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Wie viel Gewinn ist legitim?

Kommentar von Reinhard Friesenbichler

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Regelmäßig, und besonders in Zeiten hoher Unternehmens- und Börsengewinne auf der einen Seite, und stagnierender Löhne, wachsender Arbeitslosigkeit und zunehmender Staatsschulden auf der anderen Seite, stellen sich die Fragen, wie legitim das Gewinnprinzip gesellschaftlich gesehen ist; wie hoch ein angemessener Gewinn ist; und wie der gesamte gesellschaftliche Mehrwert (oder Schaden) auf alle im Wertschöpfungsprozess Mitwirkenden (Kunden, Lieferanten, Arbeitnehmer) und sonstigen Mitglieder der Gesellschaft aufzuteilen ist. Die Antworten auf diese Fragen fallen in einer Marktwirtschaft anders aus als in einer sozialistischen Planwirtschaft, einem Feudalsystem oder einem archaischen Clan – sie bestimmen wesentlich die jeweilige Gesellschaftsform

Ist Gewinn legitim? In einer Marktwirtschaft stellt der Gewinn den Mehrwert für denjenigen dar, der eine Investition tätigt. Er entschädigt bzw. belohnt für das eingegangene Risiko bzw. die aufgewendeten Mühen. Ein fehlender oder zu niedriger Gewinn würde Investitionen in den betroffenen Bereichen hemmen und zu einer Unterversorgung mit den entsprechenden Gütern führen. In einem Unternehmen müssen langfristig und kumuliert die Erlöse zumindest die Aufwendungen decken. Verluste hingegen mindern das Eigenkapital und führen, sofern nicht Kapital nachgeschossen wird, auf Dauer zu einem negativen Eigenkapital (d.h. zuÜberschuldung und damit Insolvenz).

Welcher Gewinn mindestens? Sobald ein Unternehmen auch über verzinsliches Fremdkapital (Kredite, Anleihen) finanziert ist – und das ist faktisch jeder mittlere und größere Betrieb – muss der operative Gewinn auch die Kosten des Fremdkapitals (Zinsen) decken. Auch das Eigenkapital verursacht Kapitalkosten, und zwar insbesondere in Form der oben beschriebenen Kompensation für eingegangenes Risiko. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer Mindestrendite in Abhängigkeit von der Kapitalstruktur, dem makroökonomischen Umfeld (z.B. Inflation, Zinsniveau) sowie unternehmensindividueller Faktoren (Branche, Größe, Bonität, etc.).

Soweit darf in einer Marktwirtschaft noch von einem gesellschaftlichen Konsens ausgegangen werden. Die Geister scheiden sich allerdings, wenn man sich der legitimen oberen Grenze des Unternehmensgewinnes bzw. der Kapitalverzinsung nähert.

Welcher Gewinn maximal? Zwei Kennzahlen, die den erwirtschafteten Überschuss ins Verhältnis zum Einsatz (in diesem Fall Kapitaleinsatz) stellen, sind (a) die Eigenkapitalrendite (Return on Equity, RoE) und (b) die Rendite auf das gesamte eingesetzte Kapital (Return on Investment, RoI). Die Eigenkapitalverzinsung bewegt sich bei börsenotierten Unternehmen in reifen Volkswirtschaften auf lange Sicht meist innerhalb der Bandbreite von 10 bis 20% pro Jahr, wogegen der RoI aufgrund der niedrigeren Verzinsung des Fremdkapitals um einige Prozentpunkte niedriger ausfällt.

Gerade in der Liga der börsenotierten Gesellschaften werden intensiv Maßnahmen zur gezielten Rentabilitätssteigerung getroffen. Diese basieren zum Teil auf Innovation und Qualität und sind damit legitim, sind zum Teilbilanztechnischer Natur (z.B. Leveraging) und fußen zum Teilleider auch auf einer Übernutzung humaner, sozialer und ökologischer Ressourcen. Letztere sind volkswirtschaftlich schädlich, denn die Gesellschaft hat für diese Kosten aufzukommen.

Die Nennung einer gerechten Rendite bzw. Verteilung des wirtschaftlichen Mehrwerts ist seriös nicht möglich, da sich darin zahlreiche und komplexe gesellschaftliche Fragestellungen zuspitzen. Aus den oben dargestellten Logiken und der einfachen Formel „reale Ausgangsbasis (10 bis 20% RoE) minus illegitime Komponente (ist zweifellos vorhanden, wenngleich in unklarem Ausmaß) = legitime Rendite" ließe sich jedoch eine „Verhandlungsbasis" für den gesellschaftlichen Diskurs ableiten.

Mag. Reinhard Friesenbichler ist Gründer und Geschäftsführer der rfu, einem Beratungsunternehmen für nachhaltiges Investment und Management mit Sitz in Wien.