Wie ökologische und soziale Effekte bewertet werden
Industriell produzierter Kaffee, Weizen, Schwein & Co. – kann das nachhaltig sein? Reinhard Friesenbichler bietet mit seinem rfu-Rating einen differenzierten Blick auf die ökologischen und sozialen Eigenschaften von industriell produzierten Agrarrohstoffen.
Von der bäuerlichen zur industriellen Landwirtschaft
Erst mit der landwirtschaftlichen Revolution im Europa des 18. Jahrhunderts wurde jene Produktivität in der Nahrungsmittelerzeugung erreicht, die die Voraussetzung für das Freiwerden von Arbeitskräften und die Schaffung einer stabilen Ernährungsbasis für die darauffolgende industrielle Revolution war.
Fruchtfolge statt Dreifelderwirtschaft, Mechanisierung, Zuchtverbesserung in der Feld- und Viehwirtschaft sowie Bodenverbesserung durch Düngung waren die Innovationsbausteine. Und dieser bis in die Gegenwart fortgesetzte Optimierungsprozess im Rahmen einer industriellen Landwirtschaft zeigt – neben seinen segensreichen Wirkungen für einen großen Teil der Menschheit – auch seine schädlichen Effekte auf Mensch und Natur.
Agrarrohstoffe an der Börse
An der Börse werden diese industriell produzierten Lebensmittel über Derivate gehandelt. Diese auch als „soft commodities“ bezeichneten Agrarrohstoffe umfassen sowohl Fleisch wie auch Getreide und sonstige Nutzpflanzen.
Mais ist, gemessen an der globalen Produktionsmenge von über 1.000 Millionen Tonnen jährlich, die wichtigste Nahrungspflanze. Weizen wird in einer Jahresmenge von rund 800 Millionen Tonnen angebaut, die globale Sojaproduktion beläuft sich auf 300 bis 400 Millionen Tonnen pro Jahr. An den Börsen werden auch Zucker, Baumwolle, Kaffee, Lebendrind und mageres Schweinefleisch gehandelt.
Arbeitsbedingungen und Marktmacht in der Landwirtschaft
Agrararbeitsplätze haben einen schlechten Ruf, und dies nicht nur in Ländern mit typischerweise eingeschränkten Arbeitsstandards wie China, Indien oder Brasilien. Die klassischen Erntehelfer*innen müssen selbst in den USA und Europa häufig unter prekären Bedingungen, z.B. hinsichtlich Arbeitszeiten, Entlohnung, Sicherheit etc., tätig sein. Hinzu kommen Gesundheitsrisiken, die auf Düngemittel- und Pestizideinsatz oder Staubentwicklung zurückzuführen sind.
In manchen Bereichen der Wertschöpfungskette gibt es eine hohe Machtkonzentration bei wenigen transnationalen Agrarhandelskonzernen. Dies sind die sogenannten „ABCD-Companies“ – abgeleitet aus den Anfangsbuchstaben von ADM (Archer Daniels Midland, US), Bunge (US), Cargill (US) und Louis Dreyfus (NL).
Zur ökologischen Performance der industriellen Landwirtschaft
Hier schneiden die verschiedenen Feldfrüchte sehr unterschiedlich ab. Berücksichtig wird, ob Wälder zur Schaffung von Ackerflächen gerodet werden, wie intensiv Düngemittel und Pestizide verwendet werden bzw. der Einsatz von Gentechnik.
Besondere Risiken in der Fleischproduktion
In der industriellen Viehwirtschaft kulminieren einige der dargestellten sozialen und ökologischen Risiken. Der große Bedarf nach Weideflächen, führt z.B. in Südamerika oft zur Rodung von Primärwäldern und zur Vertreibung der indigenen Bevölkerung.
