Madeleine Alizadeh, Daria Daria / A Mindful Mess
Sie startete 2010 ihren Blog dariadaria und wurde in kürzester Zeit zu einer der bekanntesten und erfolgreichsten Bloggerinnen im deutschsprachigen Raum. Seit 2017 konzentriert sie sich auf nachhaltige Themen, die sie über Podcasts „a mindful mess“, Kolumnen in Magazinen und als Speakerin rüberbringt.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Bloggerin zu werden?
Das war einfach ein Impuls. Ich habe 2010 zunächst Politikwissenschaften und Ethnologie studiert und danach Technologie mit einem Bachelor in Engineering. So konnte ich das Kreative mit dem Technischen verbinden. Zwischen den beiden Studien bin ich vier Monate allein durch Asien gereist und habe viele Blogs gelesen. Zurück in Wien bin ich mitten in die Diskussion um die Kürzung der Familienbeihilfe gekommen, bin auf die Demo gegangen und habe Fotos gemacht. So ist mein erster Beitrag entstanden. Dann habe ich zwei Jahre vor mich hingebloggt, über Sachen, die mich interessieren. 2012 kam dann die erste Einladung zu einer Pressereise für ein Kosmetikunternehmen in Berlin.
Wie wird man eine erfolgreiche Bloggerin? Worauf kommt es an?
Ich kann es nur vermuten und habe viel aus der Intuition heraus gemacht. Es geht darum, die relevanten Themen zu bringen, zur richtigen Zeit am richtigen Ort, die richtigen Dinge zu bringen. Wichtig sind natürlich gute Inhalte, Regelmäßigkeit und Authentizität. Man darf nicht versuchen, jemand zu sein, der man nicht ist.
Was waren die großen Meilensteine am Weg?
Wenn man das konventionell sieht ganz sicher die eingeladen neben Karl Lagerfeld zu sitzen oder Jane Goodall zu treffen. Persönlich war mein größter Meilenstein 2015 mein Engagement für geflüchtete Menschen, 2016 war ich im Gaza Streifen für Vier Pfoten, zwischendurch war ich im EU-Parlament eingeladen und 2019 habe ich für die Grünen kandidiert.
Seit 2017 drehen sich Ihre Inhalte um das Thema Nachhaltigkeit. Wieso diese Fokussierung?
Ich habe 2013 eine Doku gesehen – Gift auf unserer Haut. Da habe ich dann bei mir zuhause im Kleiderschrank jedes Etikett umgedreht und seither nicht mehr über konventionelle und fast fashion gebloggt. 2015 kam dann der Tierschutz dazu und ich habe begonnen, mich vorrangig vegan zu ernähren. Nachhaltigkeit ist wie die Box von Pandora. Man macht eine auf und es kommen tausend Neue heraus.
Was haben die Fans gesagt? Wie viele sind mitgegangen? Wie viele haben Sie verloren?
Das kann ich schwer beziffern. Ich habe 2013 verlautbart, dass ich diese Richtung einschlagen möchte und habe nur positive Rückmeldungen bekommen. Es sind viele geblieben, einige weggegangen und viele dazugekommen.
Im Netz gibt es ja auch sehr viele aggressive und negative Rückmeldungen.
Ja, ich wurde oft Opfer von Shitstorms, viele Postings waren unter der Gürtellinie. Auf mich wird viel projiziert, viel Kritik hat auch mit dem Geschlecht zu tun. Als Frau wird man sofort wegen des Aussehens kritisiert und nicht wegen des Inhalts. Das sehen wir jetzt auch bei Greta ganz stark.
Wie geht man damit um?
Das war ein jahrelanger Prozess der Abgrenzung. Ich entscheide, je nach Posting und Laune: manchmal lösche ich sie, manchmal tue ich nix, manchmal argumentiere ich. Das musste ich erst lernen. 2016 bin ich in ein Burnout geschlittert, weil ich so viel Hass erfahren habe, vor allem durch mein Engagement für Geflüchtete. Das ging hin bis zu Morddrohungen.
Wie haben Sie es geschafft, hier wieder heraus zu finden und Ihr Leben zu genießen?
Ich habe eine Therapie gemacht, das war das einzig Richtige. Daher setze ich mich heute auch ein, dass es einen günstigen und niederschwelligen Zugang zu Therapie gibt. Eine seelische Erkrankung sollte genauso behandelt werden können wie ein Beinbruch.
Wie haben Sie erkannt, dass Sie im Burnout sind?
Ein Indikator war, dass ich nicht mehr geträumt habe. Mein Schlaf war nicht mehr erholsam. Ich habe zwar viel geschlafen, bin aber trotzdem wie gerädert aufgewacht. Ich habe Migräne bekommen, war leicht reizbar, habe die Freude an den kleinen Dingen verloren. Die kleinsten Tasks, wie einen Arzttermin ausmachen oder ein Joghurt kaufen, fühlen sich wie riesige Belastung an. Das ist ein Alarm.
Was empfehlen Sie Menschen, die das bei sich spüren?
Mit einer Vertrauensperson reden, den Hausarzt oder Hausärztin aufsuchen und um eine Überweisung bitten und so rasch als möglich eine Therapeutin oder einen Therapeuten aufsuchen.
Zurück zu Ihrem Blog: was sind Ihre beliebtesten Beiträge?
Das sind die sehr persönlichen Beiträge, in denen es um große Änderungen geht. Aber auch Posts, die ich mir einfach von der Seele schreibe.
Bei welchen Themen tun sich die Menschen besonders schwer?
Alles rund um Fleisch, Ernährung, vegan polarisiert sehr. Ähnlich ist es mit Themen rund um Sexismus, Abtreibung oder Impfungen. Ich habe zum Bespiel die Kampagne eines Smoothie Herstellers mit sexistischen Sujets kritisiert. Da gingen die Wogen hoch, vor allem wenn Menschen Sexismus nicht auf den ersten Blick erkennen.
Nimmt sexistische Werbung wieder zu?
Ja, und es ändert sich etwas. Bisher ist den Werbern sexistische Werbung eher passiert. Jetzt wird sie eher genützt um zu provozieren, als ein Aspekt des Guerillamarketings um mehr Aufmerksamkeit zu bekommen.
Wie soll man damit umgehen? Nicht reagieren?
Passivität endet in den wenigsten Fällen in Produktivität. Ich bin eher für reagieren. Wichtig ist, dass man dabei immer gut fundiert und sachlich bleibt, Argumente bringt und Gründe anführt. Die Aktivität vieler Menschen wirkt. Man darf nie leise bleiben. Sehen Sie sich aktuell die Debatte auf Instagram an, in der ein Rapper menstruierende Frauen als Schlampen bezeichnet. Man glaubt nicht, dass solche Themen überhaupt noch aufkommen! Das ist schon die Verantwortung der jüngeren Generation, nicht passiv zu werden.
Was sind die großen Herausforderungen unserer Zeit?
Es gibt eine große: die Klimakrise. An der hängt alles andere. Wenn die Erde nicht mehr existiert brauchen wir nicht mehr über Sexismus reden. Und dann natürlich Klimagerechtigkeit: Einkommensschwache Familien tragen am wenigsten zum Klimawandel bei und tragen am meisten. Es braucht eine soziale und Geschlechtergerechtigkeit über Generationen hinweg.
Was sagen Sie zu den jungen Menschen von Friday for future?
Ich habe viele Jahre darauf erwartet, dass so etwas passiert. Meine Zielgruppe ist älter als 18, die Hauptzielgruppe ab 25 bis 35. Friday for Future erreicht die Jungen. Es ist toll, was die Bewegung geschafft hat: die Ausrufung des Klimanotstandes haben wir ihr zu verdanken. Das ist extrem beeindruckend. Spannend ist, dass die Politik lange Zeit die Politikverdrossenheit der Jugend beklagt hat – und jetzt will man sie wieder ins Klassenzimmer zurück schicken. Aber es ist schön, dass aus bestimmten Bereichen der Politik auch Zuspruch kommt.
Was müssen wir lernen?
Ich bin eine ganz starke Verfechterin der Empathie. Wir Menschen müssen Empathie wieder lernen. Das geht nur im Perspektivenwechsel. Nur so kann man nachvollziehen, wie sich eine andere Person fühlt. Es geht um we – not me.
Was sind die nächsten Schritte?
Ich sehne mich gerade nach ein bisschen Ruhe. Ich habe eben ein Buch fertig gestellt, Podcast-Folgen aufgenommen, mein Modelabel ist am Wachsen. Das fordert mich, denn ich will, dass unsere Kleidung vollständig kompostierbar ist und nur aus Naturfasern und Zellulose besteht, Bio natürlich, plus recyeltes Material, möglichst ungefärbt.
Was sind die größten Herausforderungen?
Wir ersetzen gerade alle Polyester-Nähte durch Tencel, Naturkautschuk und biologisch abbaubares Elastan. Die Knöpfe werden aus Nüssen hergestellt. Darüber hinaus arbeiten wie an einem Rücknahmesystem und an der Recycelbarkeit. Wir verpacken nichts in Plastik sondern in eine recycelten Papierbox. Und wir wollen selbstfinanziert bleiben und keine Investoren brauchen.
Sind Sie zufrieden?
Mit meinen 30 Jahren habe ich schon ziemlich viel erreicht. Ich bin mit dem Status quo sehr zufrieden und wünsche mir, dass es so weitergeht, dass mir die Ideen nicht ausgehen und das Gespür für die wichtigen Themen nicht verloren geht.
Der Satz Ihres Lebens
Den gibt eigentlich nicht. Aber ich habe einen sehr guten Spruch gehört: one day or day one – you decide.
Madeleine Alizadeh
Daria Daria / A Mindful Mess
Gegründet: 2010
Sitz: Wien
Online:
https://www.dariadaria.com/
https://open.spotify.com/user/1125786077
https://www.instagram.com/dariadaria/