zustimmung erreicht.

Wie gelingt es Ihnen, wichtige EntscheidungsträgerInnen für den Klima- und Bodenschutz zu gewinnen? Mit welchen Argumenten?

Mit folgenden Fakten:

Punkt 1: 85 Prozent der Österreicher sind über diese Zersiedelung verärgert.

Punkt 2: 95 Prozent unserer Nahrung kommt aus dem Boden, auch unser tägliches Brot.

Punkt 3: Wenn die gegenwärtige Entwicklung so fortschreitet, wird es in Österreich in 200 Jahren keine Agrarflächen mehr geben.

Punkt 4: Jeder Europäer braucht mittlerweile im Schnitt 3.000 m² Ackerfläche, um seinen Bedarf an Lebensmitteln abzudecken. In Österreich kommen wir aber nur noch auf 1.600 m² pro Kopf. Das bedeutet also, dass wir längst für fast die Hälfte unserer Lebensmittel, Böden anderswo auf der Welt beanspruchen und wegnehmen.

Das sind starke Argumente und überzeugen prominente Meinungsbildner aus Wirtschaft, Wissenschaft, Kirche, Kultur und auch der Politik!

Wer müsste mehr tun?

Hauptursache ist meiner Meinung nach ein zahnloses Raumordnungsgesetz. Die Entscheidungen der Gemeinden werden von den Ländern in Wahrheit vielfach „durchgewunken“. Es gibt zu wenig Widersprüche. Man müsste in Zukunft das Gesetz wieder so vollziehen, wie es ursprünglich beabsichtigt war. Dafür muss das Rad nicht neu erfunden werden: Die Länderkompetenz gehört gestärkt und die Kommunalsteuer müsste von den Ländern eingehoben und dann an die Gemeinden verteilt werden. Dann wären Bürgermeister nicht mehr gezwungen, kurzfristig zu denken.

Was sind die nächsten großen Meilensteine, die Österreich braucht?

Wir brauchen in Österreich ein Maßnahmenbündel um die größte Bedrohung, den Klimawandel, in den Griff zu bekommen und um die Vorgaben des Klimavertrages nicht nur zu erfüllen, sondern zu übertreffen:

Wir brauchen ein klares Bekenntnis zum öffentlichen Verkehr, es muss vom Staat attraktiv gemacht werden, dass die Menschen Bahn, Bus und Fahrrad benutzen.

Wir brauchen ein klares Bekenntnis zur E-Mobilität. Nehmen wir Norwegen als Beispiel: 40 Prozent der Neuanmeldungen sind E-Autos.

Wir brauchen ein klares Bekenntnis zu regionalen Lebensmitteln. Es kann nicht sein, dass drei Viertel des Obstes durchschnittlich 3.500 Kilometer zurückgelegt hat.

Wir brauchen einen Stopp des Bodenverbrauchs: Wer zubetonieren will, muss eine Bodenschutzabgabe zahlen. Daraus wird die Revitalisierung der tausenden leerstehenden Häuser und Industriehallen finanziert.

Wir brauchen eine Ökologisierung des Steuersystems wie in Schweden. Erneuerbare Energie muss steuerlich entlastet und fossile Energie belastet werden. Im Gegenzug müssen Unternehmen und der Faktor Arbeit entlastet werden.

Was sind Ihre nächsten Ziele?

Beim Bodenverbrauch gibt es ein Ziel: den Bodenverbrauch auf 2,5 Hektar pro Tag zu reduzieren. Dieses Ziel wurde bereits im Jahr 2002 (!) in der Nachhaltigkeitsstrategie der damaligen Bundesregierung fixiert. Leider wurde dieses Ziel kläglich verfehlt. Es wurde allerdings im Masterplan für den Ländlichen Raum erneuert. Übrigens wurde dieser letztes Jahr von allen Landeshauptleuten und dem Gemeindebundpräsidenten unterzeichnet. Die Umsetzung dieses Masterplans wurde in das jetzige Regierungsübereinkommen der jetzigen Bundesregierung aufgenommen. Jetzt geht es an die Umsetzung!

Welche SDGs sind für Ihren Bereich besonders wichtig? Wo tragen Sie ganz besonders bei?

Ableitend aus unserer Tätigkeit als Spezialversicherer von Naturkatastrophen und aufgrund unserer Kampagnen lässt sich das wie folgt zusammenfassen:

SDG-Ziel

Beitrag Österreichische Hagelversicherung

Ziel 1. Keine Armut

Wir schaffen eine umfassende Risikovorsorge für die Landwirtschaft und verhindern deren Verarmung durch Ernteausfälle bei Wetterextremen. Kampagnen zum Erhalt landwirtschaftlichen Bodens in Österreich und zum Kauf von mehr regionalen Lebensmitteln, damit wir nicht noch mehr Boden im Ausland (meist in Entwicklungsländern) beanspruchen.

Ziel 2. Kein Hunger

Wir schaffen öffentliche Wahrnehmung für die Notwendigkeit des Erhalts unser aller Lebensgrundlage „Boden“, um eine nachhaltige  Lebensmittelproduktion auch in Zukunft sicherstellen zu können bzw. um den Klimawandel und die Auswirkungen in Form von Dürre und Überschwemmungen zu entschärfen. Der weltweite Klimawandel ist Mit-Ursache für den Hunger in der Welt.

Ziel 7. Bezahlbare und saubere Energie

Wir investierten in ein CO2-neutrales Bürogebäude mit Pelletsheizung und Photovoltaikanlage; machen laufend Kampagnen für den Umstieg auf erneuerbare Energieträger um den Klimawandel in den Griff zu bekommen. 

Ziel 8. Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum

Wir kämpfen für die Revitalisierung des Leerstandes zum Schutz unserer Ackerflächen als Lebensgrundlage. Wir kämpfen für den Konsum einheimischer Lebensmittel und lokale Wirtschaftskreisläufe. Das schafft und erhält nachhaltig Wirtschaftswachstum und menschenwürdige Arbeit.

Ziel 11. Nachhaltige Städte und Gemeinden

Wir weisen permanent auf die Notwendigkeit hin, den Öffentlichen Verkehr auszubauen, versiegelte Leerstände zu revitalisieren, Grünflächen in den Städten zu schaffen. Wir fördern klimafreundliches Fahren unserer Mitarbeiter (E-Auto, Dienstfahrräder, Tickets für Öffis).

Ziel 12. Verantwortungsvolle Konsum- und Produktionsmuster

Wir investieren Zeit, Geld und Ideenreichtum in verschiedene Kampagnen: „Halte unser Klima rein, kauf Produkte unsrer Bauern ein“, „Stopp dem Bodenverbrauch“

Ziel 13. Maßnahmen zum Klimaschutz

Wir weisen im Rahmen unserer Öffentlichkeitsarbeit laufend auf Maßnahmen zum Klimaschutz hin. Für diese Öffentlichkeitsarbeit ist ein festes Budget veranschlagt. Für die Landwirtschaft bieten wir die umfassendste Produktpalette zum Schutz gegen zunehmende Naturkatastrophen an Kampagnen für den Erhalt des landwirtschaftlichen Bodens als CO2- und Wasserspeicher und Kampagnen für den Kauf von mehr heimischen Lebensmitteln mit weniger Transportkilometern.

Ziel 15. Leben an Land

Wir unterstützen Landwirte in all ihren Belangen. Landwirte sind die Stütze für das Leben auf dem Land. Eine Stärkung des ländlichen Raumes durch umfassendes Risikomanagement in der Landwirtschaft ist erforderlich. Kampagnen zur Steigerung des Einkommens der Landwirtschaft (Halte unser Klima rein, kauf Produkte unserer Bauern ein) setzen wir seit 15 Jahren um.

Wie wichtig sind die SDGs für die Welt?

Die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen sollten nicht als zahnloser Weltverbesserungskatalog verstanden werden, der an der Realität vorbeigeht. Die Ziele sollten vielmehr als praktisches Rahmenwerk verstanden werden, an dem Unternehmen ihre Nachhaltigkeitsmaßnahmen ausrichten können. Eine nachhaltige Entwicklung auf ökonomischer, sozialer sowie ökologischer Ebene sollte somit gesichert werden. Dabei geht es nicht gerade um simple Herausforderungen: die Armut zu beenden, die Forderung nach nachhaltiger Energienutzung und Bildung für alle, die Bekämpfung des Klimawandels, aber auch Frieden, Gerechtigkeit und die Gleichstellung von Mann und Frau, menschenwürdiges Wirtschaftswachstum und das Ende des Hungers stehen auf dem Plan. Wohlgemerkt in den nächsten zwölf Jahren. Die Ziele sind mehr als nur ambitioniert. Vor allem, weil es kein Budget für deren Erreichung gibt und auch keine Sanktionen für Staaten, die das Thema schleifen lassen. Denn die anvisierten Probleme lassen sich mit Sicherheit nur global lösen. Allerdings könnten dank der SDGs nun auch lokale Handwerksbetriebe ihren Teil beitragen und etwas Konkretes tun. Nur müssen wir es auch tun!

Wie schätzen Sie die internationale Entwicklung ein?

Eine klare Ausrichtung der Politik im Sinne der SDGs und deren Umsetzung ist absolut notwendig. Zunächst sollte eine österreichische Nachhaltigkeitsstrategie verabschiedet werden, die klar den Fokus auf die SDGs legt und diese damit auch bewirbt und öffentlich bekannt macht. Anreizsysteme für Unternehmen wären dienlich. Wir können es uns schlicht nicht mehr leisten, in Rankings zunehmend abzurutschen, sondern müssen am Ball bleiben, um weiterhin als Land mit nachhaltiger Ausrichtung wahrgenommen zu werden. Leider verliert Österreich gerade durch die Verbauung zunehmend das wichtigste Kapital Österreichs – nämlich unsere schöne Landschaft.

Um wieviel müssen wir unser Tempo steigern um die Ziele 2030 auch zu erreichen?

So viel ist klar: Wenn alle Nachhaltigkeitsziele erreicht werden sollen, gibt es noch viel zu tun. Sogar extrem viel. Dabei darf man sich aber auf keinen Fall durch Stolpersteine vom Weg abbringen lassen. Es liegt in der eigenen Verantwortung, etwas weiterzubringen. Das Potenzial ist enorm und das Ziel erstrebenswert: Es geht um nicht weniger als die Rettung der Welt.

Was empfehlen Sie Unternehmen?

Die zum jeweiligen Unternehmen passenden Ziele müssen tief in die DNA des Unternehmens verankert werden. Man kann nur etwas beitragen, wenn es langfristig wirtschaftlich sinnvoll ist. Wir müssen klar machen, dass Ökonomie und Ökologie kein Widerspruch sind. Intelligente Volkswirtschaften und Unternehmen setzen auf beides. Wir müssen uns bei Investitionen immer überlegen, in wie weit wir die Umwelt schädigen. Investitionen sollen ausschließlich aus Verantwortung im Sinne des Bestbieterprinzips und nicht des Billigbieterprinzips getroffen werden.

Was braucht es sonst noch?

Internationale Vereinbarungen zeichnen sich durch drei Eigenschaften aus: sie sind nicht bindend, niemand ist zuständig, und es gibt kein Budget. Es ist aber nicht nur die Finanzierungsfrage völlig ungeklärt. Man müsste sich vor Augen führen, dass sich manche Ziele widersprechen: Wenn wir die Agenda 2030 und den Vertrag von Paris umsetzen wollen, brauchen wir verbindliche Vereinbarung und nicht nur Absichtserklärungen.

Eckdaten:

Dr. Kurt Weinberger, Vorstandsvorsitzender der Österreichischen Hagelversicherung VVaG

Auszeichnungen:

Silbernes Komturkreuz des Ehrenzeichens für Verdienste um das Bundesland Niederösterreich

Großes Ehrenzeichen des Landes Burgenland

Ehrenpräsident der AIAG (International Organisation of Agricultural Production Insurers)

Website: www.hagel.at