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Wirtschaftsethik in den Religionen

Wie soll der Mensch leben? Wie soll er Entscheidungen treffen? Wie kann ein gutes Zusammenleben gelingen? Mit diesen Fragen haben sich die großen Weltreligionen seit jeher beschäftigt. Die religiösen Schriften sind allerdings teilweise über 2000 Jahre alt. Haben die Lehren der Weltreligionen heute dennoch Gewicht? Auch wenn es ums Wirtschaftsleben geht? Ein Rundblick. - Georg Bauernfeind -

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Im Vorjahr veröffentlichte Papst Franziskus sein apostolisches Schreiben Evangelii Gaudium und schrieb für viele überraschend scharf: „Diese Wirtschaft tötet.“ Allerdings darf man das Zitat nicht verkürzen erklärt der Sozialethiker Klaus Gabriel: „Man muss auch die Absätze vorher und nachher lesen, dann wird klar, dass der Papst eine Wirtschaft ablehnt, die auf Ausgrenzung und Marginalisierung großer Teile der Bevölkerung beruht.“ Dadurch wird die Würde des Menschen verletzt und aus Sicht der katholischen Soziallehre darf genau das nicht passieren. „Denn der Mensch ist nicht nur Arbeitskraft, nicht nur Konsument, sondern er besitzt als Ebenbild Gottes eine unantastbare Würde.“ Folglich hat die Wirtschaft auch dem Menschen zu dienen und nicht umgekehrt, Wirtschaften ist kein Selbstzweck. Die katholische Soziallehre steht für eine sozial-ökologische Marktwirtschaft. Sie entstand Ende des 19. Jahrhunderts als im Zuge der Industrialisierung ganze Bevölkerungsschichten verarmten, insbesondere in den Städten waren Arbeiter und ihre Familien von Armut, Hunger und Obdachlosigkeit betroffen. Das Ausmaß war auch für die katholische Kirche neu. Papst Leo XIII reagierte darauf mit der 1891 erschienen Enzyklika „Rerum norarum“. Der Markt wird heute positiv gesehen, aber er brauche eine Rückbindung an den Menschen und klare Regeln, welche die Gesellschaft zu formulieren hat. Es wird auch das Leistungsprinzip bejaht, aber nicht grenzenlos. Klaus Gabriel: „Es geht um das rechte Maß und das ist eine Frage der Gerechtigkeit.“ Lassen sich daraus auch Leitlinien für Ethik in der Wirtschaft ableiten? Neben den klassischen Prinzipien der katholischen Soziallehre – das Personalitätsprinzip, das Solidaritätsprinzip, das Subsidiaritätsprinzip und das Gemeinwohlprinzip – wird von manchen katholischen Ethikern auch die Nachhaltigkeit als Prinzip eingefordert. Für Klaus Gabriel ist das aus dem Solidaritätsprinzip begründbar: „Es geht um Solidarität mit den Menschen auf der ganzen Welt und um Solidarität zwischen den Generationen. Für das Funktionieren der Gesellschaft muss die ökologische Frage unbedingt gelöst werden.“

Die katholische Soziallehre versuchte immer die alte biblische Botschaft in die Gegenwart zu übertragen. Für die evangelische Theologin Barbara Rauchwarter hat man die Bibel aber zu oft entschärft. Dabei bietet diese ganz konkrete Vorschläge, um eine Verelendung der Massen zu verhindern: Nach 7 mal 7 Jahren sollen die ursprünglichen Besitzverhältnisse an Grund und Boden wiederhergestellt werden. Oder das Sabbatjahr: Alle 7 Jahre sollten die Schuldsklaven befreit werden und das Land brach bleiben, damit es sich erholen kann. Für Rauchwarter wurde das Wirtschaftsrecht des Alten Testaments von den Christen nie wirklich wahrgenommen. Dabei habe Jesus dieses Gesetz als Toralehrer in seinen Gleichnissen deutlich ausgelegt. In der Bergpredigt sagt er: ‚Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon (=dem Geldsystem)‘. Auch in der Zeit Jesu waren die Besitzverhältnisse ungerecht, eines der Hauptprobleme war die Verschuldung. Die biblischen Texte machen klar, dass Gerechtigkeit eine Umverteilung von Privilegien erfordert, denn es gäbe ‚genug für alle‘. Verknappung, eines der urkapitalistischen Prinzipien, verstößt für Rauchwarter massiv gegen die Bibel. Unverhältnismäßigkeit führe oft zur Armut.