Zu diesem direkten Flächenverbrauch kommt noch der indirekte für den Anbau von Futtermitteln. So werden z.B. Soja bzw. Sojamehl zum überwiegenden Teil als Tierfutter genutzt. Der Klimaimpact von einem Kilo Rindfleisch beläuft sich auf 17 Kilogramm CO2 pro Kilogramm Fleisch, und für Schweinefleisch liegt der Wert immer noch bei knapp 6 Kilogramm, wogegen Nutzpflanzen meist mit deutlich weniger als einem Kilogramm CO2 zu Buche schlagen. Weitere Problemstellungen sind nicht-artgerechte Massentierhaltung, schlechte Tiergesundheit, Überzüchtung und generelle Fragestellungen der Tierethik.
Nutzungsspektrum geht weit über menschliche Ernährung hinaus
Der Großteil der produzierten Agrarprodukte dient der Ernährung der Menschen. Diese steht im Spannungsfeld zwischen der Deckung eines Grundbedürfnisses auf der einen Seite und dem Phänomen des Überkonsums, ungesunden industriellen Nahrungsmitteln und einer hohen Quote an Food Waste auf der anderen Seite.
Aber auch der Non-Food-Bereich ist für die ökologisch-gesellschaftliche Bestandsaufnahme differenziert zu beurteilen. Ein Beispiel ist die Baumwolle, die fast ausschließlich zu Textilien verarbeitet wird. Aber auch ein signifikanter Anteil der Zuckerproduktion fließt in die Produktion von Industriealkoholen und Biotreibstoffen ein. Mais wird am US-Markt überwiegend als Tierfutter und zu rund 30 Prozent zur Ethanolherstellung verwendet, bei Soja überwiegt die Verwendung als Futtermittel. Bei Rindern belaufen sich die non-Food Anwendungen auf rund 40 Prozent und umfassen u.a. die Verwendung als Leder oder als Nahrung für andere Tiere.
In einem nachhaltigen Zukunftsszenario haben Agrarrohstoffe also durchaus ihren Platz – sei es zur Herstellung von Biotreibstoffen oder auch für stoffliche Anwendungen wie z.B. als Biokunststoffe.
Gesamtergebnisse im Überblick und im Ausblick
Die insgesamt besten Nachhaltigkeitsratings aller Agrarrohstoffe haben Weizen und die Sorte Kansas-Weizen mit einem B und Mais mit B-. Am unteren Ende der Bandbreite rangieren Lebend- und Mastrind, bewertet mit C, und damit am Niveau der in den Kategorien Metalle und fossile Energie am niedrigsten gerateten Produkte Gold und Benzin.
Zum Abschluss sei noch betont: So muss Landwirtschaft nicht sein, und so ist sie in vielen Bereichen auch nicht – nämlich dort wo Regionalität, ökologischer Landbau, nachhaltige Konsummuster und faire Preismechanismen wirken.
rfu-Nachhaltigkeitsrating für Agrarprodukte
Um die ökologischen und gesellschaftlichen Effekte von Rohstoffen einschließlich Agrarprodukten systematisch und objektiv beurteilen zu können, hat die rfu Nachhaltigkeits-Researchagentur
eine spezifische Ratingmethodik entwickelt: Betrachtet wird der gesamte Lebenszyklus – vom Anbau, über die Ernte und Verarbeitung bis hin zur finalen Nutzung. Endergebnis ist ein Score auf der Skala von -10 bis +10, der in ein (für Börsen typisches) Rating auf der neunstufigen Skala von A+ bis C- transformiert wird.
Die Bewertung der sozialen Dimension reicht von einem knappen B für Kansas-Weizen (in der Mitte der neustufigen Skala) bis C (Stufe acht) für Kakao, Zucker und Baumwolle.
Die Sub-Ratings für Ökologie reichen von einem guten B für Weizen bis zu einem C minus für Soja bzw. Sojamehl. Bei Letzteren wirken sich die häufigen Rodungen zur Schaffung von Ackerflächen ebenso ungünstig aus, wie der intensive Einsatz von Agrochemie und Gentechnik.