Der Weg in eine Well-being-Economy für alle
GUIDED BY THE FUTURE | Regenerativ & Fair
Friedrich Hinterberger, Earth4All
Eine grundlegende Transformation zu einer regenerativen Wirtschaft, die ich gerne als Wellbeing Economy bezeichnen möchte, erfordert systemisches Denken, das nicht allein auf technische oder preisliche Maßnahmen beschränkt bleiben darf.
Bereits 1972 erschien der erste Bericht an den Club of Rome „Grenzen des Wachstums“ von Donella und Dennis Meadows, Jørgen Randers und William Behrens. Im selben Jahr fand die erste globale Umweltkonferenz in Stockholm statt und in Österreich wurde ein Umweltministerium eingerichtet. Wer sich die zentrale Abbildung des seinerzeitigen Berichts ansieht, stellt fest, dass der Niedergang des industriellen Outputs, der Nahrungsmittelproduktion und letztlich auch der Bevölkerung für das jetzige Jahrzehnt befürchtet wurde. Und wir müssen leider feststellen: Die Wissenschaftler*innen hatten recht, wir haben die Grenzen des Wachstums erreicht.
In seinem aktuellen Bericht zeigt der Club of Rome, dass neben einer Energie-Transition auch eine Ernährungswende sowie grundlegende Veränderungen auch in den Bereichen internationale Beziehungen, Einkommens- und Vermögensverteilung sowie im Empowerment erforderlich sind.
Wie dieser Weg aussehen kann – dazu arbeitet ein Kollektiv von Ökonom*innen, Wissenschaftler*innen, zivilgesellschaftlichen Akteuren und Aktivist*innen, der Club of Rome, das Potsdam Institut sowie das Stockholm Resilience Center, genannt Earth4All. Fünfzig Jahre nach den Grenzen des Wachstums haben sie 2022 den Bericht „Earth for all. A survival guide for humanity“ herausgebracht, der zwischenzeitlich in viele Sprachen übersetzt wurde. Es geht um Lösungen, es geht schlicht darum, wie die Menschheit gut überleben kann.
Ist eine Welt, die Gesundheit und Wohlergehen von Mensch und Natur höher schätzt als Profit, möglich? Der Bericht zeigt: Eine solche Welt ist möglich! Aber: Es erfordert einen „major upgrade“ auch für unsere Wirtschaft, die in Zukunft Gesundheit und Wohlergehen von Mensch und Natur priorisieren muss.
Vier globale Instabilitäten
Earth4All geht davon aus, dass wir derzeit in einer Welt mit vier globalen Instabilitäten leben: Sowohl das Sozialsystem, wie auch das Wirtschaftssystem, das politische System und natürlich die globale Umwelt sind instabil. Seit 2020 sehen wir einen „Weckruf“: Die Umwelt erreicht Kipppunkte, die Pandemie hat die Wirtschaft verändert, die globalen politischen Kräfte haben sich stark verändert. Wir sehen aber auch, dass Europa mit seinem Green Deal einen neuen Weg eingeschlagen hat und der „Greta-Effekt“ den Blick auf die Möglichkeiten der Zivilgesellschaft verändert.
Eine sichere und prosperierende Welt ist möglich
Ist eine Welt, die Gesundheit und Wohlergehen von Mensch und Natur höher schätzt als Profit, möglich? Der Bericht zeigt: Eine solche Welt ist möglich! Aber: Es erfordert einen „major upgrade“ auch für unsere Wirtschaft, die in Zukunft Gesundheit und Wohlergehen von Mensch und Natur priorisieren muss.
Der Bericht zeigt dazu zwei Szenarien: Das erste Szenario –„Too Little Too Late“ oder „zu wenig zu spät“ – beschreibt, was passieren würde, wenn wir auf dem gegenwärtig destruktiven Pfad weitergehen. Das zweite Szenario – „ein Riesensprung“ – zeigt auf, wie die schnellste wirtschaftliche Transformation der Geschichte aussehen könnte.
Dies erfordert fünf umfassende Kehrtwenden in den Bereichen Armut, Ungleichheit, Empowerment, Ernährung und Energie, für die der Bericht jeweils drei große Hebel herausarbeitet. Dazu gehören etwa eine umfassende und progressive Besteuerung von Einkommen und Vermögen, eine Regionalisierung des Handels, Bildung für alle, Innovationen in der Landwirtschaft sowie eine „Elektrifizierung von allem“, um einmal fünf wesentliche Veränderungen herauszugreifen.
Vier Lebensgeschichten
Ein besonderes Feature des Berichts ist, dass die Szenarien nicht allein technisch und mit Grafiken beschrieben werden, sondern anhand hypothetischer Lebensgeschichten von vier Frauen, die alle am gleichen Tag des Jahres 2020 geboren wurden. Die „erfolgreiche Architektin“ Carla stirbt in Kalifornien im Szenario „Too Little Too Late“ bereits mit 65 Jahren infolge ihrer sitzenden Lebensweise, ihrer Ernährung auf Basis industriell verarbeiteter Lebensmittel und der häufigen Hitzewellen an der Westküste der Vereinigten Staaten an Krebs. Die andern drei (Shu in China, Shamiha in Bangladesh und Ayotola in Lagos) werden in beiden Szenarien am Ende unseres Jahrhunderts 80 Jahre alt sein (allerdings unter sehr unterschiedlichen Bedingungen leben). Im Szenario „Giant Leap“ wird auch Carla so alt, und arbeitet gerade an einer Promotion über Wale.
Während im „Too Little Too Late”-Szenario die sozialen Spannungen steigen und die Unzufriedenheit mit den Zyklen der wirtschaftlichen Entwicklung schwankt, erreicht die Erderhitzung bis 2075 2,4 Grad Celsius. Auf dem Papier tragen die dafür notwendigen Anpassungsmaßnahmen „zum Wachstum des BIP bei, doch die Länder treten auf der Stelle“.
Bei einem „Giant Leap“ kann hingegen der Anteil an fossilen Brennstoffen schon bis 2030 drastisch heruntergefahren werden. Im Jahr 2050 „besitzen die obersten 10 Prozent in allen Regionen weniger als 40 Prozent des Nationaleinkommens“ und eine über die Besteuerung der Ressourcenentnahmen sowie Datennutzung finanzierte „Grunddividende“ verschafft jeder Familie eine Zusatzeinkommen von 5.000 Dollar. So kann auch Ayotola aus dem vom steigenden Meeresspiegel bedrohten Lagos wegziehen. Diese Welt ist kein Paradies, denn noch immer gibt es Konflikte und massive Erschütterungen durch Klimakatastrophen und es ist weiterhin ungewiss, ob sich die Erde in einem langfristig stabilen Zustand befindet. Aber: Viel Leid wäre gelindert, extreme Armut würde kaum noch existieren und die Gefahr eines eskalierenden Klimawandels wäre deutlich gemindert.
Wir, als Bewegung „Earth for All Österreich“, sind dabei, diese globalen Hebel auf den österreichischen Kontext herunterzubrechen. Mitte 2024 soll ein erster Bericht dazu erscheinen, mit dem dann ein breiter Diskurs mit Politik und Zivilgesellschaft angestoßen werden soll.