Sind diese Ansätze nicht zu radikal? Für Rauchwarter wäre ein wichtiger Schritt, wenn sich Manager und Politiker wirklich informieren und nicht ungläubig den Kopf schütteln, wenn sie einen Bericht der Armutskonferenz lesen. Wenn sich mehr Unternehmen dazu verpflichten, die Differenz zwischen den geringsten und den höchsten Gehältern nach einem transparenten Modus zu gestalten und wenn kluges Maßhalten wieder als Tugend gilt.

Wie schwierig es ist, biblische Gebote in der Realität umzusetzen, zeigt das Zinsverbot. Aus Sicht der Bibel ist der Zins abzulehnen. Daher delegierte die Kirche In der Zeit des Frühkapitalismus das Zins- und Bankwesen an die Juden. Die biblische Begründung: ‚Du darfst von deinem Bruder keine Zinsen nehmen‘ wurde so ausgelegt: ‚Die Juden sind nicht unsere Brüder. Also sollen sie dieses Geschäft übernehmen‘.

Wie interpretiert das heutige Judentum die Bibel? Keine leichte Frage, denn es gibt viele jüdische Richtungen und Gemeinden. Der Rabbiner der jüdisch-liberalen Gemeinde in Wien, Dr. Walter Rothschild, sieht Wirtschaftsethik als sehr wichtigen Teil der Bibel: „Im Buch Leviticus heißt es: ‚Gerechtigkeit sollst Du suchen‘ oder ‚Du sollst den Lohn pünktlich bezahlen‘. Ganz konkrete Anweisungen zum Wirtschaftsleben enthält der Talmud, die zweite wichtige jüdische Quelle: ‚Man soll in kein Geschäft gehen, wenn man nicht die ehrliche Absicht hat, ein Produkt zu kaufen‘. Auch jemanden mit einem falschem Versprechen zu locken, wird abgelehnt.“

Aber prinzipiell sieht die jüdische Tradition das Wirtschaftsleben positiv, oder? „Ja“, meint Rothschild, „man soll gut verdienen, Armut ist kein Gebot Gottes. Aber jeder ist verpflichtet Tzedaka, also Spenden für wohltätige Zwecke zu geben – je reicher man ist, desto mehr soll man geben.“ Die Gemeinschaft darf nicht außer Acht gelassen werden. Wie interpretiert er das Zinsverbot? Rabbiner Rothschild weist auf das Dilemma zwischen Theorie und Praxis hin. Der Grundgedanke ist für ihn: „Es soll keine Wucherei geben. Es ist nicht in Ordnung, jemandem das letzte Hemd zu nehmen.“ Wichtig ist für ihn das Grundverständnis: „Wir sind Pächter, wir sind nicht Eigentümer. Und wenn man nur Pächter ist, muss man besonders gut auf das anvertraute Gut achten.“

Dieser Gedanke verbindet das Judentum mit dem Islam. „Auch im Islam ist Gott der eigentliche Besitzer von allem und der Mensch ein Verwalter von Gottes Gaben. Das bedeutet aber nicht, dass Eigentum abgelehnt wird“, sagt Dr. Mohamed Bassam Kabbani, der akademische Leiter des Privaten Hochschullehrgangs für Islamische Religionspädagogische Weiterbildung in Wien: „Eigentum ist gut, wenn es korrekt erworben wird. Das ist dann der Fall, wenn die Umwelt nicht geschädigt wird und wenn niemand ausgebeutet wird. Darüber hinaus gibt es ein klares Verbot für Geschäfte mit Alkohol, Tabak (nicht bei allen Rechtschulen), Schweinefleisch, Glücksspiel und Pornographie – diese sind im Islam nicht erlaubt.“

Die Grundlage für ethisches Wirtschaften ist im Islam Gerechtigkeit. Hier beruft man sich auf den Koran, die heilige Schrift der Muslime. Gerechtigkeit bedeutet, dass es in der Gesellschaft keine unüberbrückbare Kluft zwischen Arm und Reich geben soll. In einer prophetischen Überlieferung heißt es: ‚Jener hat nicht an mich geglaubt, der schlief, während sein Nachbar neben ihm hungerte‘. Es soll immer ein Gleichgewicht innerhalb der Gesellschaft geben. Deshalb sind Muslime verpflichtet, den sogenannten Zakat zu bezahlen. Dabei handelt es sich um Spenden, die für Hilfsprojekte oder auch innerhalb der Großfamilie gegeben werden.

Gibt es im Islam auch Richtlinien für ethisch korrektes Handeln von Unternehmen? Herr Kabbani wird sehr konkret: „Neben der angemessenen Bezahlung ist auch ein respektvoller Umgang mit den Angestellten sehr wichtig. Es geht darum, die Würde des Menschen nicht zu verletzen.“ Arbeit wird im Islam sehr hochgeschätzt. „Der Mensch soll durch Fleiß und Anstrengung seinen Lebensunterhalt verdienen. Nicht indem er von den Zinsen auf der Bank lebt.“ Wie in der Bibel, gibt es auch im Koran ein Zinsverbot. „Der Sinn davon ist, dass das Geld in Umlauf bleibt. Geldhorten ist nicht im Sinne des Islam.“ Geld in Aktien zu investieren ist aus seiner Sicht allerdings richtig, weil dadurch Geld im Umlauf bleibt, Arbeitsplätze werden geschaffen. Ablehnend steht Herr Kabbani Rohstoff-Spekulationen gegenüber, durch die Menschen in den Entwicklungsländern zu Schaden kommen. Klar ist: Das Wohl der Allgemeinheit, darf nicht durch die Maßlosigkeit einzelner zerstört werden.

Der Begründer des Islam, der Prophet Mohammed, lebte im 6. bzw. 7. Jahrhundert nach Christus ursprünglich als Kaufmann. Er machte ganz konkrete Erfahrungen im Wirtschaftsleben – auch wenn damals vieles anders war als heute. Etwa 1000 Jahre früher lebte Siddhartha Gautama, besser bekannt als Buddha. In seiner Zeit, waren viele Probleme der heutigen Wirtschaftswelt vollkommen unbekannt. „Aber Buddha entwickelte fünf generelle ethische Prinzipien, die man auch auf das heutige Wirtschaftsleben anwenden kann“, erklärt Gerhard Weissgrab, Präsident der österreichischen buddhistischen Religionsgesellschaft. Der Buddhismus hat keine Gebotsethik sondern eine Einsichtsethik. Er versteht sich als Erfahrungs- und Erkenntnisreligion. Das bedeutet aber keine Beliebigkeit, sondern: Wenn ich das Richtige erkenne, ist klar, dass ich danach handle. Ich bemühe mich recht zu handeln, weil die Konsequenzen meines Handelns auch wieder auf mich zurückfallen. Weissgrab: „Wenn es etwa heißt: Ich übe mich darin, keine fühlenden Wesen zu töten oder zu verletzten. Oder: Ich übe mich darin, nicht Gegebenes nicht zu nehmen. Das sind ganz klare Richtlinien für Gewaltlosigkeit und Mitgefühl.“ Wie ist das zu verstehen? „Da ist die ganze Natur einzubeziehen. Man kann die Dinge nicht trennen –  alles hängt voneinander ab.“ Als Beispiel nennt er unseren Umgang mit Tieren: „In der industriellen Fleischproduktion passiert viel Leid. Es wäre schon ein erster großer Schritt, wenn durch artgerechte Tierhaltung weniger Qual entstünde.“ In Buddhas Lehre gibt es drei große Gifte: Gier, Hass und Verblendung. Weissgrab: „Alle drei sind in den Auswüchsen unseres Systems zu beobachten. Das derzeitige Wirtschaftssystem beruht auf ständigem Wachstum. Das gibt es in der Natur nirgends. Grenzenloses Wachstum, z. B. von Zellen heißt dort Krebs.“ Für ihn als Buddhisten ist auch das panische Krisengerede seit 2008 unverständlich: „Die Veränderlichkeit von allem ist ein Grundprinzip der buddhistischen Lehre. Auf und ab gehört zum Kreislauf des Lebens!“ Wie kann man Gewaltfreiheit und Mitgefühl umsetzen, wenn man in der Wirtschaft tätig ist? Achtsamkeit sei da ein erster Schritt: „Ein Bremsen des heutigen Tempos wäre wohl der Anfang.“

Buchtipp: Barbara Rauchwarter: „Denken Sie nur an die biblische Erzählung vom Manna in der Wüste. Sobald es gehortet wird, verdirbt es.